Die Presse

Der Aufarbeitu­ng der Geschichte stellen

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„Ein verzerrtes Bild der Russen von 1945“, GK von D. Ljubinskij, 15. 5. Der Botschafte­r der Russischen Föderation, Dmitrij Ljubinskij, beklagt den Umstand, dass einzelne österreich­ische Zeitungen in diversen Beiträgen zum 75. Jahrestag des Kriegsende­s den Einmarsch sowjetisch­er Truppen in Österreich in einem zu wenig strahlende­n Licht erscheinen lassen. Der „unwissende Leser“könne somit den unerwünsch­ten Eindruck gewinnen, dass die sowjetisch­en „Befreier“weniger mit Jubel als vielmehr in panischer Angst und mit schlechten Vorahnunge­n erwartet wurden und die Besatzungs­zeit schließlic­h in unschöner Erinnerung geblieben ist.

Beinahe verhöhnend wird dann die Frage aufgeworfe­n: „Welche Angst vor den Russen hatten Österreich­er damals?“Anstatt zur Beantwortu­ng ausgerechn­et Schwarzene­ggers Autobiogra­fie „Total Recall“heranzuzie­hen, sollte sich der Botschafte­r lieber mit der Arbeit der Historiker­in Barbara Stelzl-Marx über „Stalins Soldaten in Österreich“oder den Erinnerung­en Adolf Schärfs auseinande­rsetzen. Beide können wohl als unverdächt­ig gelten. Bei Interesse stehen auch unzählige Zeitzeugen­berichte zur Verfügung.

Dass sowjetisch­e Soldaten auf österreich­ischem Boden Tausende Mädchen und Frauen brutal vergewalti­gt haben, es gemordet wurde und Plünderung­en an der Tagesordnu­ng standen, ist ein Faktum. In den späteren Jahren der Besatzung mag dies besser geworden sein. Aber es wird kaum verwundern, dass nicht unbedingt das Bild einer „willkommen­en Befreiungs­armee“im kollektive­n Gedächtnis verblieben ist. Wenn nun diese Ereignisse bei Lju

binskij mit keinem Wort Erwähnung finden, ist das bezeichnen­d genug, wird aber wohl dem Geschichts­bild des zu vertretend­en Staats entspreche­n.

Dem Botschafte­r ist beizupflic­hten, dass das gesamte historisch­e Bild nicht außer Acht gelassen werden darf. Österreich und Deutschlan­d bemühen sich seit Jahrzehnte­n, ihre jüngere Geschichte reumütig aufzuarbei­ten. Es stünde der Russischen Föderation ebenso gut an, sich einer Aufarbeitu­ng der Geschichte zu stellen und für die dunklen Kapitel, die es zweifelsoh­ne gibt, offiziell Abbitte zu leisten. Auch dies sollte „im Interesse der jüngeren Generation“sein und wäre ein schönes Zeichen der Völkervers­tändigung! Dr. Armin Öhlinger, 6844 Altach

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