„Wollten Gesellschaft aufbrechen“
Interview. Zu ihrem 80. Geburtstag am Sonntag erzählt VALIE EXPORT der „Presse“, warum sie ihre Zeit in der Klosterschule nicht missen will und warum sie sich über Wikipedia ärgert.
Zu ihrem 80. Geburtstag am Sonntag erzählt VALIE EXPORT der „Presse“, warum sie ihre Zeit in der Klosterschule nicht missen will und worüber sie sich ärgert.
Die Presse: Wie werden Sie denn Ihren Geburtstag am Sonntag verbringen?
VALIE EXPORT: Meine Familie kommt mich besuchen, ich freue mich sehr.
Sie selbst hatten eine bewegte Jugend, waren in Linz in der Klosterschule, haben mit 18 geheiratet und ein Kind bekommen. Ist das weit weg für Sie?
Im Rückblick ist es nicht weit weg. Die Zeit bei den Kreuzschwestern in Linz war auch nicht beengend, es war eine sehr wichtige Zeit. Ich war die Jüngste im Internat und habe dort gelernt, mich selbst zu präsentieren, mein Territorium zu verteidigen, meine Umgebung selbst zu formen. Das muss man auch in einer Familie. Aber in einem etwas anonymeren Bereich fällt es leichter, sich selbst zu definieren, das ist sehr gesund.
Kurz darauf ließen Sie all das zurück und gingen nach Wien.
Ich wollte weg aus Linz, dort gab es eine, vielleicht zwei Galerien. In Wien habe ich dann Textildesign studiert, aber schon während der Ausbildung wusste ich, dass ich den Beruf nicht ausüben werde.
Wie kamen Sie in Kontakt mit der Wiener Avantgarde? War das Zufall?
Nein, ich bin schon vorher immer wieder per Autostopp aus Linz nach Wien gefahren und habe Namen und Galerien gekannt. Vor allem aber hatte ich durch meine Klassenkameradin Ingrid Schuppan, später Ingrid Wiener, direkten Kontakt zur Wiener Gruppe – da ging es dann gleich ins Hawelka und die Adebar.
Mit ihr zusammen haben Sie auch Teppiche für Hundertwasser gewebt.
Ja, zwei oder drei. Einer war sogar ein Dieter-Roth-Gobelin. Aber dann habe ich bald begonnen, Spielfilme zu drehen, und konnte nicht mehr so oft nach Berlin fahren, wo Ingrid schon lebte, um mit ihr zu weben.
In Ihrem Wikipedia-Eintrag habe ich die mir unbekannte Geschichte gefunden, dass Peter Weibel Sie Hundertwasser sozusagen ausgespannt hätte.
Ja, es ist furchtbar! (Lacht.) Das stimmt natürlich überhaupt nicht, es ist lächerlich. Ich hoffe, man weiß, dass man Wikipedia nicht einfach zitieren sollte. Ich habe diese Behauptung nachverfolgt, sie kommt aus einer Publikation von Werner Schimanovich, einem guten Freund von Weibel.
Warum ändern Sie das nicht?
Ich hätte am liebsten gar keinen Eintrag, aber das ist schwieriger, als man denkt. Es steht ja noch mehr Blödsinn drinnen.
Sie haben mit Weibel zusammen einige Ihrer bekanntesten Aktionen gemacht, das Tapp- und Tastkino etwa, wofür Sie eine Box vor Ihrem nackten Oberkörper trugen, in die Passanten unter Aufsicht greifen durften. Für 33 Sekunden, warum? Ich habe das Tapp- und Tastkino nicht mit Weibel zusammen gemacht, es ist ein künstlerisches Werk von mir, wie man nachlesen kann (Anm. „Wien. Bildkompendium Wiener Aktionismus und Film. Hg. Weibel, Peter u. Valie Export) nachlesen kann. Die 33 Sekunden kamen von John Cage natürlich, 4’33 Stille! Bei meinen Anfangspräsentationen war die Kinozeit übrigens zwölf Sekunden, ich habe die Zeit immer mit einer Stoppuhr kontrolliert.
Gut, Cage hätte ich nicht sofort assoziiert. Sie nannten diese feministischen Aktionen „Expanded Cinema“, also erweiterten Kinoraum, wie auch die Genitalpanik-Aktion, wo Sie mit offenem Schritt durch die Reihen eines Kinos gingen. Haben Sie eine Lieblingsaktion aus dieser Zeit?
Nein. Aber es ist mir in den 60ern bewusst gewesen, in einer sehr guten Zeit zu leben, weil wir viele gesellschaftliche Veränderungen durchführen mussten und auch konnten. Wir wollten uns anstrengen, uns nicht den herrschenden Strukturen anpassen. Es war eine überraschend offene Zeit, obwohl die Gesellschaft reaktionär und geschlossen war. Aber man konnte sie aufbrechen.
Sie haben auch bei der Skandal-Aktion „Kunst und Revolution“mitgewirkt, wo 1968 im Hörsaal des NIG Künstler, Aktionisten und die Wiener Gruppe auftraten, dadaistische Reden hielten, urinierten, Sadomaso-Szenen inszenierten etc.
Ich war bei dieser Uni-Aktion im Publikum dabei, aber natürlich nicht bei der Aktion auf der Bühne. Ich habe vom Publikum aus nur den Lichtschalter bedient, weil die Technik nicht funktioniert hat und ich gefragt wurde. Ich wollte gar nicht auf die Bühne, das hat mich künstlerisch nicht gereizt, das war eine reine Macho-Angelegenheit.
Sie waren die früheste feministische Aktionskünstlerin in Wien und haben das 1967 genial an die Öffentlichkeit gebracht mit Ihrem in Versalien als Marke eingetragenen Künstlernamen.
Die Smart-Export-Zigarettenpackung habe ich im Anschluss – nach Erfindung meines Künstlernamens VALIE EXPORT – als Objekt für ein Markenzeichen für mich eingesetzt.
2015 haben Sie Ihren Vorlass an die Stadt Linz verkauft, wo man Ihnen ausgerechnet in der Tabakfabrik ein VALIE-EXPORT-Forschungscenter einrichtete.
Dort wurde früher wirklich auch die Smart Export produziert. Es ist ein unglaublicher Zufall, dass das Center jetzt genau dort ist. Die Packung wurde übrigens 1959 eingeführt, das Design basiert auf jenem von Emanuela Delignon, 1955 entworfen.
Sie haben früh Künstlerinnen sichtbar gemacht, 1975 in einer extrem wichtigen Ausstellung, „Magna“, in der Galerie St. Stephan. Viele Künstlerinnen erinnern sich heute noch daran als spielverändernd und ermächtigend.
Ich hatte diese Ausstellung 1972 schon konzipiert und bin international mit dem Konzept herumgefahren, um es anzubieten. Die stereotype Antwort war immer: Sehr interessant, aber wen soll das interessieren? In der Galerie St. Stephan konnte ich „Magna“dann in reduzierter Form verwirklichen. Die Leute sind bei der Eröffnung bis auf die
Grünangergasse hinunter gestanden. Es war die erste Frauenkunst-Ausstellung im europäischen Raum.
Es hat sich einiges verbessert für Künstlerinnen, aber es ist nicht alles gut. Braucht man heute noch so eine Ausstellung? Heute sollte man solche Ausstellungen nicht mehr wie ein Ghetto machen, so würden das viele Künstlerinnen wohl empfinden. Männer empfinden die vielen Ausstellungen, in denen nur Künstler zu sehen sind, allerdings nie so.
Die Sammlung Verbund hat den Begriff „Feministische Avantgarde“international platziert, Sie sind dabei natürlich ebenfalls vertreten. Finden Sie sich auch wieder?
Es ist sehr löblich, dass man dieses Thema aufgreift und weiterführt, aber man müsste den Begriff noch historischer definieren, schon in der Vorkriegszeit anfangen, mit den Surrealistinnen etwa. So ist das Bild nicht ganz rund. Prinzipiell fühle ich mich aber unter dem Begriff gut aufgehoben.
Wie sehen Sie die Lage der Frauen in der aktuellen Corona-Gesellschaft? Viele konstatieren gerade einen Backlash zurück zu Küche und Kindern.
Dieser Vergleich ist zu einfach. Es ist eine Krisensituation. Natürlich ist es für jede Frau speziell schwierig – Home-Office, Kinder, Haushalt. Aber man sollte nicht gleich von einer Rückkehr der kleinen Kernfamilie sprechen. Wofür ich mich vehement einsetze, ist, dass die Frauen, die in sozialen Bereichen arbeiten, die man jetzt verehrt und beklatscht hat, in Zukunft besser, angemessener bezahlt werden. Und zwar nicht nur einmal, sondern monatlich, jährlich, auf ihre gesamte Lebens- und Arbeitszeit.