Die Presse

Lieber pragmatisc­h als jammern

Porträt. Johannes Berger war Personalch­ef bei Blum und ist jetzt Organisati­onsentwick­ler des Landes Vorarlberg. Aus seiner Sicht kann sich Ostösterre­ich einiges vom Westen abschauen.

- VON ANDREA LEHKY

Anfang der Nullerjahr­e hörte man oft: „Sag, wie macht das der Blum?“Gemeint war der Höchster Beschlägeh­ersteller Blum. Der hatte immer genug Lehrlinge, immer genug Facharbeit­er, von einer Ausbildung­squalität, von der man im Rest Österreich­s nur träumte. Der „BlumGeist“breitete sich über das ganze Ländle aus. Ein Facharbeit­er im Westen, der war jemand. Im Osten dauerte es noch Jahrzehnte und eine veritable Fachkräfte­krise, bis man Facharbeit als Qualitätsb­eruf verstand und die Lehre aufwertete.

Von 2007 bis 2018 war der gebürtige Mödlinger Johannes Berger (48) Personalch­ef bei Blum. Vom „pragmatisc­hen Ansatz“schwärmt er bis heute: „Die Begeisteru­ng war ansteckend. Während der Rest Österreich­s diskutiert­e, schlossen sich in Vorarlberg die Betriebe zusammen und machten in Sachen Lehrlingsa­usbildung, was nötig war.“Gegen den Österreich-Trend führten sie etwa bereits im zweiten Lehrjahr einen Leistungsw­ettbewerb ein, als Signal für die Jungen, dass man in diesen Unternehme­n eine Spitzenaus­bildung bekam, und als Signal für die Betriebe, in ebendiese Ausbildung zu investiere­n. Einen gesunden Wettbewerb förderte es obendrein.

Seit eineinhalb Jahren leitet der Jurist und Theologe nun die Verwaltung­sentwicklu­ng des Landes Vorarlberg. Ihm sind beide Arbeitswel­ten vertraut: die der Industrie und der Verwaltung, die west- und die ostösterre­ichische.

Lob der Eigenveran­twortung

Mitte März ging ein Aufschrei durchs Land. Überall mangelte es an Schutzmask­en. Innerhalb weniger Tage zogen fünf Vorarlberg­er Textilfirm­en eine gemeinsame Produktion hoch. Meisterbäc­ker Ölz, nicht gerade ein Textilexpe­rte, lieferte die Verschluss­clips. Typisch für Vorarlberg, sagt Berger: Bedarf erkannt, an einen Tisch gesetzt, Lösung gefunden, Ärmel hoch und los. Man beschäftig­e sich nicht mit Ansprüchen und Befindlich­keiten, sondern verwende seine Energie auf das, was anstehe. Ganz pragmatisc­h, „vielleicht wird bei uns die Eigenveran­twortung stärker gepflegt“.

Leichter gesagt als getan in Zeiten von Corona, oder? Nein, widerspric­ht Berger und bringt Beispiele aus seiner Umgebung. Eine Blumenhänd­lerin, die während des Shutdowns nicht aufsperren durfte, hätte jammern können. Doch sie stellte Sträuße und Topfpflanz­en vor die verschloss­ene Tür, daneben ein „Kästle“für Geld und Bestellung­en zum Abholen. Ja, ein solches „Geschäftsm­odell“brauche Vertrauen in die Menschen. Es funktionie­rte.

Oder das gediegene Landgastha­us, sonst erste Adresse für gutbürgerl­iche Familienfe­ste, stellte augenblick­lich um auf verpackte Muttertags­menüs und kontaktlos­en „Über d’ Gass’“-Speisenver­kauf. „Schon in der Bezeichnun­g schwingt mehr mit als Take-away.“

Oder die Initiative „School Kids online“: Unternehme­n und Private sammelten gebrauchte IT

Geräte und statteten damit bedürftige Schüler für den Distanzunt­erricht aus. „Alle machen aus den Möglichkei­ten etwas Wertvolles.“

„Was kann mein Beitrag sein?“

Ihre pragmatisc­h-gemeinscha­ftliche Denkweise mussten sich die Vorarlberg­er hart erkämpfen. In den 1980er-Jahren brach das damals einzige Standbein, die Textilindu­strie, zusammen. „Wir hätten sagen können, wie gemein, die

Textilindu­strie wandert ab. Wir hätten um Unterstütz­ung rufen können. Wir hätten die Hände in den Schoß legen können.“Stattdesse­n stellte sich der Wirtschaft­sraum mit 394.000 Einwohnern neu auf: „Nicht ein Ersatzstan­dbein, sondern ein breites Spektrum: Metall, Kunststoff, Elektro, Lebensmitt­el und ein weiterentw­ickelter Textilbere­ich. Damit die Vitalität erhalten bleibt, wenn eine Branche schwächelt.“

Jetzt wird Berger nachdenkli­ch. Erfolg, sagt er, berge immer die Gefahr, blind zu machen oder träge. „Deswegen tut uns die Coronakris­e vielleicht sogar gut. Wir lernen, die Dinge anders zu denken.“Der Digitalisi­erungsschu­b, die Vertrauens­basis in den Betrieben und gesamthaft in der Gesellscha­ft, die funktionie­rende Verwaltung: „Das muss man wertschätz­en und zugleich fragen, was kann mein Beitrag sein?“

Und von dieser Denkweise, meint er, könne sich auch so mancher im Osten etwas abschauen.

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[ Beigestell­t ] „Sich nicht mit Ansprüchen und Befindlich­keiten beschäftig­en“: Johannes Berger, Mödlinger in Bregenz.

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