Addio, Harry’s Bar! Oder auf ein Wiedersehen
Gastro. Bleibt Venedigs legendäre Cocktailbar wegen „schwachsinniger“Corona-Auflagen und fehlender Gäste für immer zu? Über die Lokale der Dichter, Künstler und Denker – und wie sie sich samt ihrem Nimbus am Leben erhalten.
Arrigo reicht es jetzt. Die hölzerne Pforte von Harry’s Bar bleibt verriegelt. Fast 90 Jahre ist es her, dass sein Vater, Giuseppe, die venezianische Tränke der Begnadeten und Berühmten aufgemacht hat. Allen Plagen trotzte sie, auch Hochwasser und Massentourismus. Nur im Krieg, da drehten ihnen die Faschisten den Laden zu und machten eine Kantine für Marinesoldaten draus – wohl als Strafe dafür, dass die Ciprianis das „Für Juden verboten“-Schild statt vor den Eingang an die Küchentür gehängt hatten. Aber die heroischen Zeiten sind vorbei. Gegen die „schwachsinnigen“Richtlinien zur Wiederöffnung von Lokalen nach der Corona-Zwangssperre ist auch die legendäre Cocktailbar nicht resistent.
Vier Meter Abstand zwischen den Tischen? Da kann er gleich zwei Dritteln seiner Mitarbeiter kündigen. Selbstbescheinigungen der Gäste prüfen, ob sie zusammen essen und trinken dürfen? So was lässt sich seine Klientel nicht gefallen. Aber Venedig ist ja eh gähnend leer, ganz ohne Reisende. Also ist es zu Ende mit Harry’s Bar, Stammlokal von Hemingway und Truman Capote, Sehnsuchtsort für Serenissima-Süchtige, seit 2001 nationales Kulturerbe. Addio!
Kreativität gegen Kommerz
Die Geschichte ist zu melodramatisch, um ganz wahr zu sein. Der Betrieb gehört, nach finanziellen Turbulenzen vor einigen Jahren, tatsächlich einem Fonds aus Luxemburg. Die Investoren lassen ihr Flaggschiff vermutlich nicht untergehen, auch wenn der Alte als Galionsfigur ausfällt. Hängt ja zu viel dran, Ableger von Las Vegas bis Abu Dhabi.
Also werden sich wohl in absehbarer Zeit wieder die Touristen ehrfürchtig an den vor Ort erfundenen Spezereien laben, 22 Euro für einen Bellini oder 66 Euro für ein Carpaccio blechen. In der Hoffnung, dass der Genius der Gäste von einst ein wenig Glanz auch in ihr graues Leben bringe.
Schlimmer steht es um Harry’s Bar in Rom, die ihrem Namen zum Trotz nicht zum Konzern gehört. Im Lokal an der Via Veneto spielte Frank Sinatra Klavier, drehte Fellini „La Dolce Vita“und frönte der Jetset in der glorreichen Nachkriegszeit desselben. „Wir sind ruiniert“, jammert nun sein Besitzer. Ohne Hilfe vom Staat, sagt er, raffen die Virusmaßnahmen auch diese Institution dahin. Typisch italienischer Theaterdonner?
Bei Bot´ın in Madrid ist man jedenfalls zu stolz zur Klage. Auch diesem Restaurant hat Hemingway zu Ruhm verholfen: Am Ende von „Fiesta“lässt er beiläufig fallen, es sei
„das beste der Welt“. Es ist aber auch das älteste Spaniens, der junge Goya arbeitete dort als Koch. Keiner der wechselnden Besitzer ließ den ehrwürdigen Holzofen, in dem seit einem halben Jahrtausend die Spanferkel rotieren, jemals ausgehen. Ehrensache, dass er auch in der Coronakrise weiter glüht, wie ein ewiges Licht der Gastronomie. Selbst wenn es nichts zu braten gibt, weil sogar die Lieferdienste verboten sind.
Aber ist die ideelle Energie dieser Lokale der Dichter, Maler und Intellektuellen nicht längst aufgebraucht? Nicht überall ist die Kreativität kampflos dem Kommerz gewichen. Neue Generationen von Künstlern tragen die Fackel weiter. In einem seiner schönsten Lieder lässt Paolo Conte den Geist von Hemingway in Harry’s Bar sein Leben Revue passieren, an dessen Ende der Selbstmord stand. Bis der Barkeeper sich auf Französisch nach seinem posthumen Befinden erkundigt: „Et alors, Monsieur Hemingway, ca¸ va mieux?“Mit ähnlich inspirierter Melancholie beschwor 2013 der Regisseur
Paolo Sorrentino in Roms Harry’s Bar die kultivierte Lebenslust von einst, mit seinem oscarprämierten Film „La Grande Bellezza“über einen alternden Bonvivant.
Für das Kaffeehaus nach heimischer Art läutet der Nino aus Wien auf seinem neuen Album gerade eine zweite Reverenzstufe in der Nimbuspflege ein: Der Liedermacher trifft in „Hawelka“auf eine japanische Touristin, aber auch auf den „Nackerten“, mit dem sich Kollege Danzer 1975 vor Wirtin, Wirt und Stammgästen verneigte. Schon damals mischten sich unter Größen wie H. C. Artmann und Helmut Qualtinger die seichten Promis, die Schnösel schlichten Gemüts – und in einer Deutung von „Jö schau“ist auch der „eleganteste Flitzer von Wien“einer dieser deplatzierten Zaungäste.
Der Preis geht an die Pariser
Das war noch vor der Invasion touristischer Heerscharen, die heute in virenfreien Zeiten die heiligen Stätten der von Alkohol und Koffein befeuerten Geistesriesen heimsuchen. Aber die Pariser haben ein elegantes Mittel gefunden, der völligen Profanierung Einhalt zu gebieten: Sie veranstalten spezialisierte Literaturpreise. Im Cafe´ de Flore, wo Andre´ Breton mit Louis Aragon den Surrealismus erfand, wo das Paar Sartre und Simone de Beauvoir Hof hielt, empfängt nun jedes Jahr ein Nachwuchstalent den Prix de Flore. In der Closerie des Lilas, wo Lenin Schach spielte und Fitzgerald seinem Freund Hemingway (der soff aber auch überall!) aus dem Manuskript zum „Großen Gatsby“vorlas, vergeben Frauen einen Preis an Frauen und Querdenker eine Trophäe für das „unkorrekte Buch“der Saison.
Bei Lipp gewinnen Jungautoren außer dem Geldpreis auch 20 Mahlzeiten in der Brasserie, wo schon Verlaine und Apollinaire ihren Hunger mit Sauerkraut aus dem Elsass gestillt haben. Nobler ehrt man im Procope, mit Jahrgangschampagner. Der Preis geht an Essayisten, zu Ehren der Aufklärer, die dort unsere moderne Gesellschaft entwarfen. Als man die Urne mit der Asche Voltaires in das Pantheon´ überführte, trug man sie auf dem Tisch des Stammgasts, wie auf einem Altar. Am Procope zeigt sich auch, wie lang die Aura weiterstrahlt: Das Restaurant von heute hat mit dem Tempel der Philosophen und Revolutionäre nichts mehr zu tun. Der sperrte nämlich schon 1890 zu, was Anatole France in die kurze Meldung packte: „Das Cafe´ Procope ist nicht mehr. Es hatte viel Ruhm, aber kein Geld.“
So nüchtern wollen wir den Ärger mit Harry’s Bar nicht sehen – und verneigen uns voller Mitgefühl vor Signore Cipriani.