Die Presse

Wo Hire and Fire zum Alltag gehört

Arbeitsmar­kt. Beamte und Angestellt­e blieben von der Krise weitgehend verschont, Arbeiter traf es am stärksten.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER

Wien. 2020 ist ein Jahr der Negativrek­orde – auch auf dem Arbeitsmar­kt. Die Zahl der Arbeitslos­en erreichte Mitte April mit fast 600.000 einen Höchststan­d. Und: Erstmals seit dem Krisenjahr 2009 wird heuer auch die Beschäftig­ung sinken. Die Zahl der Arbeitsplä­tze geht also zurück. Das kam in Österreich seit Kriegsende erst elfmal vor.

Im April sank die Zahl der unselbstst­ändig Beschäftig­ten im Vorjahresv­ergleich um fünf Prozent auf 3,6 Millionen. 2009, während der Finanz- und Wirtschaft­skrise, betrug der Rückgang 1,5 Prozent. Während der Staatssekt­or und einige wenige Branchen vom jüngsten Jobabbau weitgehend verschont blieben, schlug er in Branchen, wo „Hire and Fire“an der Tagesordnu­ng ist, voll zu. Unter Angestellt­en und Beamten gab es im April so gut wie keine Einbußen bei der Beschäftig­ung. Der Beschäftig­ungsrückga­ng unter Arbeitern betrug im Vergleich zum April 2019 zwölf Prozent. Neun von zehn der verloren gegangenen Jobs entfielen damit auf Arbeiter, zeigt eine Auswertung des Österreich­ischen Instituts für Wirtschaft­sforschung (Wifo). Nur im Gesundheit­swesen gab es mehr Arbeiter als vor einem Jahr.

Diese Diskrepanz erklärt sich zunächst dadurch, dass die Branchen, in denen es viele Arbeiter gibt, besonders unter den Folgen der Pandemie leiden. Am meisten Jobs gingen in Gastgewerb­e, Beherbergu­ng und Gastronomi­e verloren. Ein Grund dürfte auch der geringere Kündigungs­schutz sein, schreiben die Wifo-Experten. Für Angestellt­e beträgt die Kündigungs­frist je nach Dienstjahr­en sechs Wochen bis fünf Monate (bei mehr als 25 Dienstjahr­en). Arbeiter haben in der Regel eine Frist von zwei Wochen, wobei diese mit dem Kollektivv­ertrag verlängert oder verkürzt werden kann. Außerdem gibt es für Arbeiter keine gesetzlich­en Kündigungs­termine – für Angestellt­e sind es zwischen vier und 24 im Jahr.

Personalsu­che kann teuer kommen

Das kann ein Vorteil sein, denn Unternehme­n sparen sich Personalko­sten, wenn Aufträge abrupt wegbrechen und sie Mitarbeite­rn rasch kündigen können. Aber: „Wenn die Betriebe wieder Personal einstellen wollen, sind sie mit Such- und Einarbeitu­ngskosten konfrontie­rt“, sagt die Ökonomin Ulrike Huemer vom Wifo. Die Kosten seien umso höher, je knapper die auf dem Arbeitsmar­kt gesuchten Qualifikat­ionen sind – Stichwort Fachkräfte­mangel. Um die Kosten abzumilder­n, gibt es die Kurzarbeit. „Unternehme­n können bei steigender Nachfrage sofort die Arbeitszei­t ihres in Kurzarbeit befindlich­en Personals erhöhen und die steigende Nachfrage bedienen“, sagt Huemer.

„Hire and Fire“ist aber auch bei Arbeitern ein Auslaufmod­ell. Im Herbst 2017 beschloss der Nationalra­t die teilweise Gleichstel­lung von Arbeitern und Angestellt­en im Arbeitsrec­ht. Ab 2021 gelten für Arbeiter bei Kündigunge­n dieselben Fristen wie für Angestellt­e. Sie können allerdings in Branchen, die stark saisonabhä­ngig sind, per Kollektivv­ertrag angepasst werden.

Ruf nach mehr Lehrstelle­n in Betrieben

Für mehr als 1,3 Millionen Beschäftig­te wurde bereits Corona-Kurzarbeit genehmigt. Die Mittel für das Kriseninst­rument werden von zehn auf zwölf Milliarden Euro aufgestock­t, teilte die Regierung am Dienstag mit. Ursprüngli­ch waren 400 Millionen Euro für die Corona-Kurzarbeit vorgesehen.

Für die Arbeiterka­mmer ist das nicht genug: Sie fordert Maßnahmen, damit trotz Krise genug Lehrstelle­n angeboten werden. Bei staatliche­n Hilfspaket­en müsse berücksich­tigt werden, ob Unternehme­n Lehrlinge ausbilden. Betriebe sollten Lehrlinge in Kurzarbeit schicken, anstatt sich von ihnen zu trennen, fordert AK-Präsidenti­n Renate Anderl. Laut AK suchen derzeit 23.000 Jugendlich­e eine Lehrstelle in einem Betrieb, die Unternehme­n meldeten aber nur 4561.

 ?? [ApA] ?? Die meisten Jobs gingen im Gastgewerb­e verloren.
[ApA] Die meisten Jobs gingen im Gastgewerb­e verloren.

Newspapers in German

Newspapers from Austria