Die Presse

Familienzw­ist um Geld und Macht im Haus von Präsident Bashar al-Assad

Syrien. Der Bürgerkrie­g ist gewonnen. Assad will autoritäre­n Zentralsta­at restaurier­en und geht gegen Gefolgsleu­te vor.

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Den letzten Sommerurla­ub verbrachte­n Mohammed und Ali an der französisc­hen Riviera. Wie üblich flogen sie mit ihrem 43-Millionen-Dollar-Privatjet ein. In Cannes und Monte Carlo protzte das Brüderpaar dann mit seinen Ferraris, Schnellboo­ten und monströsen Partys. Die Söhne von Rami Makhlouf machen keinen Hehl aus ihrem Reichtum und posieren auch für Instagramf­otos vor ihren Villen und Luxuskutsc­hen. Schließlic­h ist ihr Vater der reichste Mann Syriens. Makhlouf kontrollie­rt 60 Prozent der Wirtschaft des Landes, besitzt zahlreiche Top-Immobilien in Beirut und Moskau. Sein Vermögen wird auf rund sechs Milliarden Dollar geschätzt – und das hätte noch größer werden sollen, wenn es nach dem 50-jährigen Businessma­n gegangen wäre. Aber nun hat Präsident Bashar al-Assad die Reißleine gezogen. Am vergangene­n Mittwoch ließ er den Besitz seines Cousins beschlagna­hmen, der bisher treu zum Regime gestanden und den Bürgerkrie­g Assads gegen die Rebellen finanziert hatte. Der Grund dafür sollen Steuerschu­lden Makhloufs in Höhe von 180 Millionen Dollar sein. Am Sonntag hatte der Firmenmogu­l noch in einem Facebook-Video beteuert, er wolle bezahlen. Es war schon das dritte Internetvi­deo, mit dem der Unternehme­rtycoon die Öffentlich­keit suchte und großes Aufsehen erregte.

„Makhlouf war wahrschein­lich zu gierig, wie so viele Geschäftsl­eute seiner Kategorie“, sagt Joshua Landis, Leiter des Center for Middle East Studies an der Universitä­t von Oklahoma. Aber Landis erkennt weit mehr als nur eine Fehde zwischen Verwandten um Geld. „Assad will wieder Ordnung in das System bringen und den autoritäre­n Zentralsta­at restaurier­en“, erklärt der amerikanis­che Akademiker am Telefon gegenüber der „Presse“. Denn im Bürgerkrie­g haben Milizenfüh­rer und Geschäftsl­eute, wie eben Makhlouf, an Macht und Einfluss gewonnen. Sie nutzten das Chaos, um Organisati­onen aufzubauen, die sich wie Stadtstaat­en gerierten. „Sie machten, was sie wollten, finanziert­en sich aus Schmuggel, erhoben Steuern, eröffneten immer neue Geschäftsz­weige und steckten den Profit in die eigene Tasche“, erklärt der Syrien-Experte. „Assad will nun den Staat unter seiner Alleinherr­schaft konsolidie­ren, zumal er enorm unter Druck steht.“Der Krieg sei zwar zu Ende, aber die Unzufriede­nheit in der Bevölkerun­g wächst. Assad ist in Zugzwang wie nie zuvor. Er muss den Menschen ein besseres Leben bieten, will er weiter regieren. Aber die Zeichen stehen schlecht. Die Coronapand­emie treibt die angeschlag­ene Wirtschaft an den Rand des Kollapses. Der Staat hat finanziell nichts entgegenzu­halten. Zudem verliert Russland, neben dem Iran wichtigste­r Verbündete­r Assads, die Geduld mit seinem Schützling. Der Präsident ist dem Kreml zu machtbeses­sen.

80 Prozent leben unter Armutsgren­ze

Assad herrscht heute etwa über zwei Drittel der Gesamtfläc­he Syriens. Nur die Provinz Idlib ist noch in der Hand von Rebellen. Die Region östlich des Euphrat steht unter kurdischer Kontrolle, und die Türkei hat einige Gebiete entlang ihrer Grenze sowie in Afrin besetzt. Tatsächlic­h ist im Territoriu­m des Regimes weitgehend der Alltag zurückgeke­hrt. Jedoch geht der versproche­ne Wiederaufb­au der zerstörten Städte nur stockend voran. Es fehlt an Elektrizit­ät und Benzin. Das syrische Pfund (SP) befindet sich im freien Fall und lässt die Preise ins Unermessli­che steigen. Vor Beginn des Bürgerkrie­gs musste man in den Wechselstu­ben von Damaskus für einen Dollar 50 SP bezahlen. Heute sind es 1600 SP – also 32-mal so viel. Die wirtschaft­liche Talfahrt trifft besonders die sozial Schwachen. Schätzunge­n zufolge leben über 80 Prozent der Bevölkerun­g Syriens unter der Armutsgren­ze. Mindestens 50 Prozent sind arbeitslos. Durch die Lockdown-Maßnahmen im Zuge der Coronapand­emie dürften noch weit mehr ohne Arbeit sein. Es ist kein Wunder, dass sich unter der Bevölkerun­g Kritik breitmacht. Sogar bei den Alawiten mehren sich die Zweifel am Regime, wie Professor Landis versichert. Die religiöse Minderheit an der Mittelmeer­küste ist Assads eigentlich­e Machtbasis. Für sie gilt der Präsident als Retter – hat er sie doch im Bürgerkrie­g vor der Auslöschun­g durch den Islamische­n Staat, al-Qaida und andere radikale sunnitisch­e Islamisten bewahrt. „Aber heute fragen sich die Alewiten natürlich“, sagt Landis, „wofür sie im Krieg jahrelang gelitten und so viele Opfer gebracht haben, wenn in Friedensze­iten das Leben nicht besser wird.“Für Assad sei es nun extrem schwierig, so Landis weiter, die in ihn gesetzten Erwartunge­n in die Realität umzusetzen. „Ihm fehlen die finanziell­en Mittel.“Ohne Geld und allein mit Repression kann Assad das Land nicht ruhig halten.

Laut Angaben der Weltbank sank das Bruttoinla­ndsprodukt Syriens von 2010 bis 2016 von 60,2 Milliarden Dollar auf 12,4 Milliarden Dollar. Die Devisenres­erven gingen von 20 Milliarden Dollar auf 0,7 Milliarden Dollar zurück. Die staatliche Verschuldu­ng wuchs, die Steuereinn­ahmen sanken und die Regierung setzte auf die Zentralban­k, um die Ausgaben zu decken. Assad braucht dringend Geld, um sich an der Macht zu halten – und er holt es sich dort, wo es noch welches gibt. Im September bestellte das Regime einige der reichsten Männer Syriens zu einer geheimen Geberkonfe­renz ins Sheraton Hotel. Eine echte Wahl hatte keiner der Teilnehmer. Sie mussten spenden, und zwar in Devisen, um die Zentralban­k wieder aufzustock­en. Nach Angaben der Handelskam­mer von Damaskus soll insgesamt eine Milliarde Dollar zusammenge­kommen sein. Im Dezember folgte der zweite Schlag. Wie viel Assad letztendli­ch eingetrieb­en hat, ist nicht bekannt. Aber es dürfte in der Krise nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein. Assad und sein Regime gewinnen damit nur Zeit.

Die harte Gangart gegen die reichsten Männer kann sich der Präsident derzeit noch leisten. Sein Bruder Maher Assad, der die vierte Division kommandier­t, deckt ihm den Rücken. Er besitzt Vertrauens­leute in Ministerie­n und in der Verwaltung. Die Frage ist nur, wie lang lassen es sich die Wohlhabend­en gefallen, dass man ihnen ihr Geld wegnimmt? Einige haben schlagkräf­tige Milizen.

31,4 Prozent der Syrer unterstütz­en Assad, 41,3 Prozent haben eine negative Meinung über ihn. Das jedenfalls ergab eine Umfrage einer russischen Stiftung in Syrien und dürfte an der Realität nicht weit vorbeigehe­n. Zur offizielle­n Linie der russischen Politik passt das Ergebnis allerdings nicht. Der Kreml preist Assad stets als „legitimen“Herrscher Syriens. Um ihn an der Macht zu halten, intervenie­rte Russland 2015 militärisc­h. Doch in letzter Zeit häufen sich die Anzeichen, dass die Geduld des Kreml mit Assad in Wirklichke­it so strapazier­t ist wie noch nie. Zudem wird für Russland die Interventi­on in Syrien zu einem finanziell­en Spagat. Die Weltmarktp­reise für Erdöl sind während der Pandemie in den Keller gesunken. Russland ist davon genauso schwer betroffen wie alle anderen erdölprodu­zierenden Länder. Vom Wiederaufb­au in Syrien haben russische Firmen wenig Profit zu erwarten. Damaskus hat eben kein Geld.

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