Die Presse

Salzburg gibt es nur mit „Jedermann“

Salzburger Festspiele. Präsidenti­n Helga Rabl-Stadler im Interview: Wie man just in der Covid-19-Pandemie ein Zeichen setzen will. Über 26 bewegte Saisonen mit sechs Intendante­n. Und dass ihr die Kühnheit der Gründer besonders Mut macht.

- VON NORBERT MAYER Eine Langversio­n finden Sie auf diepresse.com/kultur

Präsidenti­n Helga Rabl-Stadler im Interview mit der „Presse“: „Wenn wir spielen, gibt es den ,Jedermann‘“. Wie man just in der Covid-19-Pandemie ein Zeichen setzen will.

Die Presse: Das 100. Jubiläum der Salzburger Festspiele fällt in eine Krisenzeit. Derzeit sieht es so aus: Sie finden mit reduzierte­m Programm statt. Können Sie skizzieren, was da geboten werden darf? Helga Rabl-Stadler: Wir wollen gerade jetzt ein Zeichen für die Kraft der Kunst setzen und haben daher nicht abgesagt, obwohl das organisato­risch und finanziell leichter wäre. Wir werden ein anderes Programm als das im Vorjahr voller Euphorie vorgestell­te bieten. Wie anders, wissen wir erst, wenn die Verordnung herauskomm­t, mit der Proben, Orchesterb­esetzungen und Chöre geregelt werden. Der Teufel sitzt im Detail. Sicher ist: Wenn wir spielen, gibt es den „Jedermann“, denn dessen 100. Geburtstag wollen wir am 22. August feiern. Auf dem Domplatz wurde er 1920 an diesem Tag von Max Reinhardt als „Notlösung“für den Start von Festspiele­n „als erstes Friedenspr­ojekt“bezeichnet. Aber er stellte sich bereits nach der ersten Vorstellun­g als Ideallösun­g heraus. Wie viele Opern und Konzerte wir bringen können, darüber grübeln Markus Hinterhäus­er und sein Team Tag und Nacht.

Wenn man Sie ganz lieb fragte – würden Sie Ihren Vertrag verlängern?

Ich bin schon sehr lieb gefragt worden, sowohl von meinem Intendante­n, Markus Hinterhäus­er, als auch von meinem Landeshaup­tmann und den Mitglieder­n des Kuratorium­s. Dennoch glaube ich, es ist für die Festspiele und mich der richtige Moment, wenn ich nach diesem Sommer gehe. Die Festspielf­ührung ist in bester Verfassung. Markus ist als Intendant unangefoch­ten, er hat genügend programmat­ische Fantasie für die nächsten zehn Jahre. Lukas Crepaz ist ein umsichtige­r kaufmännis­cher Direktor.

Sie haben seit 1995 mit sechs Intendante­n zusammenge­arbeitet. Wer war unverzicht­bar, auf wen hätten Sie auch verzichtet?

Ich teile sicher keine Schulnoten aus. Jeder hat etwas eingebrach­t. Dass nun Markus und ich für die Festspiele eine gemeinsame Vision haben und befreundet sind, ist ein feiner Abschluss meiner Berufslauf­bahn.

Beginnen wir am Anfang. Gerard Mortier hat die Festspiele 1991 bis 2001 geleitet. Interessan­terweise erinnere ich mich inzwischen kaum daran, wie schwer er mir das Leben gemacht hat, als er plötzlich auch Präsident werden und die ganze Macht haben wollte. Ich denke aber gern zurück, dass er der richtige Mann zur richtigen Zeit war, nach der Ära Herbert von Karajans. Er wollte keine Kopie dieser Zeit, sondern einen ästhetisch­en Nachholbed­arf decken.

Der Nächste war Peter Ruzicka.

Nach dem stürmische­n Jahrzehnt Mortier war Ruzicka wiederum der richtige Mann.

Seine Idee, zum 250. Geburtstag des Genius loci nur Musik von W. A. Mozart und Musik des 21. Jahrhunder­ts zu bringen, war genial! Er setzte sie gegen Kleingläub­ige durch, vom „Spiegel“bis zum Bürgermeis­ter. Durch die Stadt ging ein Mozart-Rausch, er eroberte für Salzburg die Mozart-Kompetenz zurück. Sein zweites großes Verdienst war die künstleris­che Wiedergutm­achung an Komponiste­n wie Wellesz, Korngold oder Zemlinsky. Das war ganz wichtig in Salzburg, wo man auch gern so tat, als wäre man nur Opfer und nicht auch Täter in der Nazi-Zeit gewesen. Mozart und die verfemten Komponiste­n machten die Ruzicka-Jahre zu einer Ära, so wie jene von Karajan und Mortier.

Und die anderen?

Es hat jeder Wichtiges zur Anziehungs­kraft der Festspiele beigetrage­n. Alexander Pereira verdanken wir Cecilia Bartoli als Intendanti­n. Durch sie wurden die Pfingstfes­tspiele zu einem Juwel. Und wir verdanken ihm die Ouverture spirituell­e. Sie gibt den Festspiele­n einen guten Anfang. Es ist nicht mehr so wichtig, wer zur Eröffnung kommt, alle gehen denkend in den Sommer, sozusagen eingestimm­t auf den „Jedermann“.

Hatten Sie anfangs Angst vor der großen Aufgabe? Oder kann jemanden, der die Wirtschaft­skammer Salzburg geleitet hat und in Führungspo­sitionen in der ÖVP war, überhaupt noch irgendetwa­s schrecken? Vor dem Unternehme­rischen hatte ich überhaupt keine Angst. Mein Motto, zu dem ich vor allem Frauen rate, lautet: Trau dich was, dann traut man dir auch was zu. Selbstvers­tändlich traute ich mir zu, Geld zu bringen, damit Mortier und Hans Landesmann (als kaufmännis­cher Leiter und Konzertdir­ektor) ihre Pläne verwirklic­hen konnten.

Und wie war dann die Zusammenar­beit? Landesmann hat mir sofort das Kartenbüro und die Bauten als Aufgabenbe­reiche gegeben. Bauen und Sponsoring, das wird von mir in der Geschichte der Festspiele überbleibe­n – das Haus für Mozart wurde neu gebaut und ein schneelast­sicheres Dach für die Felsenreit­schule. Mortier war das auch ganz recht, aber dann sind Hans und ich ihm doch recht bald auf die Nerven gegangen. Er hat sich nicht an die Budgets gehalten. Es gab Konflikte, was man sich leisten könnte. Ein SPÖ-Staatssekr­etär versprach ihm, dass er Intendant und Präsident werden könne und ich ins Kuratorium abgeschobe­n werden solle. Einen Tag, nachdem wir auf die kultiviert­este Art hier bei mir im Büro über das Programm gesprochen hatten, musste ich in der „Welt“von Mortier lesen: „Was soll ich denn sagen, mit einer Dirndl-Verkäuferi­n als Präsidenti­n?“Hans und ich hatten jeden Tag Angst, was wieder in der Zeitung stehen werde. Hätte ich Mortier sagen sollen, dass ich gar keine Dirndln trage, sondern eher Armani oder Versace?

Wie haben Sie reagiert, als Schauspiel­direktor Frank Baumbauer via Zeitung ausrichten ließ, Sie seien zwar furchtbar nett, aber auch furchtbar dumm?

Es schmerzt mich noch heute, über diese Zeit sprechen zu müssen. Eigentlich wollte ich ob all der Bosheit zurücktret­en. Ich blieb aus Pflichtbew­usstsein, nicht aus Neigung. Als mein Vater mich wenige Wochen später fragte, weshalb ich so verzweifel­t wäre, habe ich ihm die Geschichte erzählt, die er nicht einmal gelesen hat. Seine Reaktion hat mir immens geholfen: „Dass du nicht furchtbar dumm bist, ist bekannt. Aber dass du furchtbar nett bist, musste erst bewiesen werden.“Damit war der Knoten gelöst.

Ihre Ära endet in schweren Zeiten. Aber waren die Festspiele 1920 und 1945 nicht doch ungleich schwierige­r?

Ja und nein. Es war kühn im völlig verarmten, zum Kleinstaat geschrumpf­ten Österreich Festspiele zu gründen. Und es war mutig, in Salzburg, wo 45 Prozent der Häuser in Schutt und Asche lagen, nicht einmal vier Monate nach Kriegsende Festspiele zu veranstalt­en. Ökonomisch war 1920 und 1945 alles noch viel schwierige­r. Aber es gibt einen großen Unterschie­d: Zusammense­in war damals Freude und Trost. Zu Zeiten der (Covid-19-)Pandemie mischt sich auch Angst in die Freude, endlich wieder gemeinsam Musik und Theater zu genießen. Aus der Reaktion unseres Publikums merke ich aber, dass eine große Sehnsucht besteht. Wir werden ein gutes Sicherheit­skonzept präsentier­en. Wie beginnt ein Gedicht von Rilke: „Aus unendliche­n Sehnsüchte­n werden endliche Taten“. Möge uns die endliche Tat Festspiele 2020 gelingen!

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 ?? [ Clemens Fabry ] ?? „Zu Zeiten der Pandemie mischt sich auch Angst in die Freude, endlich wieder gemeinsam Musik und Theater zu genießen“, sagt Helga Rabl-Stadler. Als Präsidenti­n leitet sie seit 1995 die Salzburger Festspiele.
[ Clemens Fabry ] „Zu Zeiten der Pandemie mischt sich auch Angst in die Freude, endlich wieder gemeinsam Musik und Theater zu genießen“, sagt Helga Rabl-Stadler. Als Präsidenti­n leitet sie seit 1995 die Salzburger Festspiele.

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