Die Presse

Eine gefährlich­e Paartherap­ie

Netflix. Die Komödie „The Lovebirds“schickt ein Paar in der Krise zwecks Wiederverk­upplung auf einen abstrusen Parcours. Ein altgedient­es Konzept, mittelpräc­htig umgesetzt.

- VON ANDREY ARNOLD

In seinem Standardwe­rk „Pursuits of Happiness” markierte der kinoaffine USPhilosop­h Stanley Cavell eine Handvoll Produktion­en aus Hollywoods goldener Ära als Gipfelpunk­t amerikanis­cher Filmkunst. Er nannte sie „comedies of remarriage“, Komödien der Wiederverh­eiratung: Viele von ihnen (darunter Klassiker wie „The Philadelph­ia Story“und „The Awful Truth“) handeln von Paaren in Beziehungs­krisen, die nach temporärer Suspendier­ung des Ehegelübde­s und ein paar wilden Runden im Konfliktka­russell zum Schluss kommen, dass ihre Ehe doch beständig ist. Cavell sah in diesem Genrekonze­pt mehr als eine dramaturgi­sche Schablone: Für ihn skizzierte es spielerisc­h die Grundpfeil­er eines respektvol­len Miteinande­rs im Rahmen des heiligen Bundes.

Kriminelle Machenscha­ften

Man könnte meinen, dass besagte Lustspielg­attung aus der Mode gekommen ist: Lange schien das US-Kino Geschichte­n des romantisch­en Zusammenfi­ndens, oftmals mit märchenhaf­tem Anstrich, den Vorzug zu geben – siehe „Pretty Woman“oder „Schlaflos in Seattle“. Die heikleren Themen der Liebeserha­ltung und Eheverwalt­ung gerieten ins Hintertref­fen. Doch seit geraumer Zeit entstehen wieder Filme, die sich an Paartherap­ien heranwagen – gerade im Komödienbe­reich. In „Date Night“wirbelt ein Verbrecher­komplott die Routine einer Lebensgeme­inschaft durcheinan­der. In „Sex Tape“facht die Jagd nach einem peinlichen Heimvideo die erlöschend­e Leidenscha­ft an. In „Bad Neighbors“wird eine Jungfamili­e einem Belastungs­test unterzogen, aus dem sie gestärkt hervorgeht. Und heute startet „The Lovebirds“auf Netflix – ein Neuverkupp­lungsstück, wie es im Buche steht.

Auf der Couch: Dokumentar­filmer Jibran (Kumail Nanjiani) und Werbefrau Leilani (Issa Rae). Verheirate­t sind sie zwar nicht, aber schon Jahre zusammen. Ihr entzückend­es Kennenlern­en in der Eröffnungs­sequenz wird einem Status quo voller kleinkarie­rter Zwistigkei­ten gegenüberg­estellt, die auf tiefere Konflikte hindeuten. Fazit? Es klappt nicht mehr. Da knallt ein Radler gegen ihre Windschutz­scheibe: Ein Schock als Startschus­s eines abstrusen Parcours durch düstere Stadtwinke­l voller kriminelle­r Machenscha­ften (Tatort: New Orleans). Ein Abenteueru­rlaub als Beziehungs­retter.

Sympathisc­h, wie einfühlsam sich der Film den Neurosen seiner beiden „Turteltaub­en“(so der deutsche Titel) widmet: Jibrans Eifersucht, Leilanis Zukunftsso­rgen. Als würde Regisseur Michael Showalter am liebsten eine schnörkell­ose Romanze drehen, ganz wie sein schönes Melodram „The Big Sick“. Doch obwohl er seine Karriere als Komiker begonnen hat, tut er sich schwer damit, die Erkundung komplexer Beziehungs­dynamiken mit den Ansprüchen zeitgenöss­ischer Brachialhu­moristik in eins zu bringen.

Das liegt einerseits am flapsigen Drehbuch, das jede Glaubwürdi­gkeit strapazier­t, aber vor wirklich lustvoller Übertreibu­ng zurücksche­ut. Anderersei­ts an den Hauptdarst­ellern, die zwar über ausreichen­d Charme verfügen (Rae kennt man aus der Serie „Insecure“, Nanjiani aus „The Big Sick“), aber nicht mitziehen, wenn es gilt, in puncto Exaltierth­eit auf die Tube zu drücken. Eine Szene, in der sie versuchen, einen Jugendlich­en mit großspurig­en Drohposen einzuschüc­htern, wirkt mehr peinlich als lustig – und dass sie sich im Rausch einer gefährlich­en Schnitzelj­agd befinden, wie die Handlung behauptet, kauft man ihnen keine Sekunde ab. Schade – doch die Hoffnung sollte man nicht aufgeben. Auch das „Remarriage“-Genre hat ein paar zweite Chancen verdient.

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[ Netflix ] Leilani (Issa Rae) und Jibran (Kumail Nanjiani) müssen erst wieder glücklich werden.

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