Auf dem Höhepunkt der Coronakrise galt die hohe Bettendichte als härteste Währung. Mit den sinkenden Infektionszahlen verliert sie wieder an Wert.
Leitartikel von Köksal Baltaci: „Warum in Österreich Spitalsbetten nicht reduziert werden sollten.“
Schon beachtlich, wie undifferenziert diese Debatte geführt wird. Im Vergleich zur jüngsten Volatilität des Kurses österreichischer Spitalsbetten wirken sogar Bitcoins wie eine stabile Währung. Galt die im OECD-Vergleich hohe Bettendichte vor der Coronakrise noch als eines der größten Probleme des Gesundheitssystems, hätte man sie während der rasanten Ausbreitung des Virus im März nicht einmal gegen pures Gold eingetauscht.
Nun, da die Epidemie unter Kontrolle ist und viele der Betten gar nicht gebraucht wurden, stellen manche Experten ihren Nutzen wieder infrage. Denn nicht sie hätten einen medizinischen Notstand verhindert, sondern die Disziplin der Bevölkerung, die sich an die verordneten Maßnahmen gehalten habe. 7,4 Betten pro 1000 Einwohner seien bei einem Europaschnitt von 5,1 Betten einfach zu viel, schließlich gehörten Spitalsbetten zu den teuersten medizinischen Ressourcen.
Keine schlechten Argumente. Die haben aber auch die Befürworter des Status quo, darunter die Länder und die Ärztekammer. Denn was, wenn die Epidemie Österreich durch eine Verkettung unglücklicher Umstände härter getroffen hätte? Wie in Italien. Und was, wenn dieses Szenario nach einer eventuellen zweiten Welle doch noch eintritt? Sind wir dann wieder stolz auf die vielen Betten? Sieht so eine weitsichtige Debatte aus?
Nicht bei aufrichtiger Betrachtung der Situation. Denn wie schon bei der Frage, ob es in Österreich einen Ärztemangel gibt, lohnt sich auch in diesem Punkt ein näherer Blick auf die Ursache. Diese liegt zum einen in der Finanzierung der Spitäler durch die Länder, die deswegen selbst ohne medizinische Notwendigkeit große Häuser unterhalten. Immerhin stellen sie einen enormen Machtfaktor für die Landeshauptleute dar und sind in manchen Regionen der größte Arbeitgeber.
Der zweite Grund ist der zunehmende Mangel an Pflegebetten inklusive 24-Stunden-Pflege sowie den Spitälern nachgeordnete Einrichtungen, in denen sich Patienten etwa nach Operationen erholen könnten. Um diese Defizite auszugleichen, kommen Pflegebedürftige vorübergehend (oft wochenlang) in Krankenhäusern unter, obwohl sie keine medizinische
Behandlung benötigen. Dieses Phänomen, das in vielen Abteilungen immer stärker zum Nadelöhr wird, ist eine strukturell gewachsene Eigenheit Österreichs und in hohem Maß ineffizient.
Solange die Politik an der dualen Finanzierung mit Bund und Ländern festhält, ist aber eine weitere deutliche Reduktion der Bettenzahl, die im Übrigen in den vergangenen Jahren sehr wohl gesunken ist, kaum durchsetzbar – und wäre angesichts einer älter werdenden Bevölkerung ohnehin nicht zielführend.
Stattdessen könnten und sollten die Spitäler Anleihen aus der Coronakrise nehmen und fortsetzen, was sie begonnen haben, nämlich personell sowie funktional umzuschichten. Bei gleicher Anzahl an Betten. Aus Tausenden Akutbetten, wie gewöhnliche Betten – im Gegensatz zu Intensivbetten, bei denen Österreich ebenfalls eine hohe Dichte aufweist, die aber unumstritten ist – genannt werden, könnten mit ein bisschen Aufwand Nachsorgebetten werden. Nach dem Konzept der Übergangspflege, das einzelne Spitäler schon auf eigene Verantwortung umsetzen.
Abteilungen also mit geringerer technischer Ausstattung sowie einem anderen Betreuungsschlüssel, ohne zwei Visiten pro Tag etwa. Mit Betten, die nicht nur weniger Kosten verursachen, sondern bei Bedarf auch rasch umgerüstet und mit Akutfällen belegt werden können. Dass das möglich ist, haben zuletzt Pflege-, Kur- und Reha-Einrichtungen gezeigt, die kurzerhand zu Notspitälern umfunktioniert worden sind.
Krankenhäuser, die auf die medizinischen und ökonomischen Herausforderungen der Zukunft vorbereitet sein wollen, müssen also wandlungsfähig sein und ihre – ausreichend vorhandenen – Betten bedarfsgerecht einsetzen.
Und wer sich jetzt (zu Recht) fragt, ob es für diese Erkenntnis wirklich die Coronakrise gebraucht hat, sollte angesichts der verkrusteten Strukturen in Österreich nicht überrascht sein, wenn bei den Verantwortlichen nicht einmal die Coronakrise zu dieser Erkenntnis führt.