Ein Gen mit Varianten, die mager machen
Wissenschaft. Genetiker um Josef Penninger zeigten, wieso manche Menschen so wenig Fett ansetzen.
Mit einem Wirkstoff gegen Coronaviren, den er mit der Firma Apeiron Biologics entwickelt hat, ist Josef Penninger derzeit stark präsent (z. B. am 18. 5. auf Seite eins der „Presse“). Doch der gebürtige Oberösterreicher, derzeit an der University of British Columbia, forscht auch über andere brisante Themen. Etwa über Fettsucht, die man ja durchaus als Epidemie bezeichnen kann. Und wie schon öfter in seiner beachtlichen Karriere, ist er einem Gen auf der Spur, das man aus ganz anderem Zusammenhang kennt: ALK heißt es, die Buchstaben A und L kommen von „anaplastisches Lymphom“, das ist ein Krebs des Lymphgewebes, bei dem meist das Gen ALK beteiligt ist: Manche seiner Mutationen fördern Krebs.
Doch was tut ALK, wenn es nicht fatal mutiert ist? Das weiß man bisher nur recht ungefähr. Chemisch ist die Sache klar: Das Protein, das nach seiner Anleitung gebaut wird, ist eine Kinase (daher das K), überträgt Phosphatgruppen. Doch das sagt so gut wie nichts über seine Funktion im Körper. Besser: über seine Funktionen. Denn kaum ein Gen bzw. Protein hat nur eine einzige Funktion. Schon gar nicht kann man sagen, dass ein Gen für eine bestimmte Eigenschaft eines Lebewesens zuständig ist. Es beeinflusst vielmehr dessen Entwicklung – und zwar in vielen Fällen zu ganz unterschiedlichen Lebenszeiten und in ganz unterschiedlichen Zelltypen und Körperteilen. Von ALK weiß man etwa, dass es – unter anderem – im Hypothalamus aktiv ist, einer Hirnregion, die vieles reguliert, etwa die Körpertemperatur und den Energiehaushalt.
Estnische Gen-Datenbank ausgewertet
Das könnte schon nahelegen, dass es mit Fettsucht zu tun hat. Aber Penninger und Mitarbeiter (u. a. vom Wiener Institut für molekulare Biotechnologie, dessen Direktor er bis 2018 war) kamen auf viel systematischere Art auf ALK: Sie durchkämmten eine gut bestückte Gen-Datenbank aus Estland und suchten nach Genvarianten, die bei extrem dünnen Menschen (mit einem BodyMass-Index unter 18 kg/m2) häufiger sind als bei Normalgewichtigen. „Alle forschen über die Genetik der Fettleibigkeit“, sagt Penninger: „Wir dachten uns: Machen wir’s umgekehrt. Forschen wir über Magerkeit.“
So fanden sich etliche Kandidatengene, das vielversprechendste war eben ALK. In Experimenten an Fliegen und Mäusen zeigte sich, dass es auch bei diesen mit dem Fettanteil zu tun hat. Offensichtlich bremst es den Fettabbau und fördert den Aufbau von Fettspeichern. Mäuse, deren ALK ausgeschaltet war, hatten weniger Gewicht und Körperfett, obwohl sie gleich ernährt wurden und sich gleich viel bewegten wie Mäuse mit intaktem ALK. Auch ihre Glukosetoleranz war besser. In weiteren Experimenten deaktivierten die Genetiker das ALK-Gen gezielt in bestimmten Geweben, in den Muskeln, im Fettgewebe, in der Leber, im Immunsystem und im Hypothalamus. Nur bei Deaktivierung in diesem zeigte sich der Effekt, der offenbar über das Hormon Noradrenalin funktioniert, das Energieverbrauch und Fettverbrennung ankurbelt.
Der Schluss liegt nahe: Die für magere Menschen typischen ALK-Varianten wirken im Hypothalamus weniger effizient: Sie fördern den Aufbau von Fettspeichern weniger als die „normale“ALK-Variante. So entsteht die Ungerechtigkeit, die Penninger so beschreibt: „Wir alle kennen diese Menschen. Sie können essen, was sie wollen, sie machen auch nicht die ganze Zeit Kniebeugen, aber sie nehmen einfach nicht zu.“
Könnte man diese genetische Disposition medikamentös nachahmen? Hemmen des ALK statt Fasten? Das sei durchaus vorstellbar, meint Penninger, schließlich würden ALK-Inhibitoren ja bereits in Krebstherapien verwendet. Ein Einwand: Man müsste es dazu schaffen, das ALK spezifisch im Hypothalamus zu deaktivieren.