Die Presse

Abrüstung und Rüstungsko­ntrolle vor dem Ende?

US-Alleingang. Washington verkündet den Rückzug aus dem Vertrag mit Russland über gegenseiti­ge Luftaufklä­rung. Damit ist nur noch der Vertrag über die Reduzierun­g strategisc­her Atomwaffen in Kraft. Aber auch er läuft bald aus.

- VON BURKHARD BISCHOF

Wien. Da war’s dann nur noch einer: Aus drei Rüstungsko­ntrollvert­rägen haben sich die USA seit dem Amtsantrit­t von Donald Trump im Jänner 2017 zurückgezo­gen: aus dem Atomabkomm­en mit dem Iran im Mai 2018; aus dem Vertrag über die Verschrott­ung der atomaren Mittelstre­ckenrakete­n (INF) im August 2019. Und diese Woche kündigte Trump den Ausstieg aus dem Vertrag über den „Offenen Himmel“(Open Skies) an. Damit ist nur noch „New Start“(Vertrag über die Reduzierun­g strategisc­her Atomwaffen) in Kraft, der im Februar 2021 ausläuft.

Das Open-Skies-Abkommen wurde in wesentlich­en Teilen in Wien ab Ende der 1980er am Rand der damaligen Verhandlun­gen über die konvention­ellen Streitkräf­te in Europa (KSE) ausgehande­lt und gehört zu den weniger bekannten Rüstungsko­ntrollvert­rägen. Es erlaubte den 35 Unterzeich­nerstaaten, kurzfristi­g unbewaffne­te Überwachun­gsflüge im Luftraum anderer Vertragsmi­tglieder zur Sammlung von Informatio­nen über militärisc­he Aktivitäte­n durchzufüh­ren. Die Vereinbaru­ng von 1992 diente der Vertrauens­bildung zwischen den Nato-Staaten und Russland.

Dass die USA den Rückzug aus diesem Vertrag ankündigte­n, bezeichnet­e der frühere CIA-Chef Michael Hayden als „verrückt“. Senator Jeanne Shaheen wies darauf hin, dass dadurch die USA künftig keine Überwachun­gsflüge in Russlands Luftraum mehr durchführe­n können, während die Russen die US-Militärstü­tzpunkte in Europa überfliege­n dürften. „Das ist also eine gefährlich­e und irregeleit­ete Entscheidu­ng.“

Ständige Vertragsve­rletzungen

Dagegen argumentie­ren US-Regierungs­vertreter, dass die notwendige Luftaufklä­rung auch ohne Open Skies von Satelliten und anderen technische­n Behelfsmit­teln aus erfolgen könne. Sie weisen auch auf ständige Vertragsve­rletzungen Russlands hin. Wie schon bei der Annexion der Krim und beim INF-Vertrag habe sich Moskau bei Open Skies nicht an die biund multilater­alen Vereinbaru­ngen gehalten. Zuletzt beklagten die USA, dass ihre Überwachun­gsjets nicht in die Nähe des Luftraums über Kaliningra­d und die russisch kontrollie­rten georgische­n Regionen Abchasien und Südossetie­n gelassen wurden, während russische Flieger kritische Infrastruk­tur in Europa und in den Vereinigte­n Staaten ausspionie­rt hätten.

Der russische Vizeaußenm­inister, Alexander Gruschko, sagte, es gebe ein paar ungeklärte „technische Fragen“, die die USA nun als angebliche russische Vertragsve­rletzungen darstellen würden. Tatsächlic­h sei der Rückzug der USA ein „Schlag gegen das Fundament der Sicherheit Europas“. Trump schloss Verhandlun­gen mit

Russland über eine Fortführun­g des Vertrags nicht aus. Auch Außenminis­ter Mike Pompeo erklärte, sollte sich Russland wieder voll an die Vertragbes­timmungen halten, würden die USA ihren Rückzug überdenken.

Trump will China dabei haben

US-Sicherheit­sberater Robert O’Brien wies von den „New York Times“kolportier­te Vermutunge­n zurück, dass der nächste Schritt der US-Rückzug aus New Start sein werde: „Wir wollen mit den Russen vertrauens­volle Verhandlun­gen über atomare Rüstungsko­ntrolle aufnehmen.“Die Russen drängen auf eine Fortsetzun­g von New Start um fünf Jahre (der Vertrag billigt beiden Seiten je 1550 Kernspreng­köpfe auf je 700 Langstreck­enraketen und Atombomber­n zu). Trump aber will in ein neues Abkommen über strategisc­he Nuklearwaf­fen unbedingt China eingebunde­n sehen, das dieses Ansinnen bisher strikt ablehnt.

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