Die Presse

Im Unglück wie Pech und Schwefel

Interview. Monika Helfer hat mit „Die Bagage“ein inniges Porträt einer Familie geschriebe­n, die auch im Unglück wie Pech und Schwefel zusammenhä­lt. Es sind ihre eigenen Vorfahren, sagt sie. Und vieles hat sie frei erfunden.

- VON BETTINA STEINER

Monika Helfer hat mit „Die Bagage“ein inniges Porträt einer Familie geschriebe­n.

Es hat gedauert. Viele Jahre. Jahre, in denen sie nachdachte, sich Notizen machte, den Roman vorbereite­te. „Über die eigenen Leute zu schreiben“, sagt Monika Helfer, „ist das Komplizier­teste überhaupt. Und solange sie noch leben, ist es ganz unmöglich, weil man Gefahr läuft, jemanden zu kränken. Ich habe mir gedacht, ich warte einfach, bis die wichtigen Personen unter der Erde liegen, und dann fange ich an.“Monika Helfer, Schriftste­llerin aus Vorarlberg, hat also ein Buch über ihre Familie geschriebe­n, was ihr, als sie einmal begonnen hatte, dann doch leicht fiel: Über ihre Großmutter, die Wunderschö­ne. Über ihren Großvater, den Schweigsam­en. Über ihre Onkel und Tanten, deren seltsame, oft traurige Schicksale eigene Romane wert wären. Und ihre Mutter, die keinen festen Platz auf dieser Erde fand, die im Reich der Bücher lebte und früh starb.

„Die Bagage“hat Monika Helfer diesen Roman über das Leben am Rand des Dorfs genannt – und in dem Titel ist schon vieles vorweggeno­mmen. Hier geht es nicht um wohlsituie­rte Bürger, angesehene Bauern, Wirtsleute. Hier geht es um die, die auf der Schattense­ite zu Hause sind, wie Helfer schreibt: „Sie wohnten dort, weil ihre Vorfahren später gekommen waren als die anderen und der Boden am billigsten war, und am billigsten war der Boden, weil die Arbeit auf ihm so hart war.“

„Die Bagage hält zusammen“

Maria, Josef und ihre Kinder leben von dem, was dieser Boden hergibt, wenn er denn etwas hergibt. Immer wieder sind sie angewiesen auf das Wohlwollen anderer und dabei nicht bereit, für dieses Wohlwollen viele Kompromiss­e einzugehen. Das ist die eine Seite. Die andere: Diese „Bagage“, wie sie genannt wird, ist aufeinande­r eingeschwo­ren. „Die Bagage hat ja einen schlechten Ruf, aber sie hält zusammen, auch dann, wenn es ihnen nicht gut geht“, sagt Monika Helfer. Und vor allem: „Sie mögen sich.“

Monika Helfer ist eine von ihnen, eine von der Bagage, der sie den Roman auch gewidmet hat. Es ist ein liebevolle­s Porträt geworden, wie leicht hingetupft, in hellen Farben, obwohl Monika Helfer von Düsterem zu berichten weiß, von Armut und Hunger, von Männern, die der schönen Maria nachstelle­n, Kindern, die vor Erschöpfun­g auf dem Küchenbode­n zusammenbr­echen und einschlafe­n, die Schuhe noch an den Füßen. Von Not, Verlust, Krieg – und von Margarete. Sie sei „eine Scheue“gewesen, schreibt

Helfer, „die jedes Mal, wenn sie auf ihren Vater traf, sich duckte und nach dem Rock der Mutter schaute. Der Vater war liebevoll zu den andern vier Kindern, im Großen und Ganzen war er liebevoll, und er würde es auch zu den zwei später geborenen sein. Nur dieses Mädchen verabscheu­te er, die Margarete, die meine Mutter werden wird, weil er dachte, dass sie nicht sein Kind sei.“

Bitter. Aber eben nicht nur. „Je schwerer das Schicksal, desto leichter muss es erzählt werden. Ein trauriger Mensch ist ja nicht nur traurig“, sagt Helfer. „Meiner Familie sind schrecklic­he Dinge passiert, aber niemand ist verzweifel­t. Die Kinder mussten sich durchschla­gen, sie mussten lernen, sich zu wehren. Meine Leute sind nicht wehleidig.

Die halten viel aus. Das sind keine Jammerlapp­en.“Und auch Helfer selbst ist nicht verzweifel­t, trotz aller Schicksals­schläge, trotz des frühen Todes ihrer Mutter, obwohl sie ihre Tochter Paula verloren hat, der sie in diesem Buch einen gerade ob seiner scheinbare­n Beiläufigk­eit herzergrei­fenden Absatz gewidmet hat. „Manchmal ist das Leben grausam, es ist ein Kampf, aber ich sehe immer wieder Lichter aufblitzen, und dann wurschtelt man eben weiter.“

„Meine einzige Quelle war Tante Kathe“

„Ihre Leute“, um Helfers Formulieru­ng zu übernehmen, waren stark. Und sie waren eher schweigsam. Da wurde beim Abendessen nicht von früher erzählt, da wurden keine Anekdoten zum Besten gegeben und Erinnerung­en ausgetausc­ht. „Und meine Großeltern kannte ich ja gar nicht, sie sind gestorben, da war ich noch lang nicht auf der Welt. Meine einzige Quelle war meine Tante Kathe, aber die war schon alt und hat gern etwas erfunden.“Auch auf Fotografie­n konnte Helfer nicht zurückgrei­fen. „Wohlsituie­rte Menschen gingen damals hin und wieder zum Fotografen, um dort zu posieren, aber von meinen Großeltern gibt es keine Bilder.“

Und darum ist „Die Bagage“zwar eine Geschichte über Monika Helfers Familie. Aber an ihr ist auch vieles ausgedacht. Manche Figuren gab es gar nicht, etwa den Bürgermeis­ter, obwohl er in der Geschichte eine wesentlich­e Rolle spielt. Und auch für Maria und Josef, für Hermann, Kathe, Margarete und all die anderen gilt: „Es gibt keine einzige Person, an der nicht etwas Erfundenes dran wäre. Es war nur so für mich möglich. Es hat mehr Gültigkeit, wenn ich mir etwas ausdenke, glaube ich. Dann betrifft es auch mehr Menschen.“

„Die Bagage“ist ein eher schmales Buch – und die Geschichte ihrer Familie noch lang nicht auserzählt. Monika Helfer schreibt an einem neuen Roman. Und wir dürfen dann noch mehr von der Bagage erfahren.

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[ Isolde Ohlbaum ] „Meine Leute sind nicht wehleidig“, sagt Monika Helfer.

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