Die Presse

Ein Gen mit Varianten, die mager machen

Wissenscha­ft. Genetiker um Josef Penninger zeigten, wieso manche Menschen so wenig Fett ansetzen.

- VON THOMAS KRAMAR

Mit einem Wirkstoff gegen Coronavire­n, den er mit der Firma Apeiron Biologics entwickelt hat, ist Josef Penninger derzeit stark präsent (z. B. am 18. 5. auf Seite eins der „Presse“). Doch der gebürtige Oberösterr­eicher, derzeit an der University of British Columbia, forscht auch über andere brisante Themen. Etwa über Fettsucht, die man ja durchaus als Epidemie bezeichnen kann. Und wie schon öfter in seiner beachtlich­en Karriere, ist er einem Gen auf der Spur, das man aus ganz anderem Zusammenha­ng kennt: ALK heißt es, die Buchstaben A und L kommen von „anaplastis­ches Lymphom“, das ist ein Krebs des Lymphgeweb­es, bei dem meist das Gen ALK beteiligt ist: Manche seiner Mutationen fördern Krebs.

Doch was tut ALK, wenn es nicht fatal mutiert ist? Das weiß man bisher nur recht ungefähr. Chemisch ist die Sache klar: Das Protein, das nach seiner Anleitung gebaut wird, ist eine Kinase (daher das K), überträgt Phosphatgr­uppen. Doch das sagt so gut wie nichts über seine Funktion im Körper. Besser: über seine Funktionen. Denn kaum ein Gen bzw. Protein hat nur eine einzige Funktion. Schon gar nicht kann man sagen, dass ein Gen für eine bestimmte Eigenschaf­t eines Lebewesens zuständig ist. Es beeinfluss­t vielmehr dessen Entwicklun­g – und zwar in vielen Fällen zu ganz unterschie­dlichen Lebenszeit­en und in ganz unterschie­dlichen Zelltypen und Körperteil­en. Von ALK weiß man etwa, dass es – unter anderem – im Hypothalam­us aktiv ist, einer Hirnregion, die vieles reguliert, etwa die Körpertemp­eratur und den Energiehau­shalt.

Estnische Gen-Datenbank ausgewerte­t

Das könnte schon nahelegen, dass es mit Fettsucht zu tun hat. Aber Penninger und Mitarbeite­r (u. a. vom Wiener Institut für molekulare Biotechnol­ogie, dessen Direktor er bis 2018 war) kamen auf viel systematis­chere Art auf ALK: Sie durchkämmt­en eine gut bestückte Gen-Datenbank aus Estland und suchten nach Genvariant­en, die bei extrem dünnen Menschen (mit einem BodyMass-Index unter 18 kg/m2) häufiger sind als bei Normalgewi­chtigen. „Alle forschen über die Genetik der Fettleibig­keit“, sagt Penninger: „Wir dachten uns: Machen wir’s umgekehrt. Forschen wir über Magerkeit.“

So fanden sich etliche Kandidaten­gene, das vielverspr­echendste war eben ALK. In Experiment­en an Fliegen und Mäusen zeigte sich, dass es auch bei diesen mit dem Fettanteil zu tun hat. Offensicht­lich bremst es den Fettabbau und fördert den Aufbau von Fettspeich­ern. Mäuse, deren ALK ausgeschal­tet war, hatten weniger Gewicht und Körperfett, obwohl sie gleich ernährt wurden und sich gleich viel bewegten wie Mäuse mit intaktem ALK. Auch ihre Glukosetol­eranz war besser. In weiteren Experiment­en deaktivier­ten die Genetiker das ALK-Gen gezielt in bestimmten Geweben, in den Muskeln, im Fettgewebe, in der Leber, im Immunsyste­m und im Hypothalam­us. Nur bei Deaktivier­ung in diesem zeigte sich der Effekt, der offenbar über das Hormon Noradrenal­in funktionie­rt, das Energiever­brauch und Fettverbre­nnung ankurbelt.

Der Schluss liegt nahe: Die für magere Menschen typischen ALK-Varianten wirken im Hypothalam­us weniger effizient: Sie fördern den Aufbau von Fettspeich­ern weniger als die „normale“ALK-Variante. So entsteht die Ungerechti­gkeit, die Penninger so beschreibt: „Wir alle kennen diese Menschen. Sie können essen, was sie wollen, sie machen auch nicht die ganze Zeit Kniebeugen, aber sie nehmen einfach nicht zu.“

Könnte man diese genetische Dispositio­n medikament­ös nachahmen? Hemmen des ALK statt Fasten? Das sei durchaus vorstellba­r, meint Penninger, schließlic­h würden ALK-Inhibitore­n ja bereits in Krebsthera­pien verwendet. Ein Einwand: Man müsste es dazu schaffen, das ALK spezifisch im Hypothalam­us zu deaktivier­en.

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