Leitartikel von Gerhard Hofer
Die Krise hat wichtige Erkenntnisse über die Unternehmerkultur in diesem Land ans Licht gefördert: Sie sind nicht unerwartet und dennoch ernüchternd.
So manches Regierungsmitglied ist in Tagen wie diesen etwas verbittert. Statt Lobeshymnen und Huldigungen wie im Kleinwalsertal mehrt sich Kritik am Krisenmanagement von Türkis-Grün. Dabei habe es so etwas nie zuvor gegeben, gab es ja keinerlei Blaupause für diese Coronakrise, argumentieren sie. Natürlich gelingt da nicht alles sofort. Natürlich passieren Fehler. Aber alles im allem? „Im internationalen Vergleich kann sich die Performance doch sehen lassen“, betont so manches Regierungsmitglied. Tatsächlich gibt es in diesem Land die Tendenz, am Ende das Rettungsteam für die Verunglückten verantwortlich zu machen. Was aber gleichzeitig nicht heißen darf, dass Rettungskräfte sakrosankt sind.
Die Krise hat einige Erkenntnisse wieder ins Bewusstsein gerückt. Manche davon sind nicht neu, aber man vergisst sie schnell. Eine davon hat der deutsche Philosoph Michael Werz so formuliert: „Westliche Wohlstandsgesellschaften haben ein wenig ausgeprägtes Langzeitgedächtnis.“Sprich: Die Menschen interessiert die politische Leistung von gestern nicht, wenn sie morgen ihren Job verlieren könnten.
Noch befinden wir uns auf einer Fahrt ins Ungewisse. Keiner weiß, wann es endlich einen Impfstoff geben wird, wann der Spuk ein Ende hat. Aber die Krise schärft auch den Blick auf so manche Schwächen und Missstände im System.
Das haben Krisen so an sich. Eine der wichtigsten Erkenntnisse der letzten Finanzkrise lautete: Banken haben viel zu wenig Eigenkapital. Dieses Problem wurde behoben – nicht immer zur Freude der Banken –, aber nun zeigt sich, dass es gut war. Der Finanzsektor ist besser aufgestellt und stabil.
Die Coronakrise offenbart jetzt mehr als deutlich, dass österreichische Unternehmen viel zu wenig Eigenkapital haben. 50 Prozent der Betriebe geben an, maximal zwei Monate Shutdown zu verkraften. Das ist eigentlich ein Armutszeugnis. Seit Jahren rangiert Österreich in diversen OECDStatistiken auf den hintersten Rängen, wenn es um die Verschuldung geht. Für Politiker ist das nicht neu. Vor sieben Jahren kritisierten die damalige ÖVP-Finanzministerin, Maria Fekter, und der damalige Grünen-Finanzsprecher, Werner Kogler, in
Alpbach in trauter Einigkeit, dass Fremdkapital steuerlich besser gestellt ist als Eigenkapital. Wer Unternehmer also dafür bestraft, wenn sie das erwirtschaftete Geld im Unternehmen lassen, darf sich nicht wundern, dass viele Betriebe so schwachbrüstig unterwegs sind. Eine höhere Eigenkapitalquote sorgt übrigens nicht nur für eine höhere Krisenresistenz, sondern auch für mehr Innovationskraft. Seit vielen Jahren reden sich Ökonomen wie Christian Keuschnigg für einen Steuerabzug für Eigenkapitalzinsen den Mund fusselig. Es zog eine vertane Chance auf eine Steuerreform nach der anderen ins Land, der steuerliche Anreiz zur Überschuldung blieb. Nun gibt es keine Ausreden mehr. Zumal es für die steuerliche Gleichstellung von Eigen- und Fremdkapital sogar eine Blaupause gibt: Sieh nach in Luxemburg. D ie Krise zeigt nicht nur die Bringschuld der Politik auf. Unter Finanzbeamten, so hört man, macht sich mittlerweile auch große Ernüchterung über die Steuerehrlichkeit der heimischen Betriebe breit. Ja, die Hilfspakete bringen es auch mit sich, dass nun dem Fiskus klar wird, dass die steuerschonende Bilanzierung und Umgehung von Regeln weiter verbreitet ist als befürchtet. Da wird es für einige ein böses Erwachen geben, heißt es im Finanzministerium. Laudamotion ist da nur ein erstes Beispiel. Denn den Staat verar. . . – Pardon: veralbern und dann „Koste es, was wolle“die Hand aufhalten, das darf es nicht spielen. Ja, Österreich ist ein Hochsteuerland. Ja, die Einstellung zu Entrepreneurship ist stark ausbaufähig. Dennoch gibt es Regeln, die für alle gelten.
Unter Sanitätern gibt es eine alte Regel: Unfallopfer, die am lautesten schreien und sich über die viel zu spät eingetroffene Rettung beschweren, werden zum Schluss versorgt. Immerhin haben sie noch genug Kraft, sich lautstark zu artikulieren. Am gefährdetsten sind nämlich die Stillen und Ohnmächtigen. Wäre manchmal kein Fehler, würden die Verantwortlichen in der Coronakrise diesen Grundsatz beherzigen.
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