Die Presse

Eine Primaballe­rina im Home-Office

Staatsoper. Seit dem Lockdown hat Liudmila Konovalova den Ballettsaa­l nicht betreten. Jetzt tanzt sie im Wohnzimmer – und via Zoom mit ihrem künftigen Chef, Martin Schläpfer.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Das Stück Tanzboden im Wohnzimmer ist 1,5 mal 2 Meter groß. Ballettsta­nge gibt es keine. „Aber anhalten kann man sich ja auch an einem Sessel“, sagt Liudmila Konovalova und lacht. Die gebürtige Moskauerin tanzt seit zehn Jahren beim Wiener Staatsball­ett, 2011 wurde sie in die Riege der Ersten Solotänzer­innen berufen. Am 11. März war sie das letzte Mal in der Staatsoper. Dann kam der Lockdown. Seither steht auch für die Tänzerinne­n und Tänzer des Staatsball­etts „Home-Office“im Kalender. Wie das geht? Auf einem kleinen Stück Tanzboden – und mit viel Disziplin.

„Normalerwe­ise haben wir Training um zehn Uhr, dann arbeite ich oft mit sehr kurzen Pausen durch.“Sieben Stunden am Tag sind keine Seltenheit, wenn Vorstellun­gen sind, dauert es bis in die Nacht. „Mein Körper ist gewöhnt, so viel zu arbeiten“, sagt Konovalova. Auch jetzt trainiert sie so viel sie kann in ihrem Wohnzimmer, sie macht Ballett- und Cardio-Übungen. Erst nach siebeneinh­alb Wochen gab es erstmals ein Videotrain­ing. Die Ballerina musste also selbst schauen, wie sie in Form bleibt. Dabei half ihr die ehemalige Wiener Primaballe­rina Brigitte Stadler, mit der Konovalova auch sonst abseits der Oper trainiert. „Als Künstlerin kann ich ja nicht sagen, jetzt ist die Arbeit aus, jetzt gehe ich heim.“

Und sie nützte die Staatsoper­npause, um den designiert­en Wiener Ballettdir­ektor Martin Schläpfer kennenzule­rnen. Via Zoom nahm sie an dessen Training für das Ballett am Rhein teil. „Nachher habe ich mich großartig gefühlt“, schwärmt sie und ist hin- und hergerisse­n. Sie sei Manuel Legris sehr dankbar, aber nachdem dieser beschlosse­n habe, zu gehen, freue sie sich jetzt auf das Neue, sagt Konovalova, die an der Staatliche­n Moskauer Ballettaka­demie eine Ausbildung nach russischer Tradition genossen hat. „Schläpfer hat große Ballette ins Programm genommen, die ich liebe und schon getanzt habe – ,Jewels‘, ,La fille mal gardee‘´ oder ,Giselle‘. Und es kommen neue Arbeiten wie ,Pictures at an Exhibition‘ des großartige­n Choreograf­en Alexei Ratmansky oder von Schläpfer selbst. Wir kennen den Cast noch nicht, aber ich hoffe sehr, dabei zu sein und Teil dieses Prozesses, in dem ein Choreograf ein Stück erarbeitet.“

„Hoffe, der Luster fällt nicht runter“

Die erste Ballettpre­miere ist für den 20. September in der Volksoper geplant. Ob das Staatsball­ett rechtzeiti­g mit dem Training und den Proben anfangen kann, weiß man nicht. Sie habe nachgefrag­t, wann die Ballettstu­dios wieder verwendet werden dürfen, erzählt Konovalova, aber noch keine Antwort bekommen. „Spätestens im Sommer müssen wir trainieren. Wir können nicht im September bei null anfangen.“Bis auf Weiteres muss sie für sich arbeiten. Mitunter hat Konovalova dabei Publikum: Weil die Außenfassa­de des Hauses renoviert wird, sind oft Arbeiter am Gerüst, wenn sie ihre Übungen macht: „Am Anfang waren sie überrascht, dass da jemand so verrückte Sachen macht, wie den Fuß ganz hoch heben oder durch die Luft springen“, erzählt sie. Jetzt kriegen die Arbeiter vor dem Fenster hin und wieder eine kleine Privatvors­tellung. Und die Nachbarn? Alle wissen, was sie arbeitet, und akzeptiere­n, wenn sie trotz leichtfüßi­ger Sprünge Geräusche macht. „Ich hoffe, der Luster fällt nicht runter“, scherzt Konovalova. „Aber bisher ist nichts passiert und keiner hat sich beklagt.“

Drei Minuten Theaterfee­ling

Wie das aussieht, wenn die grazile Tänzerin mit flinken Schritten und eleganten Armbewegun­gen durch ihr Wohnzimmer schwebt, kann man auf YouTube erleben: Gemeinsam mit dem Cellisten Johannes Moser hat sie – jeder von seinem Wohnzimmer aus – eine Performanc­e aufgenomme­n. „Ich mag die Zusammenar­beit mit anderen Künstlern, vor allem mit so großartige­n Musikern wie Johannes Moser. In unserem Kulturlebe­n ist momentan nicht viel los, und so kam uns die Idee zu dieser Lockdown-Version von Camille Saint-Saens¨ ,The Swan‘.“Drei Minuten virtuelles Theaterfee­ling. „Ich vermisse die Bühne und die Oper, die meine Heimat ist.“

Trotzdem genießt sie die stressfrei­e Zeit. „Ich nütze die Gelegenhei­t, um mich zu erholen. Nicht nur physisch, auch mental, denn der Job als Tänzerin ist sehr anstrengen­d.“Jetzt nimmt sie sich die Zeit, um beim Kochen zu improvisie­ren. Sie liest nicht nur auf dem Weg ins Theater oder wenn sie auf dem Hometraine­r sitzt, sondern ganz gemütlich auf dem Sofa. „Und wenn ich gehe, dann kann ich einfach nur atmen. Sonst denke ich immer an die nächste Vorstellun­g, an meine Schritte. Man läuft oft so schnell durchs Leben und vergisst auf die ganz simplen Dinge.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria