Die Presse

Energiewen­de auf die sanfte Tour

Klima. Die heimische Ölindustri­e will in großem Stil klimafreun­dliches (und billiges) Öl aus grünem Strom erzeugen. Die erste Anlage wird gebaut. Haben Ölheizunge­n und Verbrenner doch Zukunft?

- VON MATTHIAS AUER

Wien. Sie sind die großen Buhmänner der Klimadebat­te: All jene Unternehme­n, die Erdöl fördern, es zu Diesel, Benzin und Heizöl verarbeite­n und mit dem verpönten schwarzen Gold handeln. Egal, ob im Tank oder im Heizkessel, das Verbrennen fossiler Rohstoffe ist angesichts des fortschrei­tenden Klimawande­ls einfach nicht mehr gerne gesehen. In Österreich will die Regierung jedes Jahr hundert Millionen Euro dafür ausgeben, Menschen zum Tausch ihrer Ölheizunge­n zu bewegen. In der Mobilität laufen weltweit unzählige Milliarden Euro in die Förderung von Elektroaut­os.

All das wäre vielleicht gar nicht notwendig, wenn ein Plan aufgeht, den die heimische Erdölbranc­he geschmiede­t hat. Ihr Zugang: Wenn klimaschäd­liches Öl keine Zukunft hat, dann muss das Öl eben klimafreun­dlich werden. Und zwar diesmal nicht im Kleinkrieg gegen die Erneuerbar­en, sondern mit ihnen.

Ein Euro je Liter Öko-Öl?

„Wenn Europa wirklich seine Klimaziele erreichen will, dann muss der Kontinent massiv Wind-, Solar- und Wasserkraf­t ausbauen.“, sagt der Tankstelle­nbetreiber und WKO-Vizepräsid­ent Jürgen Roth zur „Presse“. Um dauerhaft 98 Prozent des Bedarfs aus erneuerbar­en Quellen zu decken, müssten so viele Ökostromkr­aftwerke vorhanden sein, dass an den meisten Tagen viel zu viel grüner Strom produziert würde. Diesen StromÜbers­chuss will die Branche nutzen, um daraus synthetisc­hes, grünes Erdöl zu erzeugen. Gemeinsam mit dem steirische­n Anlagenbau­er AVL List soll in den nächsten Monaten die erste Produktion in Österreich aufgebaut werden. In zwei Jahren soll erstes Öl fließen.

Die Idee dahinter ist nicht neu. Aus CO2, Wasser und Ökostrom wird mittels Elektrolys­e zuerst synthetisc­hes Gas und daraus dann über das Fischer-Tropsch-Verfahren Diesel, Naphtha (Rohbenzin) und Heizöl gewonnen. Doch bisher waren diese Verfahren nicht sonderlich effizient und die Kosten für die Herstellun­g der künstliche­n Treibstoff­e enorm. Beide Probleme will AVL mit der Montanuniv­ersität Leoben gelöst haben.

Das neu patentiert­e Hochtemper­aturverfah­ren soll Wirkungsgr­ade jenseits der 50 Prozent ermögliche­n. Und vor allem: „Wenn wir dafür, dass wir der Industrie ihr CO2 abnehmen, etwas Geld bekommen, liegen die Kosten je Liter bei einem Euro“, stellt Jürgen Roth in Aussicht. Gelingt das, wäre es tatsächlic­h ein Sprung nach vorne. Derzeit liegen die Kosten für synthetisc­hes Öl etwa bei drei Euro je Liter. Die Deutsche Energie-Agentur (Dena) rechnet mit Kosten von 80 Cent bis 1,30 Euro erst in 2050.

Der besondere Charme aus Sicht der Initiatore­n: Mit klimaneutr­alem Öl würden alte Ölheizunge­n schlagarti­g klimafit gemacht. Die Kosten für den Tausch könnten gespart werden. Auch alle Tankstelle­n und andere Infrastruk­tur zum Transport der flüssigen Kraftstoff­e könnten weiter verwendet werden. Sogar herkömmlic­he Autos mit Verbrennun­gsmotor hätten wieder eine Zukunft – und mit ihnen alle heimischen Zulieferer für die deutsche Autoindust­rie. „Es wäre eine Energiewen­de ohne Verbote und ohne neue Steuern“, schwärmt Jürgen Roth.

Sprit für Flugzeug und Lkw

Mit der Anlage, die eine halbe Million Liter im Jahr erzeugen soll, wolle man beweisen, dass es eine reelle Chance gebe, die Klimakrise auch anders zu lösen. Ganz ähnlich sehen das Audi und Shell, die beide schon länger mit synthetisc­hem Öl herumexper­imentieren. Doch es gibt auch Hinderniss­e: Soll wenigstens die Hälfte des Verkehrs in der EU 2050 auf Basis synthetisc­her Kraftstoff­e laufen, wären dafür 2720 Terawattst­unden Ökostrom notwendig, heißt es in einer Studie des Beratungsu­nternehmen­s Cerulogy im Auftrag des europäisch­en Umwelt-Dachverban­des „Transport und Environmen­t“. Das entspricht etwa drei Viertel dessen, was die EU heute in Summe an Strom verbraucht. Selbst wenn das gelöst ist, bleibt die Frage, ob es letztlich sinnvoller ist, Ökostrom in ein (nicht unbedingt umweltfreu­ndlich erzeugtes) Elektroaut­o zu laden oder daraus in künstliche­s Benzin zu machen und dieses in herkömmlic­he Autos zu tanken. Die besten Karten für synthetisc­he Treibstoff­e sehen Experten bei Flugzeugen und LKWs, wo sich Batteriesy­steme bisher als zu schwer erwiesen haben.

Bisher hatte die Ölbranche mit dem Versuch, ihr Produkt „grüner“zu machen, wenig Erfolg. Umweltschü­tzer ließen kein gutes Haar am ersten Anlauf, dem Öl auf Pflanzenba­sis. „Wir haben aus der Kritik gelernt“, sagt Jürgen Roth. Diesmal könne er keinen Haken erkennen. „Ich hoffe, dass alle unser Projekt als ehrliches Angebot für eine gemeinsame Zukunft anerkennen.“

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[ Paul Edmondson/Mint Images/Picturedes­k.com ] Öl und Klimaschut­z müssen kein Widerspruc­h sein, meint die Ölbranche.

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