Eine Primaballerina im Home-Office
Staatsoper. Seit dem Lockdown hat Liudmila Konovalova den Ballettsaal nicht betreten. Jetzt tanzt sie im Wohnzimmer – und via Zoom mit ihrem künftigen Chef, Martin Schläpfer.
Das Stück Tanzboden im Wohnzimmer ist 1,5 mal 2 Meter groß. Ballettstange gibt es keine. „Aber anhalten kann man sich ja auch an einem Sessel“, sagt Liudmila Konovalova und lacht. Die gebürtige Moskauerin tanzt seit zehn Jahren beim Wiener Staatsballett, 2011 wurde sie in die Riege der Ersten Solotänzerinnen berufen. Am 11. März war sie das letzte Mal in der Staatsoper. Dann kam der Lockdown. Seither steht auch für die Tänzerinnen und Tänzer des Staatsballetts „Home-Office“im Kalender. Wie das geht? Auf einem kleinen Stück Tanzboden – und mit viel Disziplin.
„Normalerweise haben wir Training um zehn Uhr, dann arbeite ich oft mit sehr kurzen Pausen durch.“Sieben Stunden am Tag sind keine Seltenheit, wenn Vorstellungen sind, dauert es bis in die Nacht. „Mein Körper ist gewöhnt, so viel zu arbeiten“, sagt Konovalova. Auch jetzt trainiert sie so viel sie kann in ihrem Wohnzimmer, sie macht Ballett- und Cardio-Übungen. Erst nach siebeneinhalb Wochen gab es erstmals ein Videotraining. Die Ballerina musste also selbst schauen, wie sie in Form bleibt. Dabei half ihr die ehemalige Wiener Primaballerina Brigitte Stadler, mit der Konovalova auch sonst abseits der Oper trainiert. „Als Künstlerin kann ich ja nicht sagen, jetzt ist die Arbeit aus, jetzt gehe ich heim.“
Und sie nützte die Staatsopernpause, um den designierten Wiener Ballettdirektor Martin Schläpfer kennenzulernen. Via Zoom nahm sie an dessen Training für das Ballett am Rhein teil. „Nachher habe ich mich großartig gefühlt“, schwärmt sie und ist hin- und hergerissen. Sie sei Manuel Legris sehr dankbar, aber nachdem dieser beschlossen habe, zu gehen, freue sie sich jetzt auf das Neue, sagt Konovalova, die an der Staatlichen Moskauer Ballettakademie eine Ausbildung nach russischer Tradition genossen hat. „Schläpfer hat große Ballette ins Programm genommen, die ich liebe und schon getanzt habe – ,Jewels‘, ,La fille mal gardee‘´ oder ,Giselle‘. Und es kommen neue Arbeiten wie ,Pictures at an Exhibition‘ des großartigen Choreografen Alexei Ratmansky oder von Schläpfer selbst. Wir kennen den Cast noch nicht, aber ich hoffe sehr, dabei zu sein und Teil dieses Prozesses, in dem ein Choreograf ein Stück erarbeitet.“
„Hoffe, der Luster fällt nicht runter“
Die erste Ballettpremiere ist für den 20. September in der Volksoper geplant. Ob das Staatsballett rechtzeitig mit dem Training und den Proben anfangen kann, weiß man nicht. Sie habe nachgefragt, wann die Ballettstudios wieder verwendet werden dürfen, erzählt Konovalova, aber noch keine Antwort bekommen. „Spätestens im Sommer müssen wir trainieren. Wir können nicht im September bei null anfangen.“Bis auf Weiteres muss sie für sich arbeiten. Mitunter hat Konovalova dabei Publikum: Weil die Außenfassade des Hauses renoviert wird, sind oft Arbeiter am Gerüst, wenn sie ihre Übungen macht: „Am Anfang waren sie überrascht, dass da jemand so verrückte Sachen macht, wie den Fuß ganz hoch heben oder durch die Luft springen“, erzählt sie. Jetzt kriegen die Arbeiter vor dem Fenster hin und wieder eine kleine Privatvorstellung. Und die Nachbarn? Alle wissen, was sie arbeitet, und akzeptieren, wenn sie trotz leichtfüßiger Sprünge Geräusche macht. „Ich hoffe, der Luster fällt nicht runter“, scherzt Konovalova. „Aber bisher ist nichts passiert und keiner hat sich beklagt.“
Drei Minuten Theaterfeeling
Wie das aussieht, wenn die grazile Tänzerin mit flinken Schritten und eleganten Armbewegungen durch ihr Wohnzimmer schwebt, kann man auf YouTube erleben: Gemeinsam mit dem Cellisten Johannes Moser hat sie – jeder von seinem Wohnzimmer aus – eine Performance aufgenommen. „Ich mag die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern, vor allem mit so großartigen Musikern wie Johannes Moser. In unserem Kulturleben ist momentan nicht viel los, und so kam uns die Idee zu dieser Lockdown-Version von Camille Saint-Saens¨ ,The Swan‘.“Drei Minuten virtuelles Theaterfeeling. „Ich vermisse die Bühne und die Oper, die meine Heimat ist.“
Trotzdem genießt sie die stressfreie Zeit. „Ich nütze die Gelegenheit, um mich zu erholen. Nicht nur physisch, auch mental, denn der Job als Tänzerin ist sehr anstrengend.“Jetzt nimmt sie sich die Zeit, um beim Kochen zu improvisieren. Sie liest nicht nur auf dem Weg ins Theater oder wenn sie auf dem Hometrainer sitzt, sondern ganz gemütlich auf dem Sofa. „Und wenn ich gehe, dann kann ich einfach nur atmen. Sonst denke ich immer an die nächste Vorstellung, an meine Schritte. Man läuft oft so schnell durchs Leben und vergisst auf die ganz simplen Dinge.“