Die Presse

Demos gegen Coronanots­tand weiten sich aus

Spanien. Am Wochenende fanden die bisher größten Protestkun­dgebungen gegen die Einschränk­ungen statt. Angesichts weiterhin hoher Infektions­zahlen verlängert­e Premier S´anchez den Ausnahmezu­stand um einen Monat.

- Von unserem Korrespond­enten RALPH SCHULZE

Madrid. Erst waren es nur Proteste an Fenstern und Balkonen. Nun gehen immer mehr Menschen in Spanien gegen die Einschränk­ungen der Bewegungsf­reiheit auf die Straße. Am Wochenende fanden die bisher größten Demonstrat­ionen statt. In vielen Städten äußerten Tausende Bürger ihren Unmut über den schon mehr als neun Wochen dauernden Ausnahmezu­stand, der nun um einen weiteren Monat verlängert werden soll.

Inzwischen sprang der Protestfun­ke von Madrid, wo die Demos vor einer Woche im großbürger­lichen Viertel Salamanca begannen, auf andere Städte über. Sevilla, Saragossa, Salamanca – überall hört man ähnliche Parolen: „Freiheit, Freiheit“, skandieren die Menschen. Und: „Rücktritt der Regierung.“Spaniens sozialisti­scher Premier Pedro Sanchez´ wird als „Mörder“bezeichnet und für die vielen Coronatote­n verantwort­lich gemacht. Viele Demonstran­ten hüllen sich in Nationalfa­hnen und rufen: „Es lebe Spanien.“

Die Protestier­enden repräsenti­eren eine Minderheit, der es aber gelingt, mit viel Lärm auf sich aufmerksam zu machen. Schon vor Wochen begannen sie, jeden Abend mit Töpfen und Kochlöffel­n am Fenster Radau zu machen. Nun, da wieder erlaubt ist, zum Sport und Spaziergan­g vor die Tür zu gehen, organisier­en sie „Spaziergän­ge für die Freiheit“.

Es ist kein Zufall, dass die Parolen dieser Protestbew­egung den Sprüchen der rechtspopu­listischen Partei Vox gleichen. Wie auch in anderen Ländern feuern die Ultrarecht­en, die in Spanien mit 15 Prozent der Stimmen drittstärk­ste Partei sind, die Kundgebung­en an. „Die repressive­n Regierungs­maßnahmen, die unsere Grundrecht­e aushebeln, werden für immer heftigere Proteste sorgen“, prophezeit Vox-Chef Santiago Abascal. Er wirft Sanchez´ vor, das Land, dessen Handel und Tourismus seit zwei Monaten stillsteht, in den wirtschaft­lichen Ruin zu treiben.

„Virus ist noch immer da“

Bei so viel Lärm geht beinah unter, dass die Beschränku­ngen inzwischen erheblich gelockert worden sind und die Wirtschaft wieder mit halber Kraft läuft. Bauindustr­ie, Fabriken und Landwirtsc­haft funktionie­ren. Geschäfte bis 400 Quadratmet­er können öffnen. Die Menschen dürfen zur Bewegung, zum Sport und nun sogar zum Shoppen auf die Straße. In den beiden Coronabren­npunkten, Madrid und Barcelona, wo das Virus am schlimmste­n gewütet hat, bleiben allerdings gastronomi­sche Terrassen noch geschlosse­n. Und auch die Kontaktspe­rre mit Personen, die nicht im eigenen Haushalt wohnen, gilt dort weiter.

„Das Virus ist immer noch da“, warnte Sanchez´ am Wochenende, obwohl sich die Lage täglich bessere. Am Sonntag wurden nur 421 Neuerkrank­ungen innerhalb von 24 Stunden gemeldet. Die Gesamtzahl der durch Tests bestätigte­n Infektione­n liegt bei 231.350. Allerdings wurden bisher nur zehn Prozent aller Coronafäll­e entdeckt, ergab eine repräsenta­tive Studie – sie schätzt die wirkliche Zahl der Infektione­n im Land auf 2,3 Millionen. Sanchez´ kündigte eine erneute Verlängeru­ng des Ausnahmezu­standes um 30 Tage an. Der Notstand, der bisher bis zum 23. Mai gilt, würde dann in der zweiten Junihälfte, parallel zum Sommerbegi­nn, auslaufen. Regionen, die bei der Epidemiebe­kämpfung größere Fortschrit­te machen, könnten früher zur Normalität zurückkehr­en.

Für den Tourismus bedeutet diese Ankündigun­g, dass es mit Glück im Sommer wieder Reisen auf Spaniens Inseln und an die Festlandkü­ste möglich sind. Auf Mallorca, den Kanarische­n Inseln und an der Festlandkü­ste ist die Epidemie bereits unter Kontrolle.

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