Energiewende auf die sanfte Tour
Klima. Die heimische Ölindustrie will in großem Stil klimafreundliches (und billiges) Öl aus grünem Strom erzeugen. Die erste Anlage wird gebaut. Haben Ölheizungen und Verbrenner doch Zukunft?
Wien. Sie sind die großen Buhmänner der Klimadebatte: All jene Unternehmen, die Erdöl fördern, es zu Diesel, Benzin und Heizöl verarbeiten und mit dem verpönten schwarzen Gold handeln. Egal, ob im Tank oder im Heizkessel, das Verbrennen fossiler Rohstoffe ist angesichts des fortschreitenden Klimawandels einfach nicht mehr gerne gesehen. In Österreich will die Regierung jedes Jahr hundert Millionen Euro dafür ausgeben, Menschen zum Tausch ihrer Ölheizungen zu bewegen. In der Mobilität laufen weltweit unzählige Milliarden Euro in die Förderung von Elektroautos.
All das wäre vielleicht gar nicht notwendig, wenn ein Plan aufgeht, den die heimische Erdölbranche geschmiedet hat. Ihr Zugang: Wenn klimaschädliches Öl keine Zukunft hat, dann muss das Öl eben klimafreundlich werden. Und zwar diesmal nicht im Kleinkrieg gegen die Erneuerbaren, sondern mit ihnen.
Ein Euro je Liter Öko-Öl?
„Wenn Europa wirklich seine Klimaziele erreichen will, dann muss der Kontinent massiv Wind-, Solar- und Wasserkraft ausbauen.“, sagt der Tankstellenbetreiber und WKO-Vizepräsident Jürgen Roth zur „Presse“. Um dauerhaft 98 Prozent des Bedarfs aus erneuerbaren Quellen zu decken, müssten so viele Ökostromkraftwerke vorhanden sein, dass an den meisten Tagen viel zu viel grüner Strom produziert würde. Diesen StromÜberschuss will die Branche nutzen, um daraus synthetisches, grünes Erdöl zu erzeugen. Gemeinsam mit dem steirischen Anlagenbauer AVL List soll in den nächsten Monaten die erste Produktion in Österreich aufgebaut werden. In zwei Jahren soll erstes Öl fließen.
Die Idee dahinter ist nicht neu. Aus CO2, Wasser und Ökostrom wird mittels Elektrolyse zuerst synthetisches Gas und daraus dann über das Fischer-Tropsch-Verfahren Diesel, Naphtha (Rohbenzin) und Heizöl gewonnen. Doch bisher waren diese Verfahren nicht sonderlich effizient und die Kosten für die Herstellung der künstlichen Treibstoffe enorm. Beide Probleme will AVL mit der Montanuniversität Leoben gelöst haben.
Das neu patentierte Hochtemperaturverfahren soll Wirkungsgrade jenseits der 50 Prozent ermöglichen. Und vor allem: „Wenn wir dafür, dass wir der Industrie ihr CO2 abnehmen, etwas Geld bekommen, liegen die Kosten je Liter bei einem Euro“, stellt Jürgen Roth in Aussicht. Gelingt das, wäre es tatsächlich ein Sprung nach vorne. Derzeit liegen die Kosten für synthetisches Öl etwa bei drei Euro je Liter. Die Deutsche Energie-Agentur (Dena) rechnet mit Kosten von 80 Cent bis 1,30 Euro erst in 2050.
Der besondere Charme aus Sicht der Initiatoren: Mit klimaneutralem Öl würden alte Ölheizungen schlagartig klimafit gemacht. Die Kosten für den Tausch könnten gespart werden. Auch alle Tankstellen und andere Infrastruktur zum Transport der flüssigen Kraftstoffe könnten weiter verwendet werden. Sogar herkömmliche Autos mit Verbrennungsmotor hätten wieder eine Zukunft – und mit ihnen alle heimischen Zulieferer für die deutsche Autoindustrie. „Es wäre eine Energiewende ohne Verbote und ohne neue Steuern“, schwärmt Jürgen Roth.
Sprit für Flugzeug und Lkw
Mit der Anlage, die eine halbe Million Liter im Jahr erzeugen soll, wolle man beweisen, dass es eine reelle Chance gebe, die Klimakrise auch anders zu lösen. Ganz ähnlich sehen das Audi und Shell, die beide schon länger mit synthetischem Öl herumexperimentieren. Doch es gibt auch Hindernisse: Soll wenigstens die Hälfte des Verkehrs in der EU 2050 auf Basis synthetischer Kraftstoffe laufen, wären dafür 2720 Terawattstunden Ökostrom notwendig, heißt es in einer Studie des Beratungsunternehmens Cerulogy im Auftrag des europäischen Umwelt-Dachverbandes „Transport und Environment“. Das entspricht etwa drei Viertel dessen, was die EU heute in Summe an Strom verbraucht. Selbst wenn das gelöst ist, bleibt die Frage, ob es letztlich sinnvoller ist, Ökostrom in ein (nicht unbedingt umweltfreundlich erzeugtes) Elektroauto zu laden oder daraus in künstliches Benzin zu machen und dieses in herkömmliche Autos zu tanken. Die besten Karten für synthetische Treibstoffe sehen Experten bei Flugzeugen und LKWs, wo sich Batteriesysteme bisher als zu schwer erwiesen haben.
Bisher hatte die Ölbranche mit dem Versuch, ihr Produkt „grüner“zu machen, wenig Erfolg. Umweltschützer ließen kein gutes Haar am ersten Anlauf, dem Öl auf Pflanzenbasis. „Wir haben aus der Kritik gelernt“, sagt Jürgen Roth. Diesmal könne er keinen Haken erkennen. „Ich hoffe, dass alle unser Projekt als ehrliches Angebot für eine gemeinsame Zukunft anerkennen.“