Erbitterter Machtkampf lähmt den Kosovo
Analyse. Der Balkanstaat wartet auf eine weitreichende Entscheidung des Verfassungsgerichts: Sind Präsident Tha¸cis Pläne eines fliegenden Regierungswechsels rechtens? Der gestürzte Premier Kurti wirft seinen Rivalen und USA ein Komplott vor.
Wien/Prishtina. Es ist keine leichte Zeit, die der Kosovo gerade durchmacht. Das Land leidet nicht nur unter der Covid-19-Pandemie und deren wirtschaftlichen Folgen. Es hat auch mit einer veritablen Regierungskrise zu kämpfen. Der Zerfall der Koalition hat zu einem Machtvakuum geführt, das für den Kosovo zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt kommt: Der Dialog mit dem alten Widersacher Serbien hätte schon längst wieder in Gang gesetzt werden sollen, um die Beziehungen zu normalisieren. Zugleich versuchen konkurrierende internationale Player, ihren Einfluss in Südosteuropa zu festigen: Die US-Regierung hat einen neuen Anlauf genommen, um als Ordnungsmacht zwischen Prishtina und Belgrad zu agieren. Und Russland und China wollen im Schatten ihrer Coronahilfe ihre politische Position in der Region stärken.
Ende März ist die Koalition aus der Mitte-rechts stehenden Demokratischen Liga des Kosovo (LDK) und der linken nationalistischen Protestpartei Vetevendosje des Premiers Albin Kurti zerfallen. Während eines Streits um Anti-Corona-Maßnahmen sprang die LDK ab. Das Parlament sprach Kurti das Misstrauen aus. Seither herrscht ein innenpolitisches Patt. Denn zwischen dem entmachteten Regierungschef und dem Staatspräsidenten, Hashim Thaci,¸ tobt ein Streit darüber, wer unter welchen Voraussetzungen eine neue Regierung bilden darf.
„Absprache mit stärkster Partei nötig“
Kurti wirft den USA vor, bei seinem Sturz die Fäden gezogen zu haben. Und er bezichtigt Thaci,¸ auf der Suche nach einer neuen Koalition die Verfassung zu verletzten. Nun wartet das Land mit Spannung auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs. Er soll in den kommenden Tagen feststellen, ob der Präsident direkt den Auftrag zur Regierungsbildung an die zweitstärkste Partei, LDK, weiterreichen darf. Thaci¸ hat der LDK bereits grünes Licht gegeben. Der Verfassungsgerichtshof hob das Dekret des Präsidenten aber auf und kündigte an, bis Ende des Monats zu klären, ob es rechtmäßig ist.
„Ich denke, das Beste wären jetzt Neuwahlen“, sagt Niq Krasniqi vom 2011 in Albanien gegründeten Institute of Southeast European Studies (ISES) zur „Presse“. Damit könne „Ruhe zwischen den gespaltenen Kräften“einkehren und eine „Legitimität des künftigen Prozesses“erreicht werden. Aus der im Streitfall gültigen englischen Version der kosovarischen Verfassung gehe klar hervor, dass der Präsident nur in Absprache mit der stärksten Partei einen Regierungsauftrag vergeben dürfe, schildert Krasniqi.
Stärkste Kraft ist die Vetevendosje. Ihr Chef Kurti will aber Neuwahlen. Er glaubt, mit seiner Anti-Korruptionskampagne nach wie vor große Zustimmung in der Bevölkerung zu erhalten. „Der Präsident hat Kurti mehrmals geschrieben und um einen Vorschlag für einen Premierskandidaten gebeten. Es kam aber keine Antwort“, heißt es aus der Demokratischen Partei des Kosovo (PDK), deren Chef Thaci¸ bis 2016 war, zur „Presse“. Daraufhin habe Thaci¸ die LDK nominiert. Sie will mit einer Reihe weiterer Parteien eine neue Koalition bilden. Krasniqi vom Institute of Southeast European Studies meint, dass der Präsident laut Verfassung trotzdem erst auf eine Antwort von Vetevendosje hätte warten müssen.
Trump-Regierung will rasches Ergebnis
Vetevendosje-Chef Kurti sieht im Zerfall seiner bisherigen Koalition ein Komplott des US-Gesandten für den Kosovo und Serbien, Richard Grenell. Der ehemalige US-Botschafter in Deutschland habe die LDK und Präsident Thaci¸ dazu gedrängt, Vetevendosje auszubooten. Grenell weist das zurück.
US-Präsident Donald Trump hat ihn beauftragt, ein Übereinkommen zwischen dem Kosovo und Serbien zu erzielen – notfalls unter Umgehung der Europäer. Belgrad erkennt nach wie vor nicht die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo von 2008 an. Kurti fuhr immer einen harten Eigenständigkeitskurs. Seine Abgeordneten warfen auch schon einmal Tränengas im Parlament, um ein Grenzabkommen mit Montenegro zu verhindern. Zuletzt wandte er sich massiv gegen Ideen eines Gebietsaustausches zwischen Serbien und dem Kosovo. Die US-Regierung will ein rasches Ergebnis erreichen, um ihre Position auf dem Balkan zu festigen.
„Viele Wähler haben für Kurti gestimmt, weil sie sich von ihm ein Vorgehen gegen die Vetternwirtschaft erhofften“, sagt Krasniqi. Sollte die Vetevendosje nun einfach umgangen werden, könnte der Unmut in der Bevölkerung weiter wachsen. Krasniqi fürchtet, dass die Menschen dann den Glauben an die Demokratie verlieren.