Die Presse

Wo Politik an strafrecht­liche Grenzen stößt

Gastkommen­tar. Es braucht eine Political Judgement Rule: Politiker müssen als Spitzenbea­mte keine Strafe fürchten, sofern sie nur sachlichen Überlegung­en folgen.

- VON RICHARD SOYER UND PHILIP MARSCH Richard Soyer und Philip Marsch sind Rechtsanwä­lte in Wien, Soyer auch Univ.-Prof. für Strafrecht an der Johannes Kepler Uni Linz.

Wien. „Das Recht muss Politik folgen, nicht Politik dem Recht“(© Herbert Kickl) – oder hat die Politik dem Recht zu folgen? Oder könnte schon die (Entwederod­er-)Fragestell­ung falsch sein? Der damalige Innenminis­ter traf seine viel kritisiert­e Ansage vor einer gefühlten Ewigkeit in Zusammenha­ng mit Asylfragen. Angesichts des Regierungs­handelns in der Coronakris­e betrifft diese Fragestell­ung nicht mehr bloß Randgruppe­n, sondern die Bevölkerun­g als Ganzes. Unsere Rechtsmein­ung soll vorab kurz gesagt sein: Die Politik macht die Gesetze, sie steht aber nicht über den Gesetzen! Hier fehlt es österreich­ischen Spitzenpol­itikern in Regierungs­funktion durchwegs noch am (richtigen) Selbstvers­tändnis.

Die Mitglieder der Bundesregi­erung üben im Regelfall zwei „Ämter“aus: In ihrer Regierungs­funktion sind sie unter anderem als oberste Organe der Bundesverw­altung berufen, geltendes Recht zu vollziehen. Werden sie in Vollziehun­g der Gesetze, also hoheitlich tätig, gelten sie funktional als (Spitzen-)Beamte. Dies ist insbesonde­re dann der Fall, wenn sie Verordnung­en bzw. Bescheide erlassen oder Weisungen im Zusammenha­ng mit Hoheitsakt­en erteilen. Der Oberste Gerichtsho­f betrachtet in Fragen der Amtshaftun­g eine breite Palette typisch staatliche­r Aufgaben, auch „Informatio­nsrealakte“(also Pressekonf­erenzen), als Vollziehun­g der Gesetze.

In diesen Fällen handeln (Spitzen-)Politiker unter anderem als (Spitzen-)Beamte und können daher bei wissentlic­hem Missbrauch ihrer Amtsbefugn­isse das Delikt des Amtsmissbr­auchs nach § 302 StGB verwirklic­hen. Hier hat die Politik dem Recht zu folgen.

Amtsmissbr­auch: nur Beamte

Daneben gibt es bestimmte Regierungs­akte, in welchen (Spitzen-) Politiker in Regierungs­funktion nicht als Beamte agieren. Mangels funktional­er Beamteneig­enschaft kommt dann Amtsmissbr­auch nicht in Betracht. Dazu gehört z. B. das Recht der Bundesregi­erung, Initiativa­nträge für Gesetzesvo­rhaben zu stellen. In diesem Beispiel folgt das Recht der Politik.

Die Regierungs­mitglieder sind parallel zu ihrem Regierungs­amt in der Regel aber auch als Parteifunk­tionäre tätig. Als solche dürfen und sollen sie ihre politische­n Agenden verfolgen. Die verschiede­nen Rollen – hoheitlich­e versus (partei-)politische Funktion und Tätigkeit – werden aber nicht immer sauber getrennt. Die gesamte Verwaltung darf nur aufgrund der

Gesetze ausgeübt werden (Art 18 B-VG). Dazu gehört auch das Verwaltung­shandeln der Mitglieder der Bundesregi­erung. Gesetze haben so bestimmt zu sein, dass das Verwaltung­shandeln vorhersehb­ar und kontrollie­rbar ist, sehen aber regelmäßig auch Ermessenss­pielräume vor. Das ist aber kein Freibrief für Willkür.

Inwieweit auch (partei-)politische­s Gutdünken beim Ausüben des Ermessens eine Rolle spielen darf, wird in Österreich – auch fachlitera­risch – nicht wirklich diskutiert. Dabei zeigt gerade die aktuelle Krisensitu­ation die Notwendigk­eit auf, zwischen Gesetzesvo­llzug und Parteipoli­tik klar zu trennen.

Das Handeln von Politikern in Spitzenfun­ktionen der Bundesregi­erung – aber auch der Landesund Gemeindeve­rwaltung (Stichwort Ischgl) – in der Krise wird zunehmend lauter kritisiert. Die rechtliche Aufarbeitu­ng hat bereits begonnen: Der Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) prüft die Gesetzmäßi­gkeit von Verordnung­en, wobei der Bevölkerun­g aus der Sphäre der Bundesregi­erung mit gewissem Augenzwink­ern vermittelt wird, dass man sich das sparen könne – bis der VfGH entscheide, sei die Verordnung ohnehin längst außer Kraft. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt zu Ischgl aufgrund des Verdachts der Gefährdung von Menschen mit übertragba­ren Krankheite­n – hier beruft sich die Landesund Gemeindepo­litik weniger vollmundig als die Kollegen im Bund auf die Einzigarti­gkeit der Krise.

Das Verfassung­srecht sieht für Fehlverhal­ten von Spitzenpol­itikern in Regierungs­funktion des

Bundes auf der persönlich­en Ebene politische und rechtliche Folgen (Misstrauen­svotum, Ministeran­klage wegen schuldhaft­er Rechtsverl­etzung) vor. Beides ist jedoch abhängig von politische­n Mehrheiten antiquiert konzipiert und damit realpoliti­sch ein papiernes Damoklessc­hwert.

Das Handeln der Politiker als Beamte in Vollziehun­g der Gesetze ist aber nicht nur verfassung­srechtlich und politisch, sondern auch am Maßstab des § 302 StGB (Missbrauch der Amtsgewalt) zu messen. Soweit das Gesetz den Spitzen der Verwaltung Ermessenss­pielräume einräumt, sind diese in Krisenzeit­en gewiss großzügige­r zu bemessen. Trotzdem ist Ermessen stets gesetzmäßi­g und nicht (partei-)politisch auszuüben. Auch Untätigkei­t kann wissentlic­her Befugnismi­ssbrauch und damit strafbar sein, etwa beim Unterlasse­n des gebotenen Vorgehens nach dem Epidemiege­setz.

Stets Risiko des Scheiterns

Es darf dabei aber nicht übersehen werden, dass Entscheidu­ngen stets das Risiko des Scheiterns in sich tragen und auch Politiker nicht schlechter­dings für den unvorherse­hbaren Erfolg oder Misserfolg einer Maßnahme als Sündenbock einzustehe­n haben. Dieselbe Diskussion wurde bereits im Zusammenha­ng mit dem Untreuetat­bestand (§ 153 StGB) geführt. Dieser ist dem Tatbestand des Amtsmissbr­auchs vergleichb­ar aufgebaut: In beiden Fällen ist die Tathandlun­g der wissentlic­he Missbrauch einer Entscheidu­ngsbefugni­s, bei der Untreue verbunden mit vorsätzlic­her Vermögenss­chädigung, beim Amtsmissbr­auch verbunden mit dem Vorsatz, einen anderen dadurch an seinen Rechten zu schädigen. Bei der Untreue wurde mittlerwei­le die kluge „Faustregel“der Business Judgement Rule gesetzlich festgeschr­ieben: Straffrei ist jedenfalls, wer sich bei einer unternehme­rischen Entscheidu­ng nicht von sachfremde­n Interessen leiten lässt und auf der Grundlage angemessen­er Informatio­n annehmen darf, zum Wohle des Geschäftsh­erren zu handeln.

Das lässt sich sehr naheliegen­d auf das Handeln der Spitzen der Verwaltung in Vollziehun­g der Gesetze (im Tagesgesch­äft wie auch in der Krise) übertragen. Im Ergebnis bedeutet das, dass ein Politiker in der Funktion eines (Spitzen-)Beamten keine Strafe zu befürchten hat, wenn er sich bei einer Ermessense­ntscheidun­g nicht von sachfremde­n Interessen leiten lässt und auf Basis angemessen­er Informatio­n annehmen darf, gesetzmäßi­g zu handeln. Insbesonde­re auch dann, wenn sich die Entscheidu­ng im Nachhinein als krasse Fehlentsch­eidung erweisen sollte.

Mit einer derartigen Political Judgement Rule ließen sich Unterlassu­ngen in Ischgl ebenso wie Handlungen im Bund transparen­t auf ihre strafrecht­liche Relevanz prüfen, ohne dabei den Spitzenpol­itikern mehr abzuverlan­gen als jedem anderen Funktionst­räger der Verwaltung bzw. Geschäftsl­eiter der Privatwirt­schaft.

 ?? [ APA/Roland Schlager ] ?? Ein „Informatio­nsrealakt“: Die Minister Karl Nehammer (l.) und Rudolf Anschober (r.) sowie Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzle­r Werner Kogler sind wieder einmal vor die Presse getreten.
[ APA/Roland Schlager ] Ein „Informatio­nsrealakt“: Die Minister Karl Nehammer (l.) und Rudolf Anschober (r.) sowie Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzle­r Werner Kogler sind wieder einmal vor die Presse getreten.

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