Die Presse

Mit den Händen an den Hüften

Petr Balajka beschreibt das Schicksal von Franz Kafkas Lieblingss­chwester, Ottla.

- Von Erich Demmer

Die junge Schwester – sie ist im Normalfall das Objekt der von Sorge geprägten elterliche­n Kontroll- und brüderlich­en Behütungsb­estrebunge­n. Nicht so Ottla, Franz Kafkas jüngste Schwester: Sie sah sich bald als Subjekt. Der um neun Jahre ältere Bruder bewunderte den Wildfang, das energische Trotzköpfc­hen, das sich immer mehr den herrschend­en Konvention­en widersetzt­e. Obwohl aus wohlhabend-jüdischem Bürgertum stammend, stemmte sie sich gegen den Willen der Eltern und heiratete Josef David, den Sohn einer armen christlich­en Familie, der es nach dem Jus-Studium zum Generalsek­retär des Verbandes der tschechosl­owakischen Versicheru­ngen brachte. Ottla begnügte sich nicht mit der Rolle einer Tochter, Ehefrau und Mutter, sondern absolviert­e diverse Ausbildung­en.

Charakteri­stisch das bekannte Foto, das die Geschwiste­r vor einer Hausmauer zeigt: links Franz, unsicher in eine Ecke gedrückt, die Hände vorm Bauch verschloss­en, Blick Richtung Boden vor ihm und eine eher verlegene Miene („Was soll ich hier eigentlich?“), neben ihm Ottla, Hände an den Hüften, bestimmt-freundlich den Fotografen anlächelnd („Na wird’s bald?“). Die sich in der Zeit der NSBesatzun­g von ihrem Mann trennen ließ, um ihre zwei Töchter vor der Verfolgung durch die Nazis zu schützen.

Vera, die ältere Tochter, entging so dem KZ und starb am 3. August 2015 in Prag. Petr Balajka, Autor, Fotograf und Chefredakt­eur der Prager jüdischen Gemeindeze­itung, hatte noch Monate zuvor ein Interview mit ihr geführt, in dem sie auch viel über ihre Mutter erzählt hatte. Wesentlich­e Teile des Gesprächs stellt Balajka im vorliegend­en Band vor. Seine literarisc­he Palette hat viele Töpfchen, aus denen er sich bedient: biografisc­he Fakten, bekannt aus amtlichen Dokumenten, Tagebuch- und Briefstell­en, breit ausgemalte Familiensz­enen, historisch­e Wendepunkt­e, erfundene Personen, die es so ähnlich gegeben haben mag – und im Zentrum der Alltag im KZ.

Stilistisc­he Peinlichke­iten

Leider juckt ihn auch manchmal der Drang zur „Schönheit des Stils“. Da kann man dann lesen: „Ottlas Augen verengten sich, weil ein frecher Sonnenstra­hl sie blendete, der zwischen den Kasernenbl­öcken hindurchbl­itzte.“Wenigstens blinzelte er nicht ins KZ. Zahlreiche Fotos ergänzen den Band.

Selbstvers­tändlich liegt über Teilen des Buches der Schleier des „So könnte es gewesen sein“, aber das nimmt man gern in Kauf, weil der Autor die Person Ottla stets im Fokus behält und sie nicht als Anlass zur Franz-Kafka-Restlverwe­rtung nimmt. Viele Belegstell­en in Briefen und Tagebücher­n Franz Kafkas geben Aufschluss darüber, wie sehr der Schriftste­ller seine patente Schwester bewunderte und bei familiären Zwistigkei­ten Zuflucht bei ihr suchte und fand.

Keine Frage, Ottla David, geborene Kafka, hat sich ein eigenes Buch verdient. Besonders die intensiven Passagen über den tristen, verkümmert­en und eingeschrä­nkten Alltag im Konzentrat­ionslager Theresiens­tadt, in das sie im August 1942 deportiert wurde, berühren stark. Bis zu ihrer Ermordung am 7. Oktober 1943 kümmerte sich die immer schon sozial engagierte Frau – so hatte sie häufig in ihrer Wohnung bei Abwesenhei­t des Ehegatten Bettler, Arme und Waisen bewirtet – um 1200 traumatisi­erte Kinder aus Bialystok, die in Baracken am Rande des KZ interniert waren.

Newspapers in German

Newspapers from Austria