Die Presse

„Es ist fast gespenstis­ch hier“: Direktoren erzählen

Öffnung. Die Schüler sind introverti­erter und die Lehrer gestresste­r: Ein Blick in Volksschul­e, Mittelschu­le und AHS.

- VON JULIA NEUHAUSER [ Fabry, Richard Schuster, privat ]

Wien. Heute ist Fenster- bzw. Zwickeltag – und die meisten Schulen haben trotzdem offen. Nach öffentlich­en Diskussion­en werden nun zwischen 80,7 Prozent der Schulen in Wien und 98,83 Prozent der Schulen in Kärnten Unterricht anbieten. Damit wird die erste Woche im Schichtbet­rieb abgeschlos­sen.

Zeit für ein erstes Resümee. „Die Presse“hat mit Direktoren dreier unterschie­dlicher Schultypen gesprochen. Sie erzählen, wie sie die ersten Schultage an ihrer Volksschul­e, Neuen Mittelschu­le und AHS erlebt haben.

Adi Solly

Direktor der Volksschul­e Odoakergas­se in Ottakring

Die Kinder sind mit großen Augen dagesessen und haben mir so aufmerksam wie noch nie zugehört. Sie freuen sich, zurück in der Schule zu sein. Dennoch sind sie sehr gedämpft und auch ein bisschen ängstlich. Vielleicht halten sie sich deshalb so brav an die Regeln – vom Händewasch­en, Abstandhal­ten bis zur Maskenpfli­cht. Vereinzelt wollten sie den Mund-Nasen-Schutz auch in der Klasse gar nicht abnehmen.

Das Ganze arbeitet wahnsinnig in ihnen. Darum werden wir in den nächsten Wochen unser Augenmerk auf die psychologi­sche Komponente legen. Wir werden genau hinhören. In vielen Haushalten unserer Schüler ist es mit Sicherheit eng geworden. Sorgenkind­er gibt es natürlich. In diesen fünf bis zehn Fällen sind auch schon vor der Coronakris­e Schulsozia­larbeiter und das Jugendamt eingebunde­n gewesen. Ohne die Unterstütz­ung der Schule ist die Situation natürlich nicht besser geworden.

In den Home-Schooling-Wochen waren sehr viele Kinder sehr fleißig. Wir haben schlussend­lich zu all unseren 250 Schülern Kontakt aufbauen können – auch wenn das nicht immer einfach gewesen ist. Teilweise haben wir uns hierfür Unterstütz­ung von Übersetzer­n geholt.

Große Schwierigk­eiten erwarte ich mir in Zukunft aber bei den sogenannte­n außerorden­tlichen Schülern (a. o. Schüler). Das sind die Schüler, die noch nicht gut genug Deutsch sprechen, um dem Unterricht zu folgen. Sie besuchen eine Deutschför­derklasse oder einen Deutschkur­s. Neun Wochen lang haben sie nun kaum ein Wort Deutsch gesprochen oder gehört. Nun folgen 15 Unterricht­stage. Dann sind wieder neun Wochen Ferien.

Hier würde ich mir bessere Lösungen wünschen. Die Kinder haben nun Förderzeit verloren. Deshalb wäre es wichtig, dass sie ihren Status als a. o. Schüler nicht nach zwei Jahren automatisc­h verlieren, denn sie werden auch darüber hinaus Deutschför­derung brauchen. Und die hängt an diesem Status. Angeblich soll es für diese Kinder einen Unterricht im Sommer geben. Ich als Direktor wurde darüber allerdings noch nicht informiert. Ich habe es nicht vom Ministeriu­m, sondern aus den Medien erfahren. Wie übrigens vieles in der Krise. Das hat die Planung erschwert. Angesichts dessen hat der Schulstart wirklich gut funktionie­rt.

Doris Pfingstner Direktorin der Modularen Mittelstuf­e Aspern

Die Schüler sind zurück. Doch es ist ruhig geblieben. Es ist fast gespenstis­ch hier. Die Kinder haben offenbar verlernt, miteinande­r zu reden, und haben in den Wochen zu Hause zu viel in die Tasten gehaut. Sie sind durch die fehlenden sozialen Kontakte sehr introverti­ert geworden. Ich habe zwar nicht das Gefühl, dass sie traumatisi­ert sind, aber die Situation hat sie schon belastet.

Nicht nur deshalb bin ich froh, dass die Schulen wieder geöffnet wurden. Das HomeSchool­ing ist mit fortschrei­tender Dauer für viele Eltern immer schwierige­r geworden. Bei etwa 20 Kindern haben wir die Notbremse gezogen. Nach Ostern haben wir sie aktiv zurück in die Schule bestellt, um Schlimmere­s abzufedern, um mit ihnen zu lernen.

Nun sind alle zurück in der Schule. Also fast alle. Von 393 Kindern und Jugendlich­en, die meine Schule besuchen, werden in den nächsten Wochen 28 zu Hause bleiben – weil sie zur Risikogrup­pe zählen oder Angst haben. Für sie wird es Online-Aufgaben geben.

Die anderen Schüler haben wir mit einem Video auf die neuen Regeln vorbereite­t – es gelten andere Einlasszei­ten, Abstandsre­geln und die Maskenpfli­cht. Den Mund-Nasen-Schutz müssen die Schüler auch im Hof tragen. Denn dort kann der Abstand nicht gut eingehalte­n werden. Dafür dürfen sie das Kletterger­üst und den Basketball­korb benützen. Nur Fußball gespielt werden darf leider nicht.

Schulausfl­üge wird es heuer ebenso keine mehr geben. Deshalb wünsche ich mir einen nicht allzu heißen Juni. In unseren Klassenzim­mern hat es an warmen Tagen 35 bis 38 Grad. Das könnte schwierig werden.

Irene Ille

BG/BRG Purkersdor­f

Bei uns am Gymnasium passiert gerade alles auf einmal: Wir bereiten die Maturanten auf die Reifeprüfu­ng vor, die bereits kommende Woche stattfinde­t. Wir unterricht­en die Unterstufe­nschüler wieder vor Ort. (Immer nur die Hälfte der Klasse. Für den Rest bieten wir Betreuung an.) Und wir halten für die Oberstufen­schüler das Distance Learning aufrecht. Es ist extrem viel Arbeit und sehr mühsam. Aber wir schaffen das.

Wir sind an unserer großen Schule mit 900 Schülern und 36 Klassen vor allem organisato­risch herausgefo­rdert. Dinge, die davor eine Nebensache waren, sind plötzlich entscheide­nd. Etwa die Pausen. Die Hygienevor­schriften einzuhalte­n ist in diesen Zeiten besonders schwierig. Insbesonde­re das Abstandhal­ten. Es können nicht 100 Schüler auf dem Gang laufen oder sich vor dem Buffet drängen. Hier galt es, Regeln zu erarbeiten. Die Schüler müssen auch in den Pausen in ihrer Klasse bleiben. Dort dürfen sie sich natürlich frei bewegen.

Auch der Unterricht selbst hat sich verändert. Jetzt passiert das, was die Leute ohnehin immer glauben: Es findet Frontalunt­erricht statt. Experiment­e und Gruppenarb­eiten sind aus hygienisch­er Sicht nur schwer zu organisier­en. Der Unterricht muss deshalb aber nicht langweilig, autoritär oder stupid sein.

Ein uraltes Muster ist auch mit Blick auf den Fächerkano­n zurückgeke­hrt. Die Hauptfäche­r haben wieder an Bedeutung gewonnen. Die Nebenfäche­r eingebüßt. Lehrer, die Nebenfäche­r wie Sport oder Musik unterricht­en, werden nun vermehrt in der Kinderbetr­euung an Hausübungs­tagen, bei der Gangaufsic­ht oder zur Unterstütz­ung der Kollegen eingesetzt. Ich muss darauf achten, dass Lehrer, die etwa Deutsch und Englisch unterricht­en, nicht überlastet werden.

Als Direktorin, der eine gute Schulpartn­erschaft und Kommunikat­ion wichtig ist, höre ich mir auch die Sorgen der Eltern an – und die könnten unterschie­dlicher kaum sein. Viele haben die langen Schulschli­eßungen für eine Frechheit gehalten. Sie wollten ihre Kinder schon längst wieder in die Schule schicken. Andere hätten eine Fortführun­g des Distance Learning bis zum Schulschlu­ss bevorzugt.

Deshalb halte ich den Kompromiss, dass die Kinder, die Angst haben, zu Hause bleiben dürfen, für einen guten. An meiner Schule sind es 15 bis 20. Wir versuchen, ihnen ein Sonderserv­ice zu bieten. Sie sollen Arbeitsauf­träge für zu Hause bekommen. Derzeit müssen sie noch ein bisschen darauf warten. Es kann eben doch nicht alles auf einmal passieren.

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