Warum es in Deutschland „södert“
Analyse. Die CSU wagt einen „virtuellen Parteitag“. Gastgeber Markus Söder ist in der Coronakrise populär. Auch jenseits von Bayern fliegen ihm die Herzen zu. Das ist für einen CSU-Politiker eher unüblich. Und es heizt Spekulationen an.
Berlin. Im Land der Laptops und Lederhosen haben sie am Freitag ein Experiment gewagt. Die CSU veranstaltete einen „virtuellen Parteitag“. Und deshalb tauchte Parteichef Markus Söder nicht auf der Bühne auf, sondern hinter seinem Schreibtisch in der Münchner Parteizentrale. Das übliche Bad in der Menge fiel also aus.
Dabei zählt Söder zu den großen Krisengewinnern. Mehr als 90 Prozent der Bayern sind mit der Arbeit des Ministerpräsidenten zufrieden Söder fliegen auch deutschlandweit die Herzen zu. Eine Rangliste der beliebtesten Politiker führen er und Angela Merkel an. Und in der Kanzlerfrage ist Söder der Konkurrenz enteilt. 53 Prozent halten ihn für einen guten Kandidaten, dann kommt lange nichts und erst dann folgen die zwei Bewerber für den CDU-Vorsitz, Friedrich Merz (33 Prozent) und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (27). Dass ein Bayer auch nördlich des Weißwurstäquators derart populär ist, zählt zu den großen Ausnahmen. Und deshalb fragt sich die Republik, ob Söder nicht doch auf Merkels Erbe schielen könnte.
Der 53-jährige Franke winkt stets ab. Er hat sich für Fragen zu dem Thema einen Satz zurecht gelegt: „Mein Platz ist in Bayern.“Im politischen Berlin gibt es zwei Lesarten zu diesem Satz. Die erste lautet: Söder meint es mit seiner Absage ernst. Die zweite, dass Söder von der CDU eines Tages um eine Kandidatur gebeten werden will. Ein Argument spricht gleichermaßen für und gegen eine Kanzlerkandidatur des ehrgeizigen Franken: Noch hat es kein CSU-Chef zum Kanzler gebracht. Franz Josef Strauß, der als Poster in Söders Jugendzimmer hing, ist genauso gescheitert wie Söders politischer Ziehvater Edmund Stoiber, dem 2002 Angela Merkel die Kanzlerkandidatur überlassen hatte.
Söders Verwandlung
Der Anstieg von Söders Beliebtheitskurve ist freilich nur Momentaufnahme, und eine politische Woche in Coronazeiten bringt gefühlt so viele Wendungen wie ein seuchenfreies Jahr. Aber Söders Aufstieg in der Gunst der Deutschen hatte sich schon davor angedeutet.
Söder verkleidete sich im Fasching gern. Als Shrek zum Beispiel. Oder als Kaiser. Aber bemerkenswerter ist die politische Wandlung Söders. In Berlin hatte der Bayer lange den Ruf des Krawallund Scharfmachers. Noch als Ministerpräsident trieb er 2018 mit teils schriller Rhetorik jenen Asylstreit zwischen CDU und CSU voran, an dem die Regierung fast zerbrochen wäre. Inzwischen hat Söder gewendet: Er hat Formulierungen wie „Asyltourismus“öffentlich abgeschworen und sich auf die aufstrebende Konkurrenz der Grünen konzentriert. Sein neues Faible für den Klimaschutz bezeugt er vor den Kameras, indem er Bäume umarmt. Söder ist merklich ergrünt. Auch ohne Shrek-Kostüm.
Und er hat begonnen die Kanzlerin zu loben. In der Coronakrise pflegt Söder sein neues staatstragendes Image. Die Deutschen sehen ihm zu, wie er an Merkels Seite zur Vorsicht mahnt und sich als als zupackender Krisenmanager inszeniert.
Immer wieder setzt Söder auch Nadelstiche gegen Laschet, den er zwischen den Zeilen als leichtsinnigen Lockerer porträtiert. Dass Laschet und Söder in der Krise zu Gegenspielern wurden, wird von deutschen Medien als Fernduell um die Kanzlerschaft gedeutet. Wobei die Differenzen auch daran liegen, dass Bayern härter von der Seuche getroffen worden war.
Die Kurz-Frage
Seine Anpassungsfähigkeit verbindet Söder mit dem Stargast des Parteitags, Sebastian Kurz. Der Kanzler sollte aus Wien zugeschaltet werden. Kurz’ Wahlkämpfe haben in Bayern Eindruck gemacht. Und in den ersten Krisentagen folgte Söder „eins zu eins“dem Wiener Vorbild. Die Ischgl-Affäre soll Söder indes verärgert haben. Umgekehrt könnte es Kurz missfallen, dass der CSU-Chef erwägt, die Bayern mit Reisegutscheinen zum „Urlaub dahoam“zu animieren.
Im Auftritt von Kurz lag Brisanz, weil der Kanzler zu den Gegnern der von Merkel mitentworfen Pläne für einen EU-Wiederaufbaufonds zählt. Zwar unterstützt die Unionsfraktion Merkels Vorhaben. Aber die Ablehnung von allem, was nach Vergemeinschaftung von Schulden riecht, war an der CSUBasis bisher besonders groß.