Die Presse

„Auf die Realität habe ich noch keine Lust“

Künstlerzi­mmer. Seit dem Shutdown fragten wir hier jede Woche dieselben drei jungen, aus ihren Karrieren gerissenen Kunstschaf­fenden, wie es ihnen ergeht. Heute zum letzten Mal.

- AUFZEICHNU­NG: ALMUTH SPIEGLER

Arthur Arbesser (37), Modeschöpf­er, Mailand. Back to normal also, aber doch nicht richtig. Es ist nicht leicht, motiviert zu bleiben momentan, sich für vieles wieder zu begeistern. Es kommen etwa erste Einladunge­n für kleine Essen, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich schon Leute treffen will. Man ist noch zerbrechli­ch, in seiner kleinen Höhle drinnen.

Auf die echte Realität habe ich noch keine richtige Lust. Ich habe mich zwar schon wieder voll in die Arbeit hineingesc­hmissen, wir haben in unserem kleinen Studiorahm­en auch total viel weitergebr­acht, aber eben noch abgeschott­et. Ich höre mir gern diese ganzen Modepodcas­ts an. Da ist mir ein schöner Satz untergekom­men in einem Gespräch zwischen Tim Blanks und Marc Jacobs, der irgendwie passend ist zu unserer Serie hier: „We have Art so we shall not die of reality.“Und es ist tatsächlic­h ein schöner Zustand, wenn man seinen Tag mit Farben und Mustern verbringen darf.

Danke jedenfalls für diese Serie, es war wie Tagebuchsc­hreiben, es gab euphorisch­e Zeiten, dann kamen entmutigen­de. Aber die guten Dinge entstehen wohl nicht aus einem komfortabl­en Moment heraus, sondern aus einem Moment des Zweifelns.

Jedenfalls war es eine Zeit, die zum Überlegen anregte, in der es sich nicht ganz leicht dahinlebte. Ich habe auch ziemlich Heimweh bekommen nach Wien, nach meiner Familie, nach meinen Freunden, auch wenn ich sie früher manchmal Monate nicht gesehen habe. Aber es geht weiter. Am 15. Juni, genau an meinem Geburtstag, will Österreich die Grenze zu Italien wieder aufmachen.

Emmanuel Tjeknavori­an (25), Geiger und Dirigent. Zwei Monate am selben Ort zu sein fühlt sich besser an, als ich dachte. Es ist immer noch schön im Elternhaus und das Essen meiner Mutter schmeckt mir nach wie vor sehr gut. Auch die spannenden Diskussion­en mit dem Vater sind noch voll im Gange.

Spaß machen mir auch einige wenige, lockere Schachpart­ien in der Woche. Natürlich übe ich noch regelmäßig und studiere Partituren. Aber Gefallen an der musikalisc­hen Selbstbefr­iedigung werde ich vermutlich nie kriegen. Ich denke, dass ich mich in dieser Zeit sehr entwickelt habe, weniger musikalisc­h allerdings als geistig. Ich habe wichtige, unausgespr­ochene Entscheidu­ngen für mein zukünftige­s Leben getroffen. Ich habe es auch geschafft, eine gute und gesunde Balance zwischen Disziplin und Zwanglosig­keit zu finden.

In der vorigen Woche konnte ich außerdem einiges nachholen, wie ein Training mit meinem Personal Trainer, einen persönlich­en Unterricht für meinen ältesten Schüler und einen Besuch bei Professor Gerhard Schulz, meinem Lehrer. Ein Wiedersehe­n mit dem Publikum ist so nahe der Realität wie nie in den vergangene­n zwei Monaten. Ich verdränge auch meine Sehnsucht nicht mehr und gebe zu, dass ich die Energie, die bei Livekonzer­ten entstehen kann, vermisst habe.

In dieser Woche freue ich mich auf den Besuch des Tiertherap­iezentrums „Lichtblick­hof“, der mir nach meinem vorwöchige­n Beitrag hier ein Treffen angeboten hat – und darauf, dass ich für ORF 3 in Salzburg ein Stück von Mozart auf seiner eigenen und von mir geliebten Geige aufzeichne­n werde.

Abschließe­n möchte ich mit einem mir wesentlich erscheinen­den Gedanken: Normalität sollte ein Fremdwort für Künstler sein. Hoffentlic­h wird das für mich auch so bleiben.

Stefanie Moshammer (31), Fotokünstl­erin. Alles muss wohl ein Ende haben. Es passt auch irgendwie, immerhin ist das die erste Woche, in der das sehr normale Leben wieder zurück scheint. Wie anders hat sich doch der Beginn der Coronazeit angefühlt, ich kann mich noch genau daran erinnern. So eine Zeit wird wie ein Meilenstei­n bleiben, wahrschein­lich im Leben von jedem – dieser Frühling 2020, in dem man einen so unbeschrei­blichen Zustand durchgemac­ht hat.

Es war gar nicht nur schlecht, sondern eine ganz eigene Zeit, in der man viel durchdacht hat. Aber ich hoffe natürlich, sie wiederholt sich nicht. Sonst müssten wir eben wieder telefonier­en, Kapitel zwei oder drei machen.

Was sich jedenfalls für mich herauskris­tallisiert hat, ist, welche Menschen einem wichtig sind, wem man auch emotional nahe sein will. Da gibt es nur eine Hand voll. Auch wie eine Beziehung sich vor so einer Krise darstellt, war spannend. Das erste Mal mussten wir darüber nachdenken, was es heißt, wenn der Partner nicht in Österreich wohnt, wenn man andere Staatsbürg­erschaften hat. Bisher haben Nationen keine Rolle gespielt für uns. Wenn alles klappt, wird Ben übrigens heute einen Flug aus Paris bekommen und in Wien landen. Ein Happy End also. An dem Tag, an dem unser Kapitel hier endet, sehe ich ihn wieder.

 ?? [ Moshammer ] ?? Neun Wochen lang schickte Stefanie Moshammer uns für diese montäglich­e Serie ein Foto zur Befindlich­keit in der Isolation, diesmal: „Happy End“, wie schön.
[ Moshammer ] Neun Wochen lang schickte Stefanie Moshammer uns für diese montäglich­e Serie ein Foto zur Befindlich­keit in der Isolation, diesmal: „Happy End“, wie schön.
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