Gegengift: Abmontieren gehört zum schönsten Sport
Sport. Zu den schönsten Sparten im politischen Wettkampf gehört das Abmontieren. Die Grünen sind darin inzwischen ein würdiger Partner der ÖVP.
Vor dem neunten Corona-Weekend wurde in der Rhetorik-Abteilung des Gegengifts gewohnt höflich diskutiert. Diesmal über taktisches Reden. Strittig war, wer von uns als Erste(r) bereits an der Wortwahl von Politikern erkannte, dass es im Bundesministerium für Sport, Vizekanzlerei, öffentlichen Dienst sowie Kunst und Kultur zu leichten Veränderungen auf der zweiten Ebene kommen werde. Die abgebrühten Beobachter erklärten, das hätten sie bereits vor dem Fest der Epiphanie gesehen, im Blick einer berühmten Ex-Rektorin, als ihr bewusst wurde, dass nicht sie, sondern eine ehemalige Spitzenkraft der Grünen den Job der Staatssekretärin bekommen würde.
Bei mir trat dieses Aha-Erlebnis wesentlich später ein. Wenn Kabarettisten ernst werden, dann ist das für die zuständigen Politiker gar nicht lustig. Da wackelt der Sessel. Richtig gefährlich wird es aber erst, wenn am Ende die Schmeichelei einsetzt.
Die höchste Norm dafür hat William Shakespeare in der Tragödie „Julius Caesar“vor 420 Jahren gesetzt. Der Leichnam des Titelhelden ist noch gar nicht kalt, als dessen Freund Antonius nicht nur den Toten, sondern auch einen der Verschwörer scheinbar zu loben beginnt: „And Brutus is an honourable man“, wiederholt der scharfzüngige Redner so oft, bis die Menge vom Gegenteil überzeugt ist. Der Nachruf auf Caesar gilt auch bereits für die ehrenwerten Mörder. Sie müssen aus Rom fliehen. Den Kampf um die Nachfolge gewinnt dann real im Bürgerkrieg letztendlich einer, der sich in seinen Reden vorerst klug zurückhielt.
Ehrlich, wer könnte spontan einen Shakespeare-Satz Octavians zitieren? Am ehesten noch seine Worte ganz am Schluss. Der Sieger lobt Brutus, der sich ins Schwert gestürzt hat, und dann wird gefeiert: „Ruft nun das Schlachtfeld zur Ruhe, und lasst uns hinweg, um die herrlichen Vorteile dieses glücklichen Tages zu teilen.“Nach dem exzessiven Gemetzel wird generös zur Ordnung gerufen. Genug gestritten!
Würde man die Mechanismen bei Shakespeare auf Eva Blimlinger anwenden, dann wäre sie im Fall von Ulrike Lunacek eher Brutus oder Antonius als Octavian, wenn auch mit weniger Überzeugungskraft. Im Magazin „Woman“ließ sie sich (laut Vorabmeldung) offenbar bereitwillig auf eine Bewertung der unglücklich agierenden Kultur-Staatssekretärin ein.
Auf die Fangfrage, ob Lunacek nicht kompetent genug für ihren Job wäre, antwortete sie: „Ich sehe das auch ein bisschen so. Sie kommt nicht aus dem Kulturbereich. Als sie Anfang des Jahres startete, konnte sie sich aber sehr schnell einarbeiten.“Und fügte hinzu: „Sie bemüht sich sehr.“So viel angestrengtes Lob vor dem Knock-out! Blimlinger hat, so scheint es jedenfalls, hart dafür trainiert, dass eine energische Verfechterin des Feminismus abgeht. Ob das aber eine Empfehlung für Kultur-Agenden ist?
Wie ein Chef elegant mit rhetorischen Ränken umgeht, hat hingegen der Bundeskanzler am Donnerstag in der „ZiB2“demonstriert. Zu den Rücktrittsgerüchten befragt, sagte Sebastian Kurz: „Die Staatssekretärin hatte keine einfache Zeit in den letzten Wochen.“Man beachte das „hatte“. So tief in der Vergangenheit spricht man nur über Regierungsmitglieder, die das Amt garantiert bald los sind. Zur Bestätigung gab es von Kurz noch eine Phrase, die Antonius zur Ehre gereichen würde: Er habe zu Lunacek „ein gutes persönliches Verhältnis“. Wer so intim behandelt wird, kann den Schreibtisch räumen. Das ist beinahe, wie wenn die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, einem Parteifreund ihr „vollstes Vertrauen“ausspricht. Eine respektable Reihe von Ex-Ministern weiß inzwischen, wie sie das meint.
Kurz ist in solch bedrohlichen Vertrauensbeweisen ebenfalls längst versiert. Im Mai 2017 etwa wurde der junge Außenminister gefragt, ob er die ÖVP übernehmen würde. „Reinhold Mitterlehner ist der Parteiobmann. Er hat meine Unterstützung“, sagte er im ORF-Radio. Auch von dessen Rücktrittsdrohungen habe er noch nicht gehört. Und fügte kokett hinzu: „Ich glaube nicht, dass das so attraktiv ist, den Job des ÖVP-Obmanns anzustreben.“Den Granden seiner Partei richtete er aus, nicht für das Amt des Parteichefs zur Verfügung zu stehen. Am 10. Mai kündigte Mitterlehner seinen Rücktritt als Parteiobmann, Minister und Vizekanzler an. Seither sind schon einige Parteichefs zum Opfer falschen Lobes geworden, bei den Grünen, der FPÖ und der SPÖ. Ganz persönlich gesagt: Es genügt niemals, sich sehr bemüht zu haben.