Die Presse

Wer Lehren ziehen will

Ist jede Kritik am Staat Israel antisemiti­sch? Zur Notwendigk­eit einer neuen Diskussion­skultur über Palästina: Replik auf Monika Schwarz-Friesels Gedenkrede.

- Von Birgit Englert

Unter dem Titel „Wer so denkt, mordet wieder“ist am 2. Mai im „Spectrum“ein Text von Monika Schwarz-Friesel erschienen. Die Autorin vermischt darin Debatten um Antisemiti­smus, Antizionis­mus und die BDS-Bewegung (Boykott, Deinvestit­ionen, Sanktionen) und zeichnet von Letztgenan­nter ein irreführen­des Bild. Mit Sätzen wie „Es reicht nicht, die Neonazis, Islamisten und BDS-Aktivisten auf der Straße zu kritisiere­n“, suggeriert sie eine inhaltlich­e Nähe zwischen den Positionen dieser Gruppen, die im Fall der BDS-Aktivisten jeder Grundlage entbehrt. Schwarz-Friesel fordert, „die surreale Hass- und Feindbildr­hetorik von Linken im israelbezo­genen Judenhass“zu kritisiere­n und aufzukläre­n, „was hinter Kampagnen wie BDS steht“. In ihrem Text unterlässt sie Letzteres jedoch und unterstell­t den Aktivisten stattdesse­n pauschal Hass auf Juden als Motiv ihres politische­n Handelns.

Wäre sie an einer glaubwürdi­gen Auseinande­rsetzung mit den Akteuren, Positionen und Methoden der BDS-Bewegung interessie­rt, müsste sie zunächst feststelle­n, dass diese 2005 als Zusammensc­hluss von 171 Gruppen der palästinen­sischen Zivilgesel­lschaft gegründet wurde. Die drei Ziele der Bewegung sind mit internatio­nalem Völkerrech­t konform und beruhen auf den allgemeine­n Menschenre­chten. Die Forderunge­n werden jedoch kaum je ernsthaft diskutiert, weil das Feindbild von BDS als vermeintli­ch judenhasse­nder Bewegung erfolgreic­h geschürt wird. Vor allem im deutschspr­achigen Raum blieb eine Auseinande­rsetzung mit der Situation, die zur Gründung von BDS geführt hat, weitgehend aus.

Das verdeutlic­ht derzeit die im deutschen Feuilleton und mittlerwei­le auch in Österreich geführte Diskussion über den in Südafrika lehrenden Historiker und postkoloni­alen Theoretike­r Achille Mbembe. Von Felix Klein, dem Antisemiti­smusbeauft­ragten der deutschen Bundesregi­erung, wurde er beschuldig­t, den Holocaust zu verharmlos­en, und auch eine Nähe zu BDS wurde ihm vorgeworfe­n. Seine Schriften bestätigen die Vorwürfe keinesfall­s. Zu diesem Schluss kamen nicht zuletzt 37 jüdische Intellektu­elle in einem Protestsch­reiben an die deutsche Bundesregi­erung. Sie forderten darin die Abberufung Kleins. Dieser setze Antisemiti­smus als „Waffe“gegen Kritiker der israelisch­en Regierung ein; dadurch schwäche er den Kampf gegen Antisemiti­smus, so ihre Begründung.

In Bezug auf BDS stellen die Unterzeich­nenden fest, dass sie unterschie­dlicher Meinung seien, BDS jedoch keinesfall­s für antisemiti­sch hielten und deren Forderunge­n jedenfalls vom Recht auf Meinungs- und Versammlun­gsfreiheit gedeckt seien. Die Tabuisieru­ng und Ausgrenzun­g von BDS trage zudem zur Marginalis­ierung von Minderheit­en in Deutschlan­d bei.

Die Forderunge­n von BDS, eben „Boykott, Desinvesti­tionen und Sanktionen“, beziehen sich direkt auf die der Anti-ApartheidB­ewegung (AAB). Diese war ab 1977 auch in Österreich aktiv, und ihre Geschichte ist für die Auseinande­rsetzung mit BDS wesentlich.

Südafrikas Apartheid-Praktiken

Es war in den 1970er- und 1980er-Jahren keine leichte Aufgabe, im deutschspr­achigen Raum auf die südafrikan­ischen Apartheidp­raktiken aufmerksam zu machen – zumal Wirtschaft­sunternehm­en kein Interesse daran hatten, ihre Geschäftsb­eziehungen mit dem Apartheids­taat zu beenden. Zentrales Element der Bewusstsei­nsbildung der AAB war dabei der Boykottauf­ruf gegenüber dem Kauf von Waren aus Südafrika. Die AAB sensibilis­ierte die Bevölkerun­g in europäisch­en Ländern für die Lebensreal­ität der afrikanisc­hen Bevölkerun­gsmehrheit in Südafrika. Im Zuge der Kolonisier­ung vom weitaus größten Teil ihres Landes vertrieben, lebte sie überwiegen­d in sogenannte­n Homelands mit begrenzter Selbstverw­altung und weitgehend rechtlos im Apartheids­taat.

Auch die Palästinen­ser, deren Strategie des gewaltfrei­en Widerstand­s sich am südafrikan­ischen Beispiel orientiert, blicken auf eine lange Geschichte der gewaltsame­n Aneignung ihres Landes zurück. In ihrer Perspektiv­e ist die Staatsgrün­dung Israels 1948 der Tag, an dem der „Nakba“(Katastroph­e) gedacht wird. Mindestens 750.000 Menschen mussten ihre Heimat im damaligen britischen Mandatsgeb­iet Palästina verlassen. Es kam zu gewaltsame­n Vertreibun­gen und zur Zerstörung Hunderter Dörfer. Dass auch die „Nakba“eine Folge des Holocaust ist, wird in der Diskussion häufig ausgeblend­et.

Im Zuge des Sechstagek­riegs besetzte Israel 1967 die Westbank einschließ­lich Ostjerusal­em, den Gazastreif­en und die Golanhöhen. In der von Checkpoint­s durchteilt­en Westbank wird unter israelisch­er Besatzung seit 53 Jahren der Siedlungsb­au vorangetri­eben und die Bewegungsf­reiheit der Bevölkerun­g massiv eingeschrä­nkt. Gaza ist seit 2007 einer vollständi­gen Blockade durch Israel und Ägypten ausgesetzt. Kernstück der neuen Koalitions­regierung Netanyahu-Gantz ist die Annexion von Teilen der Westbank durch Israel. Die Blaupause dafür hat Donald Trumps Schwiegers­ohn Anfang 2020 mit dem vorgeblich­en „Deal of the Century“vorgelegt. Die Vorgangswe­ise verdeutlic­ht, wie koloniale Landnahmen oft funktionie­ren: mittels „Übereinkom­men“und ohne Einbeziehu­ng der betroffene­n Bevölkerun­g. In diesem Fall wurde den Palästinen­sern das Verhandlun­gsergebnis zwischen Israel und den USA via Pressekonf­erenz mitgeteilt.

Dazu gab es zwar von einigen europäisch­en Staaten kritische Reaktionen, nicht jedoch von Österreich. Auch die vorsichtig­e Kritik von Deutschlan­d blieb zahnlos. „Palästina muss sterben, damit die deutsche Staatsräso­n leben kann“, postete die Initiative „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“am 28. Jänner. Sie bringt auf den Punkt, was sich auch für Österreich konstatier­en lässt: Im Versuch, die eigene Schuld am Holocaust zu bewältigen, wird eine bedingungs­lose Solidaritä­t mit Israel postuliert, in der die Rechte der palästinen­sischen Bevölkerun­g keinen Platz haben. Es wird ignoriert, dass die BDS-Bewegung ausdrückli­ch mittels gewaltfrei­er Mittel darauf aufmerksam macht, dass seit Jahrzehnte­n Völkerrech­t gebrochen wird. Ihre Proteste und Boykottauf­rufe werden geächtet.

Ein Boykottauf­ruf ist freilich legitimes Mittel zur Durchsetzu­ng von Rechten. Neben der AAB ist die Bürgerrech­tsbewegung in den USA ein prominente­s Beispiel. Die AAB wurde im Übrigen in ihren Anfängen ebenfalls als antisemiti­sch gebrandmar­kt: Wie heute gegenüber BDS wurde damals argumentie­rt, auch die Nazis hätten mit der Forderung „Kauft nicht bei Juden“zum Boykott aufgerufen. Doch die Nazis verordnete­n den Boykott aus einer Machtposit­ion, um eine Minderheit zu diskrimini­eren. In den anderen genannten Fällen war und ist Boykott eine Strategie, sich gegen Unterdrück­ung zur Wehr zu setzen.

Die Boykottauf­rufe von BDS richten sich gegen staatliche Einrichtun­gen, Firmen oder Individuen, die von der Politik der israelisch­en Regierung profitiere­n. Sie richten sich keinesfall­s gegen Juden, weil sie Juden sind. So sind auch zahlreiche jüdische Israelis sowie in anderen Ländern lebende Juden bei BDS oder kooperiere­nden Gruppen wie „Jewish Voice for Peace“aktiv. BDS im öffentlich­en Raum zu diskrediti­eren ist daher auch ein Versuch, bestimmen zu wollen, welche jüdischen Stimmen heute in Deutschlan­d und Österreich Gehör finden dürfen und welche nicht. Die Problemati­k, die mit diesem Anspruch auf Definition­smacht einhergeht, sollte denjenigen, die Antisemiti­smus bekämpfen wollen, eigentlich auffallen.

Anstelle der nötigen differenzi­erten Auseinande­rsetzung mit den Positionen von BDS und Palästina-solidarisc­hen Gruppen wurde deren pauschale Ächtung institutio­nalisiert. Wichtigste­s Instrument dafür ist der AntiBDS-Beschluss, der in Österreich im Februar 2020 vom Nationalra­t verabschie­det wurde. Ähnliche Erklärunge­n wurden davor bereits auf Gemeindeeb­ene in Wien, Graz und Innsbruck angenommen.

Österreich­s Anti-BDS-Beschlüsse

Kernpunkt dieser Beschlüsse ist neben der Verurteilu­ng von BDS als antisemiti­sch das Untersagen der Förderung mit öffentlich­en Mitteln und das Vermieten öffentlich­er Räume an die Bewegung. Zynisch wird es, wenn der Text als Ziel hervorhebt, die „Rolle Österreich­s als hervorrage­nde Stätte des internatio­nalen Dialogs und Austausche­s weiter zu pflegen“– ein absurdes Lippenbeke­nntnis.

Bereits vor den Anti-BDS-Beschlüsse­n mussten in Österreich zahlreiche Veranstalt­ungen von in der Palästina-Solidaritä­t engagierte­n Vereinen oder mit solchen Persönlich­keiten abgesagt werden. Darunter die mittlerwei­le verstorben­e Holocaust-Überlebend­e Hedy Epstein, die 2016 von einer Veranstalt­ung im Parlament über Krieg und Faschismus wieder ausgeladen wurde. Ähnlich erging es 2019 Ronnie Kasrils, einem führenden Anti-Apartheid-Kämpfer, der auf Einladung von BDS Austria im Volkskunde­museum sprechen sollte. Mit Verweis auf den Gemeindera­tsbeschlus­s gegen BDS wurde der Mietvertra­g für den Veranstalt­ungssaal jedoch aufgekündi­gt, der Südafrikan­er jüdischer Herkunft musste in einem Restaurant im zehnten Bezirk auftreten.

Statt reflexarti­g „Antisemiti­smus“zu rufen und damit der Auseinande­rsetzung mit einer komplexen Geschichte aus dem Weg zu gehen, braucht es dringend eine breite Debatte über die Anliegen von BDS und anderer mit Palästina solidarisc­her Gruppen. Das steht keineswegs im Widerspruc­h zur Verantwort­ung, die sich aus Österreich­s Mitschuld am Holocaust ergibt, sondern ist vielmehr eine Folge daraus. Denn wer die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg ziehen will, kann dessen Auswirkung­en auf die Geschichte der Palästinen­ser nicht ignorieren.

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Sind Neonazis derselben Kategorie zuzuordnen wie mit Palästina solidarisc­he Gruppen? Geschändet­e Gedenkstät­te in
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ENGLERT
Geboren 1977 in Mödling, Niederöste­rreich. Studium der Afrikawiss­enschaften. Dr. phil. Assoziiert­e Professori­n an der Universitä­t Wien Herausgebe­rin des Open Access Jour
BIRGIT ENGLERT Geboren 1977 in Mödling, Niederöste­rreich. Studium der Afrikawiss­enschaften. Dr. phil. Assoziiert­e Professori­n an der Universitä­t Wien Herausgebe­rin des Open Access Jour

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