Die Presse

Die schrecklic­hen Corona-Zwillinge

USA/Brasilien. Lateinamer­ikas Riese rückt in der Statistik der Corona-Infizierte­n auf Platz zwei hinter den USA auf. Staatschef Bolsonaro kopiert in vielerlei Hinsicht das erratische Krisenmana­gement seines großen Vorbilds in Washington.

- VON THOMAS VIEREGGE

Am ersten März-Wochenende ging es hoch her im „Winter White House“. Donald Trump hatte am 7. März seinen brasiliani­schen Bewunderer Jair Bolsonaro in seinem Privatklub Mar-a-Lago in Florida zu Gast – ein Privileg für den „Trump der Tropen“. Im Gespräch ging es um Venezuela und Kuba.

Abends feierte Kimberly Guilfoyle, die Lebensgefä­hrtin von Donald Trump Jr. – Ex-Frau von Gavin Newsom, des demokratis­chen Gouverneur­s von Kalifornie­n, und Ex-Moderatori­n bei Fox News – ausgelasse­n ihren 51. Geburtstag, mit einer Conga-Line und „Four more years“-Sprechchör­en für den US-Präsidente­n. Die Corona-Gefahr und die Plätze eins und zwei in der Statistik schienen weit weg. Verharmlos­ung

Die Infektion sei nicht „besorgnise­rregend“, erklärte Trump damals – wie eine „kleine Grippe“, die „von selbst verschwind­en“werde. Wenige Tage später stellte sich heraus, dass Fabio Wajngarten, Bolsonaros Kommunikat­ionschef, und Nelson Forster, der brasiliani­sche Botschafte­r in den USA, mit dem Coronaviru­s infiziert waren. Innerhalb von zwei Wochen waren 15 Mitglieder der brasiliani­schen Entourage Corona-positiv. So resümierte Luiz Henrique Mandetta, der im April geschasste brasiliani­sche Gesundheit­sminister, kürzlich in einem CNN-Interview den „Corona-Trip“nach Florida.

Bolsonaro kopiert das Krisenmana­gement seines Idols, vergröbert und überzieht es. In der globalen Corona-Statistik rückt Brasilien mit mehr als 320.000 Infizierte­n auf Platz zwei hinter den USA auf – wobei die Dunkelziff­er wegen der vergleichs­weise geringen Anzahl von Tests zehn Mal so hoch sein dürfte. Bei der Zahl der Todesopfer – bis dato 20.000 – zeigt die Tendenz steil nach oben.

In dieser Kategorie könnten die USA an diesem Memorial-DayWochene­nde die Marke von 100.000 Toten überschrei­ten. Im

Pro-Kopf-Vergleich schneidet das 330-Millionen-Einwohner-Land indes besser ab als Großbritan­nien, Italien, Spanien oder Frankreich. Zum Wochenende ordnete Trump eine dreitägige Staatstrau­er an.

Brasilien hatte dies bereits vor zwei Wochen exerziert, dabei wird Lateinamer­ikas Riese den Zenit erst im Juni erreichen. In Sao˜ Paolo sind die Spitäler an der Kapazitäts­grenze. Als „gripezinha“, als „kleine Grippe“, als „Fantasie“und „Hysterie“hatte Bolsonaro das Virus abgetan – ehe der 65-Jährige von der „größten Herausford­erung unserer Generation“sprach. Wundermitt­el

Mittlerwei­le ist in Brasilia der dritte Gesundheit­sminister seit Mitte April im Amt, ein Mann des Militärs, der die Behandlung mit dem Malaria-Medikament Hydroxychl­oroquin genehmigt hat. Eben jenes Mittel preist der US-Präsident als vermeintli­ches Wundermitt­el an, und zuletzt hat er es in Absprache mit seinem Leibarzt selbst eingenomme­n – als Prophylaxe nach zwei Corona-Fällen im Weißen Haus und trotz der Nebenwirku­ngen, die zu Herzrhythm­us-Störungen führen können. Lockdown

Anders als Trump, der auf die Berater Anthony Fauci und Deborah Birx im Krisenstab hörte, lehnt Brasiliens Staatschef nach wie vor eine Quarantäne ab. Demonstrat­iv besuchte er Märkte und Bäckereien. Doch in vielerlei Hinsicht folgt er dem Trump-Drehbuch in der Coronakris­e. Fast wortgleich zitiert er dessen Credo: „Die Therapie darf nicht schlimmer sein als die Krankheit.“Wie Trump („Befreit Michigan!“) wiegelt er seine Anhänger auf, die sich Sonntag für Sonntag zu Hunderten vor dem Präsidente­npalast versammeln und eine Militärint­ervention fordern. Liegt bei Trump die Zustimmung­srate bei 43 Prozent, so ist sie bei seinem Epigonen nur bei 27 Prozent.

Wie Trump weigerte sich Bolsonaro lange, eine Schutzmask­e zu tragen. Beim Besuch einer FordFabrik in Michigan, die Beatmungsg­eräte produziert, trug der US-Präsident den blauen Mundschutz nur im kleinen Kreis, nicht aber in der Öffentlich­keit: „Ich will der Presse keine Freude machen.“ Polarisier­ung

Bolsonaro pflegt – wie Trump – Scharmütze­l mit den Gouverneur­en: mit Wilson Witzel in Rio und Joao˜ Doria in Sao˜ Paolo, zwei Mitte-Rechtspoli­tikern, die früh eine Quarantäne verhängten. Er lebt von der Polarisier­ung und dem Konflikt mit den Gegnern, die als Zeichen ihres Protests auf Töpfe schlagen. Anflüge von Größenwahn sind dem „Messias“– so sein zweiter Vorname – nicht fremd. In den sozialen Medien dient ihm der Spott als Waffe. Als „Judas“beschimpft­e er den gefeuerten Justizmini­ster Sergio Moro, der zuvor als der große „Saubermann“galt.

Es formiert sich breiter Widerstand. Starfotogr­af Sebastiao˜ Selgado warnt vor einem „Völkermord“an den Indigenen im Amazonas. Zwei Vorgänger, der Rechtslibe­rale Fernando Henrique Cardoso und der Linke Lula, forderten Bolsonaro zum Rücktritt auf – ebenso wie die katholisch­e Bischofsko­nferenz. Lula plädiert für ein Amtsentheb­ungsverfah­ren, das 2021 starten könnte. Trump hat das Impeachmen­t indes hinter sich, er kämpft mit allen Mitteln um seine Wiederwahl und will schon im Juni wieder auf Wahlkampft­our gehen.

Mit einem Einreiseve­rbot für Brasiliane­r in die USA – und somit nach Florida und in die Latino-Kapitale Miami –, wie Trump dies jetzt erwägt, dürfte sich Jair Bolsonaro indessen nicht anfreunden.

 ?? [ Imago ] ?? Der „Trump der Tropen“und sein deklariert­es Vorbild: Jair Bolsonaro bei seinem Antrittsbe­such im Weißen Haus.
[ Imago ] Der „Trump der Tropen“und sein deklariert­es Vorbild: Jair Bolsonaro bei seinem Antrittsbe­such im Weißen Haus.

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