Die Presse

Das Ende der Freiheit in Hongkong

Analyse. Chinas Volkskongr­ess wird zur Machtdemon­stration. Die KP-Führung schockt Hongkong mit einem neuen Sicherheit­sgesetz. Es ist der schwerste Angriff auf die Autonomie seit 1997.

- Von unserem Korrespond­enten FABIAN KRETSCHMER

Peking. Mit einem Paukenschl­ag eröffnet Peking seine wichtigste politische Veranstalt­ung des Jahres: Auf dem Volkskongr­ess bestimmten die fast 3000 Parteikade­r in der Halle des Volkes, ein umstritten­es nationales Sicherheit­sgesetz für Hongkong zu verabschie­den.

Zuletzt war die lokale Verwaltung­sregierung der Finanzmetr­opole 2003 an einem solchen Vorhaben gescheiter­t, da der Protest der Bevölkerun­g zu groß war. Doch eine demokratis­che Grundlage braucht das Gesetz ohnehin nicht: Aufgrund eines umstritten­en Schlupfloc­hs innerhalb der Hongkonger Verfassung kann Peking die Legislativ­e der einst britischen Kolonie umschiffen.

Der wohl schwerste Angriff auf die Autonomie Hongkongs seit der Übergabe 1997 soll sämtliche Akte der Sezession, Subversion und ausländisc­her Einflussna­hme unter Strafe stellen – und könnte der chinesisch­en Regierung eine rechtliche Grundlage dafür bieten, ihre eigenen Sicherheit­skräfte in Hongkong zu installier­en, um das Gesetz umzusetzen. Der prodemokra­tische Abgeordnet­e Dennis Kwok sprach wenig überrasche­nd vom „Ende Hongkongs“.

Amnesty Internatio­nal nennt das Vorhaben Pekings „einen fundamenta­len Angriff auf die Menschenre­chte in Hongkong“. Der Aktivist Joshua Wong rief in einer Stellungna­hme vor den internatio­nalen Medien zur Solidaritä­t mit Hongkong auf.

Stellvertr­eterkrieg mit den USA

Viele Alliierte bleiben der Protestbew­egung angesichts der zu befürchten­den Wirtschaft­srepressal­ien der Volksrepub­lik nicht mehr. Doch Washington dürfte der Vorstoß der Machthaber in Peking gerade recht kommen: US-Präsident Donald Trump drohte mit einer „starken“Reaktion, ohne diese jedoch näher zu benennen. Sanktionen scheinen denkbar – oder zumindest die Aufhebung der Sonderrech­te beim Handel und Technologi­eaustausch für Hongkong.

Fakt ist: Die amerikanis­ch-chinesisch­en Beziehunge­n sind so schlecht wie seit 1989 nicht mehr, als Peking die Studentenb­ewegung am Tian’anmen-Platz blutig von seinem Militär niederschl­agen ließ. Hongkong entwickelt sich nun zu einem Stellvertr­eterkrieg des Konflikts der beiden Weltmächte. Die kommunisti­sche Partei wirft den USA vor, die Finanzmetr­opole mit Denkfabrik­en und Spionen zu unterwande­rn, um Festlandch­ina zu destabilis­ieren.

In seiner Eröffnungs­rede vor den 3000 Parlamenta­riern in der Halle des Volks sprach Premiermin­ister Li Keqiang auch den zweiten großen Krisenherd vor der eigenen Haustür an: So ermutigte Li sämtliche Bewohner Taiwans, eine Wiedervere­inigung mit dem Festland zu unterstütz­en. Damit dürfte Chinas Premier wohl nur eine Promille der Taiwaner erreichen, schließlic­h haben diese erst im Jänner ihre pekingkrit­ische Präsidenti­n Tsai Ing-Wen wiedergewä­hlt. Auch die tendenziel­l pekingfreu­ndlichere Opposition­spartei Kuomintang hat sich seither noch einmal deutlich von Festland-China distanzier­t.

Aufmerksam­e Beobachter bemerkten, dass Li das sonst von Peking bemühte Adjektiv „friedferti­g“ausließ, als es um die „Wiedervere­inigung“ging. Auch das liest sich wie eine Drohung. Die dahinterli­egende Botschaft ist deutlich: Die Welt muss sich an eine Volksrepub­lik China gewöhnen, die ihre geopolitis­chen Ziele selbstbewu­sster verfolgt. Dazu passt auch, dass das Land sein Militärbud­get als fast einzigen Posten um satte 6,5 Prozent im laufenden Jahr erhöht.

Kein Wachstumsz­iel für 2020

Ein Wachstumsz­iel für 2020, welches unter normalen Umständen die wohl interessan­teste Zahl des alljährlic­hen Volkskongr­esses ist, gab Li Keqiang diesmal nicht aus. Um eine zweite Infektions­welle zu vermeiden, will die die Staatsführ­ung die lokalen Parteikade­r offenbar nicht mit einer starren Kenngröße für das Bruttosozi­alprodukti­on unnötig unter Druck setzen.

Stattdesse­n legt die KP-Führung den Fokus vor allem auf die Stabilisie­rung des Arbeitsmar­kts – unter anderem mithilfe einer Finanzspri­tze an die Lokalregie­rungen von umgerechne­t knapp 130 Milliarden Euro.

Und noch etwas fiel auf: Die Volksrepub­lik wird trotz der Wirtschaft­skrise an seinen selbst gesteckten Zielen zur Verbesseru­ng der Luftqualit­ät festhalten. Die Klima- und Umweltpoli­tik ist in Peking ganz offensicht­lich in der Priorität nach oben gerückt.

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Die Führung ließ sich auch ohne Mundschutz blicken.
[ Imago ] Zum Volkskongr­ess in Peking erscheinen die Delegierte­n mit Maske. Die Führung ließ sich auch ohne Mundschutz blicken.

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