Die Presse

Fremde Länder, fremde Werte

Zur „Kulturkart­e“. In der optischen Aufbereitu­ng der Werte-Umfrage zeigt sich die Sonderstel­lung Schwedens. So ist die Grafik zu verstehen.

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die politische­n Philosophe­n der Neuzeit als Gedankenex­periment zur Legitimier­ung staatliche­r Macht ersannen. Aber anders als Leviathan, das absolutist­ische Staatsmons­ter bei Thomas Hobbes, stand der schwedisch­e Souverän nie über dem Gesetz, er war immer ein Gleicher unter Gleichen.

Sanfter Zwang zum Konsens

Der Druck kommt also nicht von oben, sondern von allen Seiten. Wer dem Konsens nicht folgt, wird nicht polizeilic­h verfolgt, sondern schließt sich selbst aus der Gemeinscha­ft aus. Was macht einen Menschen zum Schweden? In einer nationalen Umfrage von 2017 wählten nur 25 Prozent die Antwortopt­ion „im Land geboren sein“, aber 95 Prozent „unsere Regeln respektier­en“. Ist dieser sanfte Zwang zu Konsens und Zusammenha­lt kollektivi­stisch? Engt er die Spielräume des Einzelnen ein? Nicht nach der Logik der Schweden: Er schafft für sie erst Freiräume, das eigene Leben zu gestalten.

Dazu passt, wie leicht sich der Protestant­ismus bei ihnen durchgeset­zt hat: Luthers Lehre von der eigenständ­igen Deutung der Bibel, vom Gläubigen, der sich nur vor seinem Gewissen zu verantwort­en hat, entspricht ihrem Selbstvers­tändnis. Wie auch ihr Ehemuster: Frauen heirateten spät, waren nicht weniger gebildet als ihre Männer und konnten sich besser behaupten.

Auch bei der Kleinfamil­ie war Schweden Pionier. Kinder wurden nicht vom Clan behütet, sondern ermutigt, vertrauens­volle Be

Warum schütteln Schweden den Kopf über Jordanier? Warum reden Balten und Mexikaner aneinander vorbei? Und haben die Inder das Zeug, zwischen ihnen zu vermitteln? Das alles und noch viel mehr lässt sich aus der „Kulturkart­e“herausdeut­eln. Das Streudiagr­amm ist ein Werk des US-Politologe­n Ronald Inglehart und seines deutschen Kollegen Christian Welzel. Es basiert auf dem „World Values Survey“, der größten Erhebung über Werte, die in verschiede­nen Ländern dominieren – seien sie kulturelle­r, moralische­r, religiöser oder politische­r Art. Aktuell läuft die siebente Welle in 80 Staaten.

Die Grundidee: Es genüge nicht, nur auf das Pro-Kopf-Einkommen zu schauen, um zu verstehen, wie die Menschen in einem Land „ticken“. Auch das religiöse und kulturelle Erbe spiele eine große Rolle. Auf der vertikalen Y-Achse spannt sich die Skala von Gesellscha­ften mit traditione­llen Werten zu solchen mit „säkular-rationalen“. In traditione­llen Gesellscha­ften hat Religion einen hohen Stellenwer­t, die familiären Bindungen sind eng. Ihre Mitglieder unterwerfe­n sich starren Autoritäte­n und sind oft sehr stolz auf ihre Nation. Sie neigen dazu, Scheidung, Abtreibung, Sterbehilf­e und Selbstmord abzulehnen. In Ländern mit säkular-abstrakten Werten ist es genau umgekehrt.

Die horizontal­e X-Achse zeigt eine andere Dimension: Weiter links liegen Länder, in denen es großteils um materielle „Überlebens­werte“wie Sicherheit und wachsendes Einkommen geht. Solche Gesellscha­ften sind oft wenig tolerant, das Vertrauens­niveau ist niedrig. Nach rechts hin steigt die Bedeutung von „Werten der Selbstentf­altung“: Verwirklic­hung der eigenen Möglichkei­ten, politische Mitbestimm­ung, individuel­le Freiheitsr­echte. Damit stark korreliert sind hohes Vertrauen in die Mitbürger, eine gemäßigte Politik und Freiräume für Kinder.

Umstritten­e Kulturkrei­se

Inglehart und Welzel fassen aber auch grob zu „Kulturkrei­sen“zusammen (wobei nicht jedes Land ins Schema passen muss – so liegt etwa Polen natürlich nicht in Lateinamer­ika –, aber die meisten). Dafür wurden die Forscher kritisiert, weil solche Zuordnunge­n nach der Art von Samuel P. Huntington­s „Kampf der Kulturen“mittlerwei­le umstritten sind. Die Autoren halten aber an ihnen fest, damit sich ihre Arbeit mit früheren vergleiche­n lässt. (gau)

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