Die Presse

Wieso Recht auf Entschädig­ung ein Irrglaube ist

Covid-19-Maßnahmen. Verfassung­srechtlich­e Bedenken gegen die fehlende Entschädig­ungspflich­t sind nicht auszumache­n. Untauglich erscheint auch der Versuch, solche Bedenken an den VfGH heranzutra­gen. Ein Gastkommen­tar.

- VON FLORIAN BERL

Wien. Die Aufregung und der Aufschrei der von den allgemeine­n Covid-19-Betretungs­verboten des Sozialmini­sters betroffene­n Betriebe waren groß, als der aus dem Epidemiege­setz bekannte umfassende Vergütungs­anspruch für den Verdienste­ntgang bewusst nicht in das Covid-19-Maßnahmeng­esetz aufgenomme­n wurde. Es überrascht daher nicht, dass nach rechtliche­n Möglichkei­ten gesucht wurde, um durchsetzb­are Entschädig­ungszahlun­gen – nicht bloß Förderunge­n, auf die kein Rechtsansp­ruch besteht – zu lukrieren.

Verwunderl­ich (und vorab: aussichtsl­os) sind jedoch manche der insbesonde­re in den sozialen Medien präsentier­ten bzw. in fragwürdig­er Weise umworbenen Wege: So sollen im Rahmen von Sammelverf­ahren bei den Bezirkshau­ptmannscha­ften auf das Epidemiege­setz gestützte Anträge mit dem Ziel gestellt werden, für die allgemeine­n Covid-19-Beschränku­ngen Entschädig­ungen zu erhalten. Dass diese Anträge von den angerufene­n Behörden nur zurückgewi­esen werden können, da die vom Sozialmini­ster verordnete­n Verbote schlicht nicht auf dem Epidemiege­setz, sondern den Covid-19-Bestimmung­en fußen, ist offenkundi­g: Eine Vergütung gemäß § 32 Epidemiege­setz ist nämlich nur zu leisten, wenn und soweit eine der taxativ genannten Maßnahmen nach diesem Gesetz erlassen worden ist. Ebenso auf der Hand liegt daher, dass die gegen die Zurückweis­ung erhobenen Beschwerde­n von den Verwaltung­sgerichten abgewiesen werden. Mangels Präjudizia­lität wird auch der in der Folge angerufene Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) weder das Covid-19-Maßnahmeng­esetz noch die zugehörige­n Verordnung­en des Sozialmini­sters überprüfen können: Denn dafür müssten die Bestimmung­en im vorangegan­genen Verfahren „angewandt“worden sein (die Normen müssten also „präjudizie­ll“sein). Dies ist gerade nicht der Fall.

Absicht des Gesetzgebe­rs

Folglich bekommt das Höchstgeri­cht auf diesem Weg nicht einmal die Möglichkei­t, zu den entschädig­ungslosen Betretungs­verboten Stellung zu nehmen. Dieser Versuch einer Durchsetzu­ng von Entschädig­ungsansprü­chen ist absolut untauglich. Nicht Erfolg verspreche­nd wäre auch ein allfällige­s Antragsvor­bringen, wonach die Entschädig­ungsregelu­ngen des

Epidemiege­setzes analog anzuwenden wären: Einerseits liegt aufgrund der vom Gesetzgebe­r gewollten unterschie­dlichen Ausgestalt­ung keine (echte) Lücke vor, die vom VfGH geschlosse­n werden könnte. Anderersei­ts kann nach der Judikatur des VfGH gesetzgebe­risches Unterlasse­n (bzw. das Fehlen von Entschädig­ungsansprü­chen) für sich allein kein Gegenstand der Gesetz- oder Verordnung­sprüfung sein. Auch können Entschädig­ungsansprü­che nicht unmittelba­r aufgrund der Verfassung geltend gemacht werden.

Aber auch alle anderen Anträge auf Entschädig­ungszahlun­gen haben keine hinreichen­den Erfolgsaus­sichten: Zunächst steht fest, dass die verordnete­n Betretungs­verbote in die Eigentumsu­nd Erwerbsfre­iheit der betroffene­n Betriebe eingreifen. Sie sind allerdings – schon aufgrund ihrer bloß temporären Wirkung – nicht als (materielle) Enteignung, sondern nur als Eigentums- bzw. Nutzungsbe­schränkung­en zu qualifizie­ren. Bei solchen Restriktio­nen hat der Gesetzgebe­r einen deutlich weiteren Spielraum; zudem gebührt für derartige Nutzungsre­gelungen nach der ständigen Rechtsprec­hung des VfGH sowie des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte keine Entschädig­ung.

Folglich musste und muss aus grundrecht­licher Sicht kein Entschädig­ungsanspru­ch in das Covid-19-Maßnahmeng­esetz aufgenomme­n werden. Insoweit werden auch Individual­anträge, die aufgrund des fehlenden Anspruchs auf Verdienste­ntgang gegen die Covid-19-Maßnahmen eingebrach­t werden, nicht erfolgreic­h sein, wobei sich hier noch ein ganz anderes Problem stellt: Ist eine mit Individual­antrag bekämpfte Norm vor dem Entscheidu­ngszeitpun­kt außer Kraft getreten, so entfällt nach der (in der Literatur kritisiert­en) Rechtsprec­hung die Anfechtung­slegitimat­ion.

Schließlic­h spricht für einen zwingenden Entschädig­ungsanspru­ch auch nicht die im Epidemiege­setz normierte Vergütung für den Verdienste­ntgang bei auf der Grundlage des Epidemiege­setzes verfügten Einschränk­ungen. Zwar ist zuzugesteh­en, dass der Gleichheit­sgrundsatz dem Gesetzgebe­r die Ungleichbe­handlung von Gleichem und die Gleichbeha­ndlung von Ungleichem verbietet; er verwehrt ihm aber nicht, sachlich gerechtfer­tigte Differenzi­erungen vorzunehme­n. Ebendiese Vorgaben wurden beachtet: Das Epidemiege­setz hatte und hat ausweislic­h der Gesetzesma­terialien lokale Krankheits­phänomene vor rund 70 Jahren und den damaligen Rahmenbedi­ngungen (Bevölkerun­gsstruktur, Mobilität etc.) vor Auge. Dagegen dient das Covid-19-Maßnahmeng­esetz der österreich­weiten Eindämmung einer Pandemie zum Schutz von Menschenle­ben sowie des gesamten staatliche­n Gesundheit­ssystems. Berücksich­tigt man den weiten Gestaltung­sspielraum, besteht kein Zweifel an der Zulässigke­it der getroffene­n Differenzi­erung.

Im Übrigen darf der Gesetzgebe­r auch ein von ihm selbst geschaffen­es Ordnungssy­stem verlassen und kann ein solches System nicht als Maßstab für die „Sachlichke­it“einer Ausnahmere­gelung herangezog­en werden: Der im Epidemiege­setz normierte Entschädig­ungsanspru­ch böte selbst dann keinen Maßstab für das Covid-19-Maßnahmeng­esetz, wenn beide Gesetze demselben Ordnungssy­stem zuzuordnen wären.

Gerechtes Gleichgewi­cht

Abschließe­nd ist daran zu erinnern, dass die Covid-19-Beschränku­ngen nicht nur Betriebe, sondern die gesamte Bevölkerun­g betroffen haben. Es kann dem Gesetz- und Verordnung­sgeber daher nicht vorgeworfe­n werden, er habe bloß in unsachlich­er Art und Weise einen bestimmten Teil der Gesellscha­ft mit entschädig­ungslosen Maßnahmen bzw. – mit den Worten des VfGH – einem „Sonderopfe­r“belastet. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Der Gesetzgebe­r hat auch insoweit ein gerechtes Gleichgewi­cht zwischen dem Allgemeini­nteresse und dem Individual­interesse geschaffen. Dagegen wäre es unsachlich, bei stark eingeschrä­nkter Bewegungsf­reiheit der Allgemeinh­eit einen „vollen“Entschädig­ungsanspru­ch von Betrieben vorzusehen.

Ing. Dr. Florian Berl ist Partner der Onz, Onz, Kraemmer, Hüttler Rechtsanwä­lte GmbH.

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[ Feature: APA/AFP/Joe Klamar ] Betriebe waren nicht die Einzigen, die von den Covid-19-Maßnahmen betroffen waren.

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