Lieber pragmatisch als jammern
Porträt. Johannes Berger war Personalchef bei Blum und ist jetzt Organisationsentwickler des Landes Vorarlberg. Aus seiner Sicht kann sich Ostösterreich einiges vom Westen abschauen.
Anfang der Nullerjahre hörte man oft: „Sag, wie macht das der Blum?“Gemeint war der Höchster Beschlägehersteller Blum. Der hatte immer genug Lehrlinge, immer genug Facharbeiter, von einer Ausbildungsqualität, von der man im Rest Österreichs nur träumte. Der „BlumGeist“breitete sich über das ganze Ländle aus. Ein Facharbeiter im Westen, der war jemand. Im Osten dauerte es noch Jahrzehnte und eine veritable Fachkräftekrise, bis man Facharbeit als Qualitätsberuf verstand und die Lehre aufwertete.
Von 2007 bis 2018 war der gebürtige Mödlinger Johannes Berger (48) Personalchef bei Blum. Vom „pragmatischen Ansatz“schwärmt er bis heute: „Die Begeisterung war ansteckend. Während der Rest Österreichs diskutierte, schlossen sich in Vorarlberg die Betriebe zusammen und machten in Sachen Lehrlingsausbildung, was nötig war.“Gegen den Österreich-Trend führten sie etwa bereits im zweiten Lehrjahr einen Leistungswettbewerb ein, als Signal für die Jungen, dass man in diesen Unternehmen eine Spitzenausbildung bekam, und als Signal für die Betriebe, in ebendiese Ausbildung zu investieren. Einen gesunden Wettbewerb förderte es obendrein.
Seit eineinhalb Jahren leitet der Jurist und Theologe nun die Verwaltungsentwicklung des Landes Vorarlberg. Ihm sind beide Arbeitswelten vertraut: die der Industrie und der Verwaltung, die west- und die ostösterreichische.
Lob der Eigenverantwortung
Mitte März ging ein Aufschrei durchs Land. Überall mangelte es an Schutzmasken. Innerhalb weniger Tage zogen fünf Vorarlberger Textilfirmen eine gemeinsame Produktion hoch. Meisterbäcker Ölz, nicht gerade ein Textilexperte, lieferte die Verschlussclips. Typisch für Vorarlberg, sagt Berger: Bedarf erkannt, an einen Tisch gesetzt, Lösung gefunden, Ärmel hoch und los. Man beschäftige sich nicht mit Ansprüchen und Befindlichkeiten, sondern verwende seine Energie auf das, was anstehe. Ganz pragmatisch, „vielleicht wird bei uns die Eigenverantwortung stärker gepflegt“.
Leichter gesagt als getan in Zeiten von Corona, oder? Nein, widerspricht Berger und bringt Beispiele aus seiner Umgebung. Eine Blumenhändlerin, die während des Shutdowns nicht aufsperren durfte, hätte jammern können. Doch sie stellte Sträuße und Topfpflanzen vor die verschlossene Tür, daneben ein „Kästle“für Geld und Bestellungen zum Abholen. Ja, ein solches „Geschäftsmodell“brauche Vertrauen in die Menschen. Es funktionierte.
Oder das gediegene Landgasthaus, sonst erste Adresse für gutbürgerliche Familienfeste, stellte augenblicklich um auf verpackte Muttertagsmenüs und kontaktlosen „Über d’ Gass’“-Speisenverkauf. „Schon in der Bezeichnung schwingt mehr mit als Take-away.“
Oder die Initiative „School Kids online“: Unternehmen und Private sammelten gebrauchte IT
Geräte und statteten damit bedürftige Schüler für den Distanzunterricht aus. „Alle machen aus den Möglichkeiten etwas Wertvolles.“
„Was kann mein Beitrag sein?“
Ihre pragmatisch-gemeinschaftliche Denkweise mussten sich die Vorarlberger hart erkämpfen. In den 1980er-Jahren brach das damals einzige Standbein, die Textilindustrie, zusammen. „Wir hätten sagen können, wie gemein, die
Textilindustrie wandert ab. Wir hätten um Unterstützung rufen können. Wir hätten die Hände in den Schoß legen können.“Stattdessen stellte sich der Wirtschaftsraum mit 394.000 Einwohnern neu auf: „Nicht ein Ersatzstandbein, sondern ein breites Spektrum: Metall, Kunststoff, Elektro, Lebensmittel und ein weiterentwickelter Textilbereich. Damit die Vitalität erhalten bleibt, wenn eine Branche schwächelt.“
Jetzt wird Berger nachdenklich. Erfolg, sagt er, berge immer die Gefahr, blind zu machen oder träge. „Deswegen tut uns die Coronakrise vielleicht sogar gut. Wir lernen, die Dinge anders zu denken.“Der Digitalisierungsschub, die Vertrauensbasis in den Betrieben und gesamthaft in der Gesellschaft, die funktionierende Verwaltung: „Das muss man wertschätzen und zugleich fragen, was kann mein Beitrag sein?“
Und von dieser Denkweise, meint er, könne sich auch so mancher im Osten etwas abschauen.