„Es ist fast gespenstisch hier“: Direktoren erzählen
Öffnung. Die Schüler sind introvertierter und die Lehrer gestresster: Ein Blick in Volksschule, Mittelschule und AHS.
Wien. Heute ist Fenster- bzw. Zwickeltag – und die meisten Schulen haben trotzdem offen. Nach öffentlichen Diskussionen werden nun zwischen 80,7 Prozent der Schulen in Wien und 98,83 Prozent der Schulen in Kärnten Unterricht anbieten. Damit wird die erste Woche im Schichtbetrieb abgeschlossen.
Zeit für ein erstes Resümee. „Die Presse“hat mit Direktoren dreier unterschiedlicher Schultypen gesprochen. Sie erzählen, wie sie die ersten Schultage an ihrer Volksschule, Neuen Mittelschule und AHS erlebt haben.
Adi Solly
Direktor der Volksschule Odoakergasse in Ottakring
Die Kinder sind mit großen Augen dagesessen und haben mir so aufmerksam wie noch nie zugehört. Sie freuen sich, zurück in der Schule zu sein. Dennoch sind sie sehr gedämpft und auch ein bisschen ängstlich. Vielleicht halten sie sich deshalb so brav an die Regeln – vom Händewaschen, Abstandhalten bis zur Maskenpflicht. Vereinzelt wollten sie den Mund-Nasen-Schutz auch in der Klasse gar nicht abnehmen.
Das Ganze arbeitet wahnsinnig in ihnen. Darum werden wir in den nächsten Wochen unser Augenmerk auf die psychologische Komponente legen. Wir werden genau hinhören. In vielen Haushalten unserer Schüler ist es mit Sicherheit eng geworden. Sorgenkinder gibt es natürlich. In diesen fünf bis zehn Fällen sind auch schon vor der Coronakrise Schulsozialarbeiter und das Jugendamt eingebunden gewesen. Ohne die Unterstützung der Schule ist die Situation natürlich nicht besser geworden.
In den Home-Schooling-Wochen waren sehr viele Kinder sehr fleißig. Wir haben schlussendlich zu all unseren 250 Schülern Kontakt aufbauen können – auch wenn das nicht immer einfach gewesen ist. Teilweise haben wir uns hierfür Unterstützung von Übersetzern geholt.
Große Schwierigkeiten erwarte ich mir in Zukunft aber bei den sogenannten außerordentlichen Schülern (a. o. Schüler). Das sind die Schüler, die noch nicht gut genug Deutsch sprechen, um dem Unterricht zu folgen. Sie besuchen eine Deutschförderklasse oder einen Deutschkurs. Neun Wochen lang haben sie nun kaum ein Wort Deutsch gesprochen oder gehört. Nun folgen 15 Unterrichtstage. Dann sind wieder neun Wochen Ferien.
Hier würde ich mir bessere Lösungen wünschen. Die Kinder haben nun Förderzeit verloren. Deshalb wäre es wichtig, dass sie ihren Status als a. o. Schüler nicht nach zwei Jahren automatisch verlieren, denn sie werden auch darüber hinaus Deutschförderung brauchen. Und die hängt an diesem Status. Angeblich soll es für diese Kinder einen Unterricht im Sommer geben. Ich als Direktor wurde darüber allerdings noch nicht informiert. Ich habe es nicht vom Ministerium, sondern aus den Medien erfahren. Wie übrigens vieles in der Krise. Das hat die Planung erschwert. Angesichts dessen hat der Schulstart wirklich gut funktioniert.
Doris Pfingstner Direktorin der Modularen Mittelstufe Aspern
Die Schüler sind zurück. Doch es ist ruhig geblieben. Es ist fast gespenstisch hier. Die Kinder haben offenbar verlernt, miteinander zu reden, und haben in den Wochen zu Hause zu viel in die Tasten gehaut. Sie sind durch die fehlenden sozialen Kontakte sehr introvertiert geworden. Ich habe zwar nicht das Gefühl, dass sie traumatisiert sind, aber die Situation hat sie schon belastet.
Nicht nur deshalb bin ich froh, dass die Schulen wieder geöffnet wurden. Das HomeSchooling ist mit fortschreitender Dauer für viele Eltern immer schwieriger geworden. Bei etwa 20 Kindern haben wir die Notbremse gezogen. Nach Ostern haben wir sie aktiv zurück in die Schule bestellt, um Schlimmeres abzufedern, um mit ihnen zu lernen.
Nun sind alle zurück in der Schule. Also fast alle. Von 393 Kindern und Jugendlichen, die meine Schule besuchen, werden in den nächsten Wochen 28 zu Hause bleiben – weil sie zur Risikogruppe zählen oder Angst haben. Für sie wird es Online-Aufgaben geben.
Die anderen Schüler haben wir mit einem Video auf die neuen Regeln vorbereitet – es gelten andere Einlasszeiten, Abstandsregeln und die Maskenpflicht. Den Mund-Nasen-Schutz müssen die Schüler auch im Hof tragen. Denn dort kann der Abstand nicht gut eingehalten werden. Dafür dürfen sie das Klettergerüst und den Basketballkorb benützen. Nur Fußball gespielt werden darf leider nicht.
Schulausflüge wird es heuer ebenso keine mehr geben. Deshalb wünsche ich mir einen nicht allzu heißen Juni. In unseren Klassenzimmern hat es an warmen Tagen 35 bis 38 Grad. Das könnte schwierig werden.
Irene Ille
BG/BRG Purkersdorf
Bei uns am Gymnasium passiert gerade alles auf einmal: Wir bereiten die Maturanten auf die Reifeprüfung vor, die bereits kommende Woche stattfindet. Wir unterrichten die Unterstufenschüler wieder vor Ort. (Immer nur die Hälfte der Klasse. Für den Rest bieten wir Betreuung an.) Und wir halten für die Oberstufenschüler das Distance Learning aufrecht. Es ist extrem viel Arbeit und sehr mühsam. Aber wir schaffen das.
Wir sind an unserer großen Schule mit 900 Schülern und 36 Klassen vor allem organisatorisch herausgefordert. Dinge, die davor eine Nebensache waren, sind plötzlich entscheidend. Etwa die Pausen. Die Hygienevorschriften einzuhalten ist in diesen Zeiten besonders schwierig. Insbesondere das Abstandhalten. Es können nicht 100 Schüler auf dem Gang laufen oder sich vor dem Buffet drängen. Hier galt es, Regeln zu erarbeiten. Die Schüler müssen auch in den Pausen in ihrer Klasse bleiben. Dort dürfen sie sich natürlich frei bewegen.
Auch der Unterricht selbst hat sich verändert. Jetzt passiert das, was die Leute ohnehin immer glauben: Es findet Frontalunterricht statt. Experimente und Gruppenarbeiten sind aus hygienischer Sicht nur schwer zu organisieren. Der Unterricht muss deshalb aber nicht langweilig, autoritär oder stupid sein.
Ein uraltes Muster ist auch mit Blick auf den Fächerkanon zurückgekehrt. Die Hauptfächer haben wieder an Bedeutung gewonnen. Die Nebenfächer eingebüßt. Lehrer, die Nebenfächer wie Sport oder Musik unterrichten, werden nun vermehrt in der Kinderbetreuung an Hausübungstagen, bei der Gangaufsicht oder zur Unterstützung der Kollegen eingesetzt. Ich muss darauf achten, dass Lehrer, die etwa Deutsch und Englisch unterrichten, nicht überlastet werden.
Als Direktorin, der eine gute Schulpartnerschaft und Kommunikation wichtig ist, höre ich mir auch die Sorgen der Eltern an – und die könnten unterschiedlicher kaum sein. Viele haben die langen Schulschließungen für eine Frechheit gehalten. Sie wollten ihre Kinder schon längst wieder in die Schule schicken. Andere hätten eine Fortführung des Distance Learning bis zum Schulschluss bevorzugt.
Deshalb halte ich den Kompromiss, dass die Kinder, die Angst haben, zu Hause bleiben dürfen, für einen guten. An meiner Schule sind es 15 bis 20. Wir versuchen, ihnen ein Sonderservice zu bieten. Sie sollen Arbeitsaufträge für zu Hause bekommen. Derzeit müssen sie noch ein bisschen darauf warten. Es kann eben doch nicht alles auf einmal passieren.