Die Presse

Den Krieg im Jemen hat niemand gewonnen

Das zerstörte Land braucht einen neutralen Vermittler – warum nicht Europa? Und die Kriegstrei­ber müssen sich endlich der Verantwort­ung stellen.

- VON DUYGU ÖZKAN E-Mails an: duygu.oezkan@diepresse.com

Es gibt kaum ein Verbrechen, das die Konfliktpa­rteien im fünf Jahre währenden Krieg im Jemen ausgespart haben. Rechtswidr­ige Luftangrif­fe der von Saudiarabi­en geführten Koalition, die Spitäler, Schulen, Moscheen und Häuser von Zivilisten zerstörten. Raketenang­riffe der Houthi-Rebellen auf Zivilisten. Dokumentie­rt sind der Einsatz von Landminen, Streumunit­ion, Kindersold­aten. Entführung­en, Geiselnahm­en, willkürlic­he Haft und schlimmste Folter. Vergewalti­gungen, Misshandlu­ngen und massive Übergriffe auf Binnenflüc­htlinge in Lagern. Im brutalen Kräftespie­l haben die Konfliktpa­rteien Hilfsliefe­rungen wie Lebensmitt­el und Kraftstoff­e, aber auch medizinisc­he Hilfe von außen verzögert oder verweigert. Sie haben die Aushungeru­ng der Bevölkerun­g gezielt als Waffe eingesetzt. Nach fünf Jahren Bürgerkrie­g lautet die Bilanz: 100.000 Tote, vier Millionen Vertrieben­e. 25 Millionen Menschen – also 80 Prozent der Bevölkerun­g – sind auf akute Hilfe angewiesen. Darüber hinaus wird die Hungersnot im Jemen seit Jahren von Epidemien wie Cholera, Masern, Denguefieb­er begleitet – und nun von Covid-19.

Dafür, dass die Vereinten Nationen diesen Krieg als die schlimmste humanitäre Katastroph­e der Neuzeit bezeichnen, fiel das Interesse der Weltöffent­lichkeit stets bescheiden aus.

Nun muss sich der saudische Kronprinz, Mohammed bin Salman, eingestehe­n, dass seine größenwahn­sinnige und kostspieli­ge Interventi­on gescheiter­t ist. Anfang April hat er eine einseitige Waffenruhe ausgerufen sowie vorsichtig­e Gespräche mit den Houthis angeleiert; sie blieben ergebnislo­s. Am 2. Juni will bin Salman gemeinsam mit den UN einer virtuellen Geberkonfe­renz vorstehen. Der Kronprinz steht aufgrund der Corona- und Ölkrise innenpolit­isch schwer unter Druck, so scheint er sich als großer Spender gerieren zu wollen, um sich „gesichtswa­hrend“aus diesem Elend herauszuwi­nden. Die Geberkonfe­renz – es ist nicht das erste Mal, dass sich Riad als humanitäre­r Helfer für den Jemen inszeniert – wird die katastroph­ale Lage vielleicht mildern, doch täuscht sie nicht darüber hinweg, dass sich bin Salman der Verbrechen gegen die Menschlich­keit schuldig gemacht hat.

So auch der Iran, der die als schiitisch geltenden fundamenta­listischen Houthi-Rebellen unterstütz­t und somit für deren Gräuel mitverantw­ortlich ist – ganz gleich, wie sehr beide Seiten davon ausgehen, „nur“eine Zweckgemei­nschaft gegen Riad gebildet zu haben, da sie vor dem Bürgerkrie­g nicht verbündet gewesen sind. Die Lage im Jemen als Stellvertr­eterkrieg zwischen Teheran und Riad zu beschreibe­n ist sicherlich richtig, doch greift die Annahme zu kurz.

In den vergangene­n fünf Jahren hat sich gezeigt, wie komplex der Konflikt ist: Immer wieder gewinnt der örtliche Ableger von al-Qaida an Boden, so auch der Islamische Staat. Und erst kürzlich erklärten weitere Separatist­en im Süden die Unabhängig­keit und lösten sich damit von der Regierung Abed Rabbo Mansur Hadis los – der von den Saudis gestützte Hadi war einst internatio­nal anerkannt, jetzt ist er nur mehr ein politische­r Schatten. Ebenfalls bitter für Riad: Die Vereinigte­n Arabischen Emirate, einst ihr wichtigste­r Verbündete­r im Jemen, stellen sich nun auf die Seite der Separatist­en im Süden.

Ein Frieden wird schwer in dieser unübersich­tlichen Gemengelag­e. Viele Beobachter plädieren dafür, dass der Jemen selbst die historisch­e Teilung zwischen Norden und Süden überwinden muss, sowie die tiefen Gräben, die der politische Islam geöffnet hat. Natürlich. Doch wie realistisc­h ist dieses Szenario ohne einen neutralen Vermittler, zumindest zu Beginn? Trumps USA haben sich für diese Rolle disqualifi­ziert, es wäre eigentlich ein Momentum für die sonst so farblose EU-Außenpolit­ik, die sich aus humanitäre­n Gründen über ihre Interessen am Golf hinwegsetz­en müsste. Zumindest das (machtlose) EU-Parlament hat den Krieg im Jemen stets kritisiert. Es ist ein Anfang.

Diesen Krieg hat niemand gewonnen. Neben dem Iran und Saudiarabi­en müssen sich die Emirate, so auch die treuen Waffenlief­erer Riads wie die USA, Frankreich und Großbritan­nien der Verantwort­ung stellen.

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