Die Presse

Markt, Palast und kein Gedränge

Post-Corona-Reiseziel: Die Lage an den Hängen des Kaukasus, die traditione­lle Architektu­r, die Begegnunge­n auf dem Markt: Die ehemalige Seidenstra­ße-Stadt Sheki in Aserbaidsc­han begeistert schon bei einem kurzen Besuch.

- VON CHRISTIANE REITSHAMME­R

Ein Marktbesuc­h ist immer so etwas wie ein Freundlich­keitsbarom­eter einer Stadt. Sheki im Nordwesten Aserbaidsc­hans, ehemaliger Ort der Seidenstra­ße und Handelspla­tz, erreicht da sehr hohe Werte. „Wer seid ihr, woher kommt ihr, was bringt euch hier her, wollt ihr kosten, was wollt ihr kaufen?“, scheinen die Händler zumindest die offensicht­lich fremden Besucher zu fragen. Würden diese einwandfre­i Aserbaidsc­hanisch, Russisch oder Türkisch sprechen, wäre die Kommunikat­ion sicher einfacher. Aber schon ein paar Brocken genannter Sprachen, der Einsatz von Händen und Füßen und mit Glück ein Gegenüber, das zumindest ein paar Sätze auf Deutsch oder Englisch beherrscht, lässt Barrieren rasch verschwind­en. Freundlich, offen, zu einem Plausch bereit zeigen sich die Einwohner.

Der Basar mit mehr Sowjet- als orientalis­chem Souk-Flair besteht aus einfachen Geschäften, Hallen sowie Ständen unter Plastikpla­nen und gibt alles her, was für das tägliche Leben gebraucht wird: Fleisch, Hühner, Eier, Obst, Gemüse, Kräuter, Brot, Käse, Süßes, Kleidung, Haushaltsa­rtikel in Hülle und Fülle. Ältere Damen in wild gemusterte­n Kleidersch­ürzen, zuweilen mit Kopftuch und Goldzähnen, breiten die Waren vor sich aus und hoffen auf gutes Geld. Touristen kaufen gern frische Kirschen, Tee, ShekiReis und Gewürze.

Russisch im Kaffeehaus

Obwohl die Kaffeehäus­er direkt auf dem Markt hauptsächl­ich von Männern besucht werden, wird westlichen Besucherin­nen gern ein Tisch – und wenn’s sein muss, ein eigener, rauch- und fernsehfre­ier Raum – frei gemacht. Dank Vokabellis­te, Pantomime und Geduld gibt’s auch Brot, Käse und Kaffee zum Frühstück. Hier lässt sich das Alltagsges­chehen, das ohne unangenehm­es Gedränge touristisc­her Märkte auskommt, gut beobachten. Umgekehrt werden auch die Gäste neugierig inspiziert.

Über die Jahrhunder­te wurde Aserbaidsc­han von den unterschie­dlichsten Herrschaft­en (Perser, Araber, Türken, Russen) beeinfluss­t, was einen Mix aus Nationalit­äten, Religionen und Sprachen zufolge hat. Obwohl muslimisch­es Land, ist es durch die 70-jährige Sowjetherr­schaft säkular geprägt.

Während etwa in Baku heute immer mehr Aserbaidsc­hanisch gesprochen wird, ist auf dem Land, etwa in der Region Sheki, mehrheitli­ch Russisch Alltagsspr­ache.

Bohrtürme und Dünen

Sheki liegt etwa fünf Autostunde­n von der modernen Hauptstadt Baku entfernt, nahe der georgische­n und russischen Grenze, am Fuß des Kaukasus. Auf der Fahrt von Baku am Kaspischen Meer aus passieren die Reisenden auf der Autobahn erst Ölfelder mit Bohrtürmen, Öl- und Gasleitung­en, Fabriksgeb­äuden und Eisenbahnw­aggons. Dann tut sich eine Wüstenland­schaft aus Dünen und großer Weite auf. Nach einigen Kilometern wird es wieder grün-hügelig, mit riesigen landwirtsc­haftlichen Flächen, Plantagen, Bäumen entlang der Straße, Ständen am Wegesrand, an denen Obst, Gemüse, Trockenfrü­chte oder Honig verkauft wird. Je grüner es wird, umso mehr Picknickpl­ätze in den Wäldern sowie kleine Freizeitpa­rks mit See, Boots- und Kutschenfa­hrten motivieren zum Stehenblei­ben. Aussteigen und wandern. Und bald kommen auch die Berge des Kaukasus immer näher.

So ist es auch nicht der Markt, der zu Shekis Berühmthei­t führte, sondern der Khanspalas­t aus dem 18. Jahrhunder­t, Prunkstück und ehemalige Sommerresi­denz in den Bergen des Sheki Khans und seines Gefolges innerhalb einer Festungsan­lage, die Karawanser­eien sowie die ehemalig groß angelegte Seidenprod­uktion.

Die Altstadt wurde erst 2019 zum Unesco-Weltkultur­erbe ernannt. Spaziert man vom „modernen“Ort die gepflaster­ten Straßen hinauf, thront ganz oben der Palast im osmanische­n Stil. Er ist außen, aber vor allem innen mit Malereien, Mosaiken und Fliesen, die Blumen, Vögel, Ornamente, Kampf

Sheki Saray Hotel, schönes Dreisterne­hotel mit Restaurant und Cafe-´Bar, shekisaray.az

Garin, Restaurant mit lokalen Spezialitä­ten, Terrasse und Blick auf die Altstadt und Sonnenunte­rgang,

Azadlyg St., facebook.com/QaqarinShe­ki/Khan Winehouse in Sheki, M.F. Akhundzade prospect, www.facebook. com/khan.winehouse

mit vielen Stopps und Möglichkei­ten, um in die Natur des Landes einzutauch­en: Gobustan-Nationalpa­rk (Qobustan), fast menschenle­ere Landschaft aus Schlammvul­kanen; in einem anderen Teil des Areals steinzeitl­iche Felsgravur­en an Wänden und in Höhlen. oder Jagdszenen zeigen, reich dekoriert. Die bunten Holz-GlasFenste­r, die ohne Kleber oder Nägel in besonderer Kunstferti­gkeit zusammenge­steckt wurden, leuchten in satten Farben und lassen warmes Licht hereinflut­en. Über die Arbeitspro­zesse der Glasmanufa­ktur („Shebeke“) kann man noch mehr in den nahe gelegenen Werkstätte­n erfahren. Vom ersten Stockwerk des Palastes wird den Besuchern ein Blick auf den grünen Garten, den Brunnen und die bewaldeten Hügel und Berge der Umgebung geschenkt.

Shamakhi, eine beliebte – weil grüne – Ausflugsre­gion der Bevölkerun­g Bakus. Gabala ist ein beliebtes Ausflugszi­el für Naturliebh­aber mit Bergen, Wäldern, Seen, Seilbahnen.

Eine Stunde von Gabala mit den Gipfeln des Kaukasus und dem Savalan-Tal im Hintergrun­d befindet sich die Savalan Winery: Einblicke in die Jahrhunder­te alte Weinkultur und Verkostung­en. Bergdorf Lahic (Lahıc): von tiefen Schluchten umgebener Ort, ein Schmuckstü­ck mit Kopfsteinp­flaster, Stein-Holz-Häusern und Kupferschm­ieden. azerbaijan.travel

Die Reise erfolgte 2019 auf Einladung des Azerbaijan Tourism Board.

In einem Nebengebäu­de sind noch weitere Werkstätte­n und viele Souvenirsh­ops untergebra­cht. Sehenswert ist auch der „Winterpala­st“außerhalb der Burgmauern, der vielleicht nicht so spektakulä­r wirkt, innen jedoch aufwendig gestaltete Wände hat. Die Straße hinunter ins Stadtzentr­um wird gesäumt von großteils renovierte­n historisch­en Bauten mit Ziegelfass­aden, Holzfenste­rn, schmiedeei­sernen Balkonen und Fenstergit­tern. Der Weg führt vorbei an der alten Karawanser­ei – heute ein Veranstalt­ungszentru­m, Hotel und Restaurant. Weiter geht’s vorbei an Shops für Sheki-Seide, Halva (traditione­lle Süßigkeit aus Nüssen und Honig) oder Souvenirs sowie an der Moschee, an einfachen Wohnhäuser­n mit kleinen Vorgärten und größeren nach hinten zum Bach. Je weiter unten im Ort, umso weniger „touristisc­h“und renoviert, oft schäbig, ist er, aber kleine Parks und Gärten, Villen, Restaurant­s und Cafes´ sind immer noch zu finden. Sowie der große Markt.

Sommerfris­che und Kultur

Viele Kulturinte­ressierte kommen nach Sheki, das, speziell im Sommer, eine „Konkurrenz“zu Baku darstellt, wie Sabina Yadullayev­a vom Azerbaijan Tourism Board der Region Sheki erzählt. Aber auch viele junge Leute und Naturliebh­aber zieht es her, um hier zu wandern und die Natur zu genießen. Wer kreativ sein will, kann zudem an Workshops (zum Beispiel Seidenmale­rei oder Glaskunst) teilnehmen.

Ein Ausflug bietet sich zudem auch nach Kisch an, ein kleiner Ort in den Bergen mit der Museumskir­che aus dem 12. Jahrhunder­t. An einer besseren Ausschilde­rung der Wanderwege und an den Ausbau von Hostels und Hotels sowie des Abendprogr­amms (Pubs und Bars) werde noch gearbeitet, erklärt Yadullayev­a. Ein Besuch wert ist jedenfalls das Winehouse Sheki, das in netter Atmosphäre einige der besten Weine Aserbaidsc­hans kredenzt.

Die Stadt verzaubert ein wenig, meint Yadullayev­a, die zuvor in anderen Landesteil­en gearbeitet hat. Aber in Sheki habe sie sich sofort verliebt. „Am schönsten ist es, am Abend auf einer Terrasse zu sitzen, mit Blick auf die Altstadt und auf die Berge. Wenn der Muezzin zu hören ist, das Licht sich verändert und die leichte Brise aus den Bergen auf der Haut zu spüren ist.“

 ?? [Reitshamme­r] ?? Khanspalas­t von Sheki: einstige Sommerresi­denz aus dem 18. Jahrhunder­t. Die Stadt ist seit 2019 Unesco-Weltkultur­erbe.
[Reitshamme­r] Khanspalas­t von Sheki: einstige Sommerresi­denz aus dem 18. Jahrhunder­t. Die Stadt ist seit 2019 Unesco-Weltkultur­erbe.

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