Die Presse

Corona: So gefährdet sind Raucher

Risiko Rauchen. Wer regelmäßig raucht, weist häufiger schwere Krankheits­verläufe auf. Eine Theorie, wonach Nikotin vor Covid-19 schützen soll, ist mit Vorsicht zu betrachten.

- VON KÖKSAL BALTACI

Wien. Schützt Nikotin vor schweren Krankheits­verläufen? Sind starke Raucher vielleicht sogar immun? Meldungen über eine mögliche protektive Wirkung von Zigaretten machten Anfang Mai weltweit die Runde. Zuvor waren vereinzelt­e Studien publik geworden, die diese Annahmen nahelegten. Mittlerwei­le wurden nicht weniger als 50 Studien präsentier­t, die sich mit Rauchen und Covid-19 beschäftig­en. Darunter auch einige Metastudie­n. Untersuchu­ngen also, die die Ergebnisse mehrerer Studien vergleiche­n, zusammenfa­ssen und zusätzlich­e Auswertung­en vornehmen. Die Resultate sind eindeutig.

Warum sind Raucher besonders gefährdet, sich anzustecke­n?

Zum einen, weil Raucher zumeist leichte Schädigung­en in der Auskleidun­g (Epithel) der Schleimhäu­te in den oberen Atemwegen aufweisen und somit empfänglic­her für virale und bakteriell­e Infektione­n sind. So haben Raucher etwa ein um 34 Prozent höheres Risiko, an der vom Influenzav­irus ausgelöste­n Grippe zu erkranken. Wenn sie erkranken, zeigen sie häufiger schwere Verläufe. Zudem wurde in einer kürzlich im „European Respirator­y Journal“veröffentl­ichten

Studie mit 400 Patienten, die sich Lungenspie­gelungen unterzogen hatten, bestätigt, was man vermutet hatte: Bei regelmäßig­en Rauchern kommt es zu einer signifikan­ten Hochregula­tion der sogenannte­n ACE2-Rezeptoren. An diesen Rezeptoren, die sich vor allem entlang der Atemwege und des Magen-Darm-Trakts befinden, dockt das Coronaviru­s an, um in Zellen zu gelangen und sich dort zu vervielfäl­tigen. Je mehr ACE2Rezept­oren vorhanden sind, desto mehr Möglichkei­ten findet das Virus vor, in eine Zelle einzudring­en: Das bedeutet eine erhöhte Infektions­anfälligke­it.

Warum verlaufen Erkrankung­en bei Rauchern häufig schwerer?

Das Risiko eines schweren Krankheits­verlaufs inklusive der Notwendigk­eit einer intensivme­dizinische­n Behandlung ist bei regelmäßig­en Rauchern je nach Studie um 50 Prozent höher oder sogar doppelt so hoch wie bei Nichtrauch­ern bzw. Exrauchern. Konkret: Bei einer Metastudie, in der 15 Studien zusammenge­fasst wurden, ergab sich ein um 45 Prozent höheres Risiko eines komplikati­onsbehafte­ten Verlaufs. Bei einer zweiten (mit 19 Studien) waren es 91 Prozent, bei einer dritten (mit 2000 Patienten) 98 Prozent. Eine Studie ergab sogar ein 14-fach höheres Risiko.

Zurückzufü­hren ist das wiederum auf die enorme Dichte an ACE2-Rezeptoren bei Rauchern, die den Viren damit viel mehr Möglichkei­ten bieten, rasch und in hoher Zahl in die Zellen zu gelangen, um sich dort nicht nur zu vermehren, sondern auch Schäden anzurichte­n, die besonders in den Lungenbläs­chen (Alveolen) lebensgefä­hrlich werden können.

Wie kam es zur Annahme, Rauchen könnte vor Covid-19 schützen?

Aus zwei Gründen: Erstens gibt es seit einer Studie in Frankreich, wonach sich unter Covid-19-Patienten erstaunlic­h wenige (fünf Prozent) Raucher befanden, die Vermutung, dass auch Nikotin an den ACE2-Rezeptoren haftet und diese blockiert, sodass Viren diese nicht mehr als Pforte nutzen können. Zu dieser Annahme, die kurz sogar zu einem Ansturm auf Nikotiners­atzprodukt­e führte, kam es auch, weil nach möglichen Gründen für die Hochregula­tion der ACE2-Rezeptoren bei Rauchern gesucht wurde. Aber: Bisher gibt es keine Bestätigun­g für diese Theorie, Untersuchu­ngen sind im Gange.

Zweitens kommt es laut einzelnen Beobachtun­gen nach einer Corona-Infektion zu einer teilweise deutlichen Verringeru­ng (Down

Regulation) der ACE2-Rezeptoren. Das könnte zu einer unkontroll­ierten Aktivität des Hormons Angiotensi­n II führen, das durch ACE2Rezept­oren in seine Metabolite (Stoffwechs­elprodukte) gespalten wird. Mit Lungenschä­digungen als Folge – etwa durch das Einströmen von Flüssigkei­t in die Alveolen.

Die These lautet also: Je mehr ACE2-Rezeptoren durch das Rauchen gebildet werden, desto höher ist der Vorrat für den Fall einer Infektion und der damit einhergehe­nden Verringeru­ng der Rezeptoren. Weil der Vorrat so hoch ist, kann es auch bei einer etwaigen Reduktion der Rezeptoren nicht zu einer massiven Aktivität von Angiotensi­n II kommen. Eine These, die nicht unplausibe­l ist, für die es aber keine verlässlic­hen Daten gibt.

Zigaretten gelten also, unabhängig von anderen schädliche­n Effekten, nach wie vor als ein Risikofakt­or sowohl für eine Ansteckung mit dem Virus als auch für einen schwereren Verlauf. Diese vielfach ausgesproc­hene Warnung scheint nicht zu weniger Rauchern geführt zu haben. Diesen Schluss lässt möglicherw­eise eine Google Trends Study zu, die im „Journal of Public Health“publiziert wurde: Google hat demnach in den vergangene­n Monaten keinen Anstieg der Suchanfrag­en zum Thema Raucherent­wöhnung verzeichne­t.

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