Es droht eine zweite Kündigungswelle
So mancher Industriekonzern wird die Kurzarbeit nicht verlängern, sondern mit Kündigungen beginnen. Noch nie waren Manager so pessimistisch.
Neue Hiobsbotschaften auf dem Arbeitsmarkt: Beim Wiener Feuerfesthersteller RHI Magnesita steht laut Insidern ein größerer Jobabbau an. Der RHI-Chef, Stefan Borgas, nennt keine genaue Zahl, will den Konzern aber „an eine geschrumpfte Weltwirtschaft anpassen“. Auch andere Industriefirmen nehmen zwar Kurzarbeit in Anspruch, wälzen aber ebenfalls Pläne über Kündigungen. Denn die Coronapandemie hat die Industriebetriebe noch immer fest im Griff. Die Politik griff den Unternehmen unter die Arme. Trotz 1,3 Mio. Anträgen für Kurzarbeit schnellten die Arbeitslosenzahlen im März auf den Höchststand seit 1946. Nun laufen die gewährten drei Monate aus, die Konzernchefs stehen vor der Entscheidung: weitere drei Monate Kurzarbeit oder kündigen?
20 Prozent der Jobs gefährdet
Bis zu zwanzig Prozent der Mitarbeiter, die sich in Kurzarbeit befinden, droht die Kündigung, heißt es in Industriekreisen. Der Industriellenvereinigung (IV) zufolge rechnet die Tiroler Industrie mit einem Jobabbau um elf Prozent bis zum Jahresende. Während der Kurzarbeit kann Mitarbeitern nicht gekündigt werden. Anschließend besteht noch eine einmonatige Haltefrist. Und dann?
Klar sei, dass sich die Verluste der ver
gangenen Wochen schwer wettmachen lassen. Es komme darauf an, wie die Unternehmen den Rest des Jahres bestreiten können, sagt IV-Generalsekretär Christoph Neumayer zur „Presse“. „Ist auf ein halbes Jahr keine fundamentale Verbesserung in Sicht, gehe ich davon aus, dass gekündigt wird.“
Der Luftfahrtzulieferer FACC plant, im schlimmsten Fall bis zu 700 Arbeitsplätze zu streichen. Beim Salzburger Kupplungsher
steller Geislinger steht fest, dass 120 Leute abgebaut werden. „Wir sehen gerade jetzt das Problem, dass alle Branchen gleichzeitig nachlassen“, sagte Geislinger. Kurzarbeit komme nicht infrage, weil der Automobilzulieferer keinen kurzfristigen, sondern einen nachhaltigen Geschäftsrückgang erwartet.
Mit der Ansicht ist die Firma nicht allein. In Deutschland etwa sagt schon jedes fünfte Unternehmen, dass es seinen Personalstand nicht wird halten können. Besonders die deutschen mittelständischen Autozulieferer erwarten drastischen Jobabbau. Bei 93 Prozent der Betriebe läuft Kurzarbeit.
Konjunktur schwächelte schon 2019
Auch die österreichischen Zulieferer sind stark von der deutschen Autoindustrie abhängig. Polytec beliefert Marken wie BMW, VW und Porsche. Der oberösterreichische Autozulieferer hat Kurzarbeit angemeldet und plant noch heuer die Schließung zweier Werke: Betroffen ist ein niederländisches mit 190 Stellen. Welches Werk auch zusperren muss, wurde vorerst nicht bekannt geben.
Einer der größten Arbeitgeber, der Stahlkonzern Voestalpine, schweigt zum weiteren Vorgehen. Auch beim Miba-Konzern weiß man offiziell noch nicht, wie es nach Ende Juni weitergeht. Für Rainer Wimmer, den Vorsitzenden der Produktionsgewerkschaft Pro-Ge, steht fest: „Eine zweite Phase der Kurzarbeit ist notwendig.“
Bereits vor dem Ausbruch von Corona schwächelte die Autobranche. Daher ist es wenig überraschend, dass die Metallverarbeiter sowie Kraftwagenhersteller ihre Beschäftigten schon im vergangenen Jahr abgebaut haben. Das geht aus Zahlen des Wifo für 2019 hervor, die der „Presse“vorliegen.
Jener Industriesektor mit dem größten Zuwachs war übrigens die Pharmabranche.
Dort legte die Beschäftigung um sieben Prozent zu. Für die gesamte Industrie stieg sie im vergangenen Jahr um bescheidene 1,7 Prozent an. Vor allem der Handelskonflikt zwischen den USA und China belastete die exportorientierten Unternehmen stark. „Die ersten vorsichtigen Anzeichen einer Umkehr der Dynamik Anfang 2020 wurden durch die Covid-19-Krise zunichtegemacht“, sagte Wifo-Experte Werner Hölzl zur „Presse“.
Modell nicht attraktiv für Industrie
Nicht nur Ökonomen rechnen mit der schlimmsten Rezession der Nachkriegszeit, auch die Manager zeigen sich derzeit so pessimistisch wie noch nie (siehe Grafik). Droht mit der durch das Coronavirus ausgelösten Wirtschaftskrise nun eine zweite Kündigungswelle? Hölzl hofft, dass die meisten Unternehmen die Kurzarbeit ver
längern werden. Der Grund sei das „Horten“von Fachpersonal. Denn ausgebildete Maschinenbauer lassen sich nicht leicht ersetzen.
Das derzeitige Modell sei für Arbeitgeber nicht attraktiv, sagt IV-Generalsekretär Neumayer. Ab September brauche man daher eine neue Lösung. Indessen sorgt sich die Gewerkschaft um das Kurzarbeitsgeld: „Die Nettoersatzrate darf auf keinen Fall sinken“, warnt Gewerkschafter Rainer Wimmer. Unabhängig von etwaigen Änderungen prognostiziert Neumayer: „Wir werden einen längeren Atem für den Arbeitsmarkt brauchen.“