Wieso Recht auf Entschädigung ein Irrglaube ist
Covid-19-Maßnahmen. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die fehlende Entschädigungspflicht sind nicht auszumachen. Untauglich erscheint auch der Versuch, solche Bedenken an den VfGH heranzutragen. Ein Gastkommentar.
Wien. Die Aufregung und der Aufschrei der von den allgemeinen Covid-19-Betretungsverboten des Sozialministers betroffenen Betriebe waren groß, als der aus dem Epidemiegesetz bekannte umfassende Vergütungsanspruch für den Verdienstentgang bewusst nicht in das Covid-19-Maßnahmengesetz aufgenommen wurde. Es überrascht daher nicht, dass nach rechtlichen Möglichkeiten gesucht wurde, um durchsetzbare Entschädigungszahlungen – nicht bloß Förderungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht – zu lukrieren.
Verwunderlich (und vorab: aussichtslos) sind jedoch manche der insbesondere in den sozialen Medien präsentierten bzw. in fragwürdiger Weise umworbenen Wege: So sollen im Rahmen von Sammelverfahren bei den Bezirkshauptmannschaften auf das Epidemiegesetz gestützte Anträge mit dem Ziel gestellt werden, für die allgemeinen Covid-19-Beschränkungen Entschädigungen zu erhalten. Dass diese Anträge von den angerufenen Behörden nur zurückgewiesen werden können, da die vom Sozialminister verordneten Verbote schlicht nicht auf dem Epidemiegesetz, sondern den Covid-19-Bestimmungen fußen, ist offenkundig: Eine Vergütung gemäß § 32 Epidemiegesetz ist nämlich nur zu leisten, wenn und soweit eine der taxativ genannten Maßnahmen nach diesem Gesetz erlassen worden ist. Ebenso auf der Hand liegt daher, dass die gegen die Zurückweisung erhobenen Beschwerden von den Verwaltungsgerichten abgewiesen werden. Mangels Präjudizialität wird auch der in der Folge angerufene Verfassungsgerichtshof (VfGH) weder das Covid-19-Maßnahmengesetz noch die zugehörigen Verordnungen des Sozialministers überprüfen können: Denn dafür müssten die Bestimmungen im vorangegangenen Verfahren „angewandt“worden sein (die Normen müssten also „präjudiziell“sein). Dies ist gerade nicht der Fall.
Absicht des Gesetzgebers
Folglich bekommt das Höchstgericht auf diesem Weg nicht einmal die Möglichkeit, zu den entschädigungslosen Betretungsverboten Stellung zu nehmen. Dieser Versuch einer Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen ist absolut untauglich. Nicht Erfolg versprechend wäre auch ein allfälliges Antragsvorbringen, wonach die Entschädigungsregelungen des
Epidemiegesetzes analog anzuwenden wären: Einerseits liegt aufgrund der vom Gesetzgeber gewollten unterschiedlichen Ausgestaltung keine (echte) Lücke vor, die vom VfGH geschlossen werden könnte. Andererseits kann nach der Judikatur des VfGH gesetzgeberisches Unterlassen (bzw. das Fehlen von Entschädigungsansprüchen) für sich allein kein Gegenstand der Gesetz- oder Verordnungsprüfung sein. Auch können Entschädigungsansprüche nicht unmittelbar aufgrund der Verfassung geltend gemacht werden.
Aber auch alle anderen Anträge auf Entschädigungszahlungen haben keine hinreichenden Erfolgsaussichten: Zunächst steht fest, dass die verordneten Betretungsverbote in die Eigentumsund Erwerbsfreiheit der betroffenen Betriebe eingreifen. Sie sind allerdings – schon aufgrund ihrer bloß temporären Wirkung – nicht als (materielle) Enteignung, sondern nur als Eigentums- bzw. Nutzungsbeschränkungen zu qualifizieren. Bei solchen Restriktionen hat der Gesetzgeber einen deutlich weiteren Spielraum; zudem gebührt für derartige Nutzungsregelungen nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte keine Entschädigung.
Folglich musste und muss aus grundrechtlicher Sicht kein Entschädigungsanspruch in das Covid-19-Maßnahmengesetz aufgenommen werden. Insoweit werden auch Individualanträge, die aufgrund des fehlenden Anspruchs auf Verdienstentgang gegen die Covid-19-Maßnahmen eingebracht werden, nicht erfolgreich sein, wobei sich hier noch ein ganz anderes Problem stellt: Ist eine mit Individualantrag bekämpfte Norm vor dem Entscheidungszeitpunkt außer Kraft getreten, so entfällt nach der (in der Literatur kritisierten) Rechtsprechung die Anfechtungslegitimation.
Schließlich spricht für einen zwingenden Entschädigungsanspruch auch nicht die im Epidemiegesetz normierte Vergütung für den Verdienstentgang bei auf der Grundlage des Epidemiegesetzes verfügten Einschränkungen. Zwar ist zuzugestehen, dass der Gleichheitsgrundsatz dem Gesetzgeber die Ungleichbehandlung von Gleichem und die Gleichbehandlung von Ungleichem verbietet; er verwehrt ihm aber nicht, sachlich gerechtfertigte Differenzierungen vorzunehmen. Ebendiese Vorgaben wurden beachtet: Das Epidemiegesetz hatte und hat ausweislich der Gesetzesmaterialien lokale Krankheitsphänomene vor rund 70 Jahren und den damaligen Rahmenbedingungen (Bevölkerungsstruktur, Mobilität etc.) vor Auge. Dagegen dient das Covid-19-Maßnahmengesetz der österreichweiten Eindämmung einer Pandemie zum Schutz von Menschenleben sowie des gesamten staatlichen Gesundheitssystems. Berücksichtigt man den weiten Gestaltungsspielraum, besteht kein Zweifel an der Zulässigkeit der getroffenen Differenzierung.
Im Übrigen darf der Gesetzgeber auch ein von ihm selbst geschaffenes Ordnungssystem verlassen und kann ein solches System nicht als Maßstab für die „Sachlichkeit“einer Ausnahmeregelung herangezogen werden: Der im Epidemiegesetz normierte Entschädigungsanspruch böte selbst dann keinen Maßstab für das Covid-19-Maßnahmengesetz, wenn beide Gesetze demselben Ordnungssystem zuzuordnen wären.
Gerechtes Gleichgewicht
Abschließend ist daran zu erinnern, dass die Covid-19-Beschränkungen nicht nur Betriebe, sondern die gesamte Bevölkerung betroffen haben. Es kann dem Gesetz- und Verordnungsgeber daher nicht vorgeworfen werden, er habe bloß in unsachlicher Art und Weise einen bestimmten Teil der Gesellschaft mit entschädigungslosen Maßnahmen bzw. – mit den Worten des VfGH – einem „Sonderopfer“belastet. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Der Gesetzgeber hat auch insoweit ein gerechtes Gleichgewicht zwischen dem Allgemeininteresse und dem Individualinteresse geschaffen. Dagegen wäre es unsachlich, bei stark eingeschränkter Bewegungsfreiheit der Allgemeinheit einen „vollen“Entschädigungsanspruch von Betrieben vorzusehen.
Ing. Dr. Florian Berl ist Partner der Onz, Onz, Kraemmer, Hüttler Rechtsanwälte GmbH.