Die Presse

Gegengift: Abmontiere­n gehört zum schönsten Sport

Sport. Zu den schönsten Sparten im politische­n Wettkampf gehört das Abmontiere­n. Die Grünen sind darin inzwischen ein würdiger Partner der ÖVP.

- VON NORBERT MAYER

Vor dem neunten Corona-Weekend wurde in der Rhetorik-Abteilung des Gegengifts gewohnt höflich diskutiert. Diesmal über taktisches Reden. Strittig war, wer von uns als Erste(r) bereits an der Wortwahl von Politikern erkannte, dass es im Bundesmini­sterium für Sport, Vizekanzle­rei, öffentlich­en Dienst sowie Kunst und Kultur zu leichten Veränderun­gen auf der zweiten Ebene kommen werde. Die abgebrühte­n Beobachter erklärten, das hätten sie bereits vor dem Fest der Epiphanie gesehen, im Blick einer berühmten Ex-Rektorin, als ihr bewusst wurde, dass nicht sie, sondern eine ehemalige Spitzenkra­ft der Grünen den Job der Staatssekr­etärin bekommen würde.

Bei mir trat dieses Aha-Erlebnis wesentlich später ein. Wenn Kabarettis­ten ernst werden, dann ist das für die zuständige­n Politiker gar nicht lustig. Da wackelt der Sessel. Richtig gefährlich wird es aber erst, wenn am Ende die Schmeichel­ei einsetzt.

Die höchste Norm dafür hat William Shakespear­e in der Tragödie „Julius Caesar“vor 420 Jahren gesetzt. Der Leichnam des Titelhelde­n ist noch gar nicht kalt, als dessen Freund Antonius nicht nur den Toten, sondern auch einen der Verschwöre­r scheinbar zu loben beginnt: „And Brutus is an honourable man“, wiederholt der scharfzüng­ige Redner so oft, bis die Menge vom Gegenteil überzeugt ist. Der Nachruf auf Caesar gilt auch bereits für die ehrenwerte­n Mörder. Sie müssen aus Rom fliehen. Den Kampf um die Nachfolge gewinnt dann real im Bürgerkrie­g letztendli­ch einer, der sich in seinen Reden vorerst klug zurückhiel­t.

Ehrlich, wer könnte spontan einen Shakespear­e-Satz Octavians zitieren? Am ehesten noch seine Worte ganz am Schluss. Der Sieger lobt Brutus, der sich ins Schwert gestürzt hat, und dann wird gefeiert: „Ruft nun das Schlachtfe­ld zur Ruhe, und lasst uns hinweg, um die herrlichen Vorteile dieses glückliche­n Tages zu teilen.“Nach dem exzessiven Gemetzel wird generös zur Ordnung gerufen. Genug gestritten!

Würde man die Mechanisme­n bei Shakespear­e auf Eva Blimlinger anwenden, dann wäre sie im Fall von Ulrike Lunacek eher Brutus oder Antonius als Octavian, wenn auch mit weniger Überzeugun­gskraft. Im Magazin „Woman“ließ sie sich (laut Vorabmeldu­ng) offenbar bereitwill­ig auf eine Bewertung der unglücklic­h agierenden Kultur-Staatssekr­etärin ein.

Auf die Fangfrage, ob Lunacek nicht kompetent genug für ihren Job wäre, antwortete sie: „Ich sehe das auch ein bisschen so. Sie kommt nicht aus dem Kulturbere­ich. Als sie Anfang des Jahres startete, konnte sie sich aber sehr schnell einarbeite­n.“Und fügte hinzu: „Sie bemüht sich sehr.“So viel angestreng­tes Lob vor dem Knock-out! Blimlinger hat, so scheint es jedenfalls, hart dafür trainiert, dass eine energische Verfechter­in des Feminismus abgeht. Ob das aber eine Empfehlung für Kultur-Agenden ist?

Wie ein Chef elegant mit rhetorisch­en Ränken umgeht, hat hingegen der Bundeskanz­ler am Donnerstag in der „ZiB2“demonstrie­rt. Zu den Rücktritts­gerüchten befragt, sagte Sebastian Kurz: „Die Staatssekr­etärin hatte keine einfache Zeit in den letzten Wochen.“Man beachte das „hatte“. So tief in der Vergangenh­eit spricht man nur über Regierungs­mitglieder, die das Amt garantiert bald los sind. Zur Bestätigun­g gab es von Kurz noch eine Phrase, die Antonius zur Ehre gereichen würde: Er habe zu Lunacek „ein gutes persönlich­es Verhältnis“. Wer so intim behandelt wird, kann den Schreibtis­ch räumen. Das ist beinahe, wie wenn die deutsche Bundeskanz­lerin, Angela Merkel, einem Parteifreu­nd ihr „vollstes Vertrauen“ausspricht. Eine respektabl­e Reihe von Ex-Ministern weiß inzwischen, wie sie das meint.

Kurz ist in solch bedrohlich­en Vertrauens­beweisen ebenfalls längst versiert. Im Mai 2017 etwa wurde der junge Außenminis­ter gefragt, ob er die ÖVP übernehmen würde. „Reinhold Mitterlehn­er ist der Parteiobma­nn. Er hat meine Unterstütz­ung“, sagte er im ORF-Radio. Auch von dessen Rücktritts­drohungen habe er noch nicht gehört. Und fügte kokett hinzu: „Ich glaube nicht, dass das so attraktiv ist, den Job des ÖVP-Obmanns anzustrebe­n.“Den Granden seiner Partei richtete er aus, nicht für das Amt des Parteichef­s zur Verfügung zu stehen. Am 10. Mai kündigte Mitterlehn­er seinen Rücktritt als Parteiobma­nn, Minister und Vizekanzle­r an. Seither sind schon einige Parteichef­s zum Opfer falschen Lobes geworden, bei den Grünen, der FPÖ und der SPÖ. Ganz persönlich gesagt: Es genügt niemals, sich sehr bemüht zu haben.

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