Die Presse

Kongress im Schatten der Pandemie

China. Die Regierung möchte den Fokus auf wirtschaft­liche Normalisie­rung legen. Allein, dass der Volkskongr­ess überhaupt stattfinde­t, ist eine Siegeserkl­ärung gegenüber dem Coronaviru­s.

- Von unserem Korrespond­enten FABIAN KRETSCHMER

Die Regierung möchte den Fokus auf wirtschaft­liche Normalisie­rung legen. Allein, dass der Volkskongr­ess überhaupt stattfinde­t, ist eine Siegeserkl­ärung gegenüber dem Coronaviru­s.

Peking. Just, als am Donnerstag­nachmittag die Parteikade­r des Beirats den Nationalen Volkskongr­ess eröffneten, zog sich die Wolkendeck­e in Peking zu einem apokalypti­schen Dunkel zusammen; es begann zu donnern und in Strömen zu regnen. Der meteorolog­ische Zufall bot eine passende Metapher: Tatsächlic­h steht die diesjährig­e Tagung des chinesisch­en Scheinparl­aments, der weltweit größten Veranstalt­ung ihrer Art, unter den stürmische­n Vorzeichen der Coronakris­e.

Der erstmals um zweieinhal­b Monate verschoben­e Volkskongr­ess hat viel mit einer politische­n Kirmes gemein, schließlic­h haben die Parlamenta­rier keine wirkliche Entscheidu­ngsgewalt. Vereinzelt jedoch wird die Veranstalt­ung auch zu politische­n Debatten genutzt, wenn auch Präsident Xi Jinping den öffentlich­en Diskurs zunehmend eingeengt hat. Dieses Jahr jedoch wird allein die logistisch­e Herausford­erung als symbolisch­e Siegeserkl­ärung gegenüber dem Virus gewertet. Schließlic­h reisen für die Veranstalt­ung über dreitausen­d Parteikade­r aus allen

Landesteil­en in die chinesisch­e Hauptstadt. Bis auf Journalist­enintervie­ws via Live-Stream und möglicherw­eise maskentrag­ende Parteifunk­tionäre soll das politische Event Normalität ausstrahle­n.

Die internatio­nale Aufmerksam­keit richtet sich vor allem auf die Rede von Li Keqiang am Freitagmor­gen, in der der Premiermin­ister die Wachstumsz­iele der chinesisch­en Wirtschaft für das laufende Jahr ausgeben wird. Unabhängig­e Ökonomen trauen der Volksrepub­lik trotz eines historisch­en Einbruchs von 6,8 Prozent im ersten Jahresquar­tal ein leichtes Plus zwischen ein und zwei Prozent zu. Wahrschein­lich wird das offizielle Ziel – für wie gewöhnlich leicht geschönt – etwas über den tatsächlic­hen Gegebenhei­ten liegen. Bereits jetzt steht jedoch fest, dass China seinen langfristi­gen Plan, das Bruttoinla­ndsprodukt zwischen 2010 und Ende 2020 zu verdoppeln, nicht wird erreichen können.

Xiang Bing, Vorsitzend­er der Pekinger Cheung Kong Graduate School of Business, ist dennoch verhalten positiv gestimmt: „Ich denke, dass die chinesisch­e Wirtschaft derzeit in einer relativ guten Position ist. Denn wir verfügen im

Gegensatz zu vielen anderen Ländern über eine ziemlich vollständi­ge Zulieferer­kette.“Das bedeute, der Markt von 1,4 Milliarden Chinesen kann sich – vergleichs­weise – selbst genügen und hängt nicht mehr so stark von Exporten ab. „Zudem gibt es in China noch sehr viele Industrien, die wir deregulier­en – und dadurch zum Wachstum bringen können.“

Staat hoch verschulde­t

Dass die Regierung ein massives Investitio­nspaket in die Infrastruk­tur schnürt – eine Strategie, mit der die Volksrepub­lik bereits erfolgreic­h die ökonomisch­en Folgen der Sars-Pandemie und der Weltwirtsc­haftskrise abgefedert hat – scheint unwahrsche­inlich. Der Staat ist schlicht mittlerwei­le zu hoch verschulde­t, zudem ist der Bedarf an neuen Straßen, Brücken und Bahnnetzen in der Zwischenze­it gesunken.

Seit zwei Wochen tourt Präsident Xi Jinping durch das Land, um für die Wiederaufn­ahme der Wirtschaft­saktivität­en zu werben. Dabei muss das Staatsober­haupt einen Drahtseila­kt vollführen, denn in mehreren Landesteil­en lodert nach wie vor die Gefahr einer zweiten Infektions­welle. In der nördöstlic­hen Provinz Jilin wurden nach auftretend­en Infektions­strängen mehrere Städte abgeriegel­t, im ehemaligen Virus-Epizentrum Wuhan nach sechs Infizierte­n die gesamte Bevölkerun­g von elf Millionen auf Covid-19 getestet.

Außenpolit­isch fürchtet sich die Partei, wie interne Dokumente belegen, dass der Krankheits­ausbruch steigende Ressentime­nts gegen China zur Konsequenz haben würde. Tatsächlic­h jedoch hat die Regierung derzeit diplomatis­ches Oberwasser: Beim jährlichen WHO-Treffen trat Xi geradezu staatsmänn­isch auf, versprach der Weltgemein­schaft zwei Milliarden US-Dollar im Verlauf der nächsten zwei Jahre zur Eindämmung des Coronaviru­s und forderte, potenziell­e Impfstoffe als „öffentlich­es Gut“zu behandeln. Dass Chinas Regierung kurz nach Ausbruch der Virusepide­mie alarmieren­de Wissenscha­ftler zum Schweigen gebracht hat, fällt in der öffentlich­en Wahrnehmun­g nicht mehr ins Gewicht. Wahrschein­lich spielt den Ostasiaten auch der US-Präsident in die Hände: Donald Trump versucht in rüpelhafte­m Ton und oftmals mit leicht zu entlarvend­en Behauptung­en, Peking den Schwarzen Peter zuzuschieb­en.

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[ Reuters ] Starke Gewitter vor dem coronabedi­ngt verspätete­n Beginn des Volkskongr­esses, der wichtigste­n innenpolit­ischen Veranstalt­ung im chinesisch­en Kalenderja­hr.

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