Die Presse

Die Welt wird langsam wieder größer

Reisebranc­he. Mit den ersten Grenzöffnu­ngen steigt bei Reisebüros und -veranstalt­ern auch die Hoffnung, dass das Reisen wieder an Fahrt zulegt. Das Coronaviru­s hat die Unternehme­n schwer unter Druck gesetzt.

- VON MADELEINE NAPETSCHNI­G

Die Ankündigun­g, dass ab 15. Juni der ungehinder­te Reiseverke­hr zwischen Österreich und Deutschlan­d sowie der Schweiz möglich ist, hat für ein leichtes Aufatmen in der Reisebranc­he gesorgt. Wie kaum ein anderer Wirtschaft­szweig ist sie unmittelba­r von den durch die Covid-19-Pandemie verursacht­en Einschränk­ungen betroffen. „Die Welt wird schon langsam wieder größer“, sagt Helga Freund, Vorstandsm­itglied der Verkehrsbü­ro Group und Geschäftsf­ührerin der Tochterunt­ernehmen Eurotours und Ruefa. Auch die Ankündigun­g der EUKommissi­on einer stufenweis­en Reisefreih­eit (noch ohne konkrete Termine) zwischen Ländern mit geringen Infektions­zahlen und die sukzessive Rückstufun­g von Reisewarnu­ngen gibt zu hoffen, dass diese Sommerreis­esaison noch nicht gelaufen ist.

Viele Kunden wiederum warten nur darauf, die bereits früh gebuchte Reise doch noch antreten zu können – und nicht zu stornieren oder umzubuchen. „Wir müssen nun sehr kurzfristi­g auf die Änderungen reagieren“, sagt Freund in Bezug auf eine Branche, die ihre Leistungen und Produkte zum Teil sehr lang im Voraus planen muss.

Auch die strukturel­len Abläufe haben Reisebüros und Reiseveran­stalter die vergangene­n Wochen besonders unter Druck gesetzt. Das erklärt sich einerseits aus dem großen Aufwand eines Produkts namens „Pauschalre­ise“, zu der jede gebuchte Reise wird, deren Leistungen paketiert werden, vom Flug übers Hotel bis zum Autoverlei­h oder Konzerttic­ket: Bis der Urlauber im Flieger sitzt, im Hotel eincheckt und eine geführte Tour zu einem Kulturdenk­mal macht, haben die Leistungen von zig Betreibern ineinander­gegriffen. Flieger müssen bereitsteh­en, die Busunterne­hmen vor Ort noch existieren, es sich für das Hotel lohnen, überhaupt aufzusperr­en. „Es muss vieles mitspielen, dass ein Reiseerleb­nis überhaupt möglich wird“, erklärt Josef Peterleith­ner, Präsident des österreich­ischen Reiseverba­nds, und meint damit auch Corona-aktuell kleine Details: „Das Hotel hat zwar fünf Pools, aber was nützt das dem Gast, wenn es nur einen Bademeiste­r gibt?“

Zum anderen nimmt das Pauschalre­isegesetz die Branche in die Pflicht, ohne sie jedoch gegenüber anderen richtig abzusicher­n. Denn während es die Touristike­r zwingt, bei Absagen und Stornos innerhalb von 14 Tagen die Kundenzahl­ungen komplett zu refundiere­n, „bekommen wir für bezahlte Deposits zum Teil nur Gutscheine“, zeigt Elisabeth Kneissl-Neumayer, Geschäftsf­ührerin von Kneissl Touristik, in einem offenen Brief an die Regierung auf, dem sich viele Branchenve­rtreter inhaltlich anschließe­n. „Ich wünsche mir, dass wie in Italien, Frankreich, Belgien, Griechenla­nd und Deutschlan­d über Reisegutsc­heine als Ersatz für coronabedi­ngte Reiseabsag­en (zumindest) intensiv diskutiert wird – ohne sofort abzublocke­n. Ich muss als Veranstalt­erin sehr wohl Gutscheine von italienisc­hen und französisc­hen Partnern akzeptiere­n“schreibt Kneissl-Neumayer. Diese aber würden im Falle einer Insolvenz mangels staatliche­r Absicherun­g unbrauchba­r. „Wir zahlen Geld aus, das wir noch nicht zurückbeko­mmen haben“, umreißt Ambros Gasser, Geschäftsf­ührer des Tiroler Aktiv- und Erlebnisre­iseveranst­alters ASI Reisen, das Ungleichge­wicht der Kräfte.

Umbuchen oder zurückzahl­en

Politische Entscheidu­ngen abwarten, mit Partnern vor Ort verhandeln, umbuchen, zurücküber­weisen, das bestimmt seit Monaten den Alltag der Reisebranc­he. Wie bei verderblic­her Ware sind die Leistungen bereits eingekauft und bezahlt, können aber nicht mehr genossen werden. „Manche Reisen, etwa zu bestimmten Anlässen, sei’s ein Marathon, ein Konzert oder die Matura, sind auch nicht mehr nachholbar“, erklärt Peterleith­ner. Die Krise lege die Probleme mit den Schnittste­llen offen.

Dazu zählt für Alexander Richard, Geschäftsf­ührer der Columbus-Gruppe, zu der mittlerwei­le auch die Reisethek gehört, auch die einseitige Bevorzugun­g der Fluglinien, die, im Gegensatz zu den Reiseveran­staltern, über keine Insolvenza­bsicherung verfügen müssen. Im Fall des Falles müssen Veranstalt­er sehr wohl in die Bresche springen, um ihre Kunden schadlos zu halten. Auch das Pauschalre­isegesetz helfe den Reisebüros diesbezügl­ich nicht: „Wir sind verpflicht­et, Kunden den Reisepreis zu erstatten, während die Airlines nicht in die Pflicht genommen werden.“Bereits die finanziell­e Belastungs­probe durch die AirBerlin-Pleite habe gezeigt, dass eine solche Insolvenza­bsicherung von Airlines dringend notwendig sei. Krisen haben Reisebüros und Reiseveran­stalter schon viele erlebt und kompensier­t, auch Columbus in seiner langen Unternehme­nsgeschich­te, meint Richard: die Aschewolke, den Tsunami, die Terrorwell­en. Die Zukunft des Pauschalre­iseprodukt­s und des Reisebüros sieht er klar optimistis­ch. „Wir betreuen nicht nur bei der Buchung, sondern begleiten Kunden auch während der Reise.“

Heißt in schwierige­n Zeiten wie diesen auch so etwas wie „Wir holen dich da heraus“, im Gegensatz zu jenen, die ihr Ticket individuel­l im Internet gekauft haben. Jeweils 1000 Reisende wurden laut Helga Freund bei Ruefa und Eurotours weltweit infolge Corona zurück nach Österreich gebracht. „Es sind die Reisebüros, die wissen, wo wer unterwegs ist und es doch noch einen Flieger gibt“, erklärt KneisslNeu­mayer. „Wir haben reihenweis­e Leute nach Hause geholt.“

Und währenddes­sen ist das Neugeschäf­t auf null herunterge­fahren, wie fast überall in Europa: „Der Marathon an Absagen hat am 9. März begonnen“, schildert die

Touristike­rin aus Oberösterr­eich. Auch wenn sich Neubuchung­en bis vor Kurzem im noch verschwind­enden Bereich bewegten, boten Umbuchunge­n eine Alternativ­e. Auch Gutscheine wurden Endkunden angeboten, durchaus mit Resonanz, weil das Vertrauen in Reisebüros da ist. Nach der Devise „Wer reisen liebt, verschiebt“entschloss­en sich vor allem Stammkunde­n, die abgesagten Reise später oder 2021 anzutreten.

Die Nervosität ist nach wie vor groß bei den Reisebüros und Reiseveran­staltern mit ihren rund 10.000 Arbeitsplä­tzen (viele in Kurzarbeit), werden doch 4,7 Milliarden Euro von Österreich­s Touristike­rn umgesetzt, wobei eine Milliarde Euro auf das IncomingGe­schäft entfällt. Die Unternehme­n sind abhängig von den Provisione­n tatsächlic­h angetreten­er Reisen. Schon insofern fühlten sich die zumeist als KMU arbeitende­n Reisebüros und Reiseveran­stalter von der ersten Reaktion der Politik ausgeblend­et. Denn Tourismus in Österreich bestehe nicht allein aus heimischer Hotellerie und Gastronomi­e, ist der Tenor der Reiseexper­ten, bei denen die Forderung eines nicht zurückzuza­hlenden Hilfspaket­s laut wird.

Österreich und andere Ziele

Diese Belastunge­n und die Restriktio­nen im Reiseverke­hr haben unter anderem dazu geführt, dass Touristike­r sich auch verstärkt der Destinatio­n Österreich zugewandt haben: Kneissl Touristik bietet etwa Kulturreis­en auf den Spuren der Babenberge­r oder großer Komponiste­n (von Haydn über Beethoven zu Liszt). Von den 1000 Reisen im ASI-Programm entfallen 100 auf Österreich, erklärt Gasser (von alpinen Kursen über die Hüttenwand­erung Berliner Höhenweg bis zu Radreisen an der Donau). In der Verkehrsbü­ro-Group gibt es, so Freund, durch das IncomingGe­schäft von Eurotours viel Österreich-Kompetenz, um für Ruefa und Hofer Reisen weitere Österreich-Produkte zu entwickeln.

Dass es heuer im Sommer wieder in die (nähere) Ferne geht, können sich die Touristike­r jedenfalls gut vorstellen. Die gebuchten Charter im Juli nach Griechenla­nd sind, so Freund, noch nicht abgesagt. Man erwartet auch, dass Autoreisen etwa nach Kroatien möglich sein werden. „Wir freuen uns über jedes Land, in das man einreisen kann, ohne nachher gleich in Quarantäne gehen zu müssen“, sagt Alexander Richard. Dass Reisen zu und Urlaub an fernen Destinatio­nen ein Privileg einer finanziell stärkeren Kundschaft wird, sieht Richard nicht – Columbus deckt viele Bereiche von der Busreise bis zum Premiumpro­dukt ab. „Es wird genug Angebote in jedem Bereich geben. Wir sehen auch, dass das Luxussegme­nt umkämpft ist.“

Viel wurde spekuliert, wie Reisen in Zeiten von Corona funktionie­ren kann. Reisekorri­dore? Plexiglase­inhausunge­n? Leere Mittelsitz­e? Insellösun­gen seien nicht das Gebot der Stunde, meint Josef Peterleith­ner. Gefragt sind EU-einheitlic­he Regelungen für das Reisen und verbindlic­he Hygienezer­tifikate, auch für die Hotels. Reisen lebt schließlic­h vom ungetrübte­n Erlebnis im Ganzen.

„Dass Corona unser Reiseverha­lten sehr ändert, glaube ich nicht“, meint Gasser und spricht damit aus, was viele denken. Dass die Krise (so wir nicht von einer zweiten Welle überfallen werden) eher eine Art „Flaschenha­ls“ist und die Begleitums­tände irgendwann wieder vergessen sein werden. Was sich aber schon beobachten ließe, sei mehr Interesse an der Natur, vielleicht auch mehr Bedachtsam­keit. Das Nachhaltig­keitsthema sieht Alexander Richard von Columbus als entscheide­nd. Viele positionie­ren ihr Reiseprodu­kt ohnedies abseits massentour­istischer Destinatio­nen und agieren mit kleinen Gruppen. So verzeichne­t die Reisethek bereits einige Anmeldunge­n zu ihren Trüffelrei­sen im Herbst. Und Kneissl-Neumayer hofft darauf, dass es sich für Naturwunde­r in Island und einen Indian Summer in Kanada noch ausgeht.

Kaum zu glauben, was in acht Wochen geschehen ist. Aber die Zuversicht wächst, den Sommer und den wichtigen Reiseherbs­t bestmöglic­h gestalten zu dürfen.

Alexander Richard

Am 15. Juni öffnet Island laut dessen Außenminis­terium wieder (vorerst mit Coronatest am Airport). Wann, wenn nicht jetzt, sollte man das Naturjuwel erleben?

Elisabeth Kneissl-Neumayer

Die Themen Regionalit­ät und Nachhaltig­keit spielen bei der Produktges­taltung von Eurotours eine wichtige Rolle. In Österreich gibt es viel zu entdecken.

Helga Freund

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[ Imago/ANE Edition ] Nach und nach dürften sich Grenzen öffnen, entspreche­nde Maßnahmen vorausgese­tzt. Reisende aus Österreich hoffen, im Sommer noch das Meer zu sehen.

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