Kurzer Urlaub in Gramais, Rattenberg – oder gar der Seestadt
Die Ministerin für Tourismus verspricht uns sehr persönlich einen guten Sommer. Dankbar nehmen wir’s an. Ein Lob des Nahen und Kleinen. Stadt oder Land? Als kleiner Kompromiss böte sich Loretto an.
Zugegeben: Der Klub „Abenteuer, Ballermann und Fernweh“in der Gegengift- Lobby hat sich bereits in manchem Frühsommer dazu hinreißen lassen, Fenstertage für Kurzurlaube zu nutzen. Meist waren es Städteflüge. „Natürlich nur wegen der Kultur“, lautete die passende Ausrede. Doch im Jahr der Pandemie gilt solch ein Vorwand nicht. Wir hatten ernsthaft vor, in Erdberg zu bleiben.
Nun aber sind wir in einen moralischen Konflikt geraten: Die netteste Ministerin, unterstützt von einem besonders volksnahen Kanzler, will uns zum Binnenreisen verführen. „Auf dich wartet ein guter Sommer“wird uns ganz intim per Du versprochen. Das kann man auch so auffassen: Ausschwärmen, das man nicht mit notwendigen Einkäufen oder Arztbesuchen rechtfertigen kann, ist inzwischen kein Vergehen mehr, das pekuniär streng bestraft wird. Im Gegenteil! Urlaub in Österreich wird ab Juni recht und billig patriotische Pflicht.
Sofort haben wir das Terrain sondiert. Die Mutigsten waren für erkaltete Hotspots. Warum nicht Ischgl zu Pfingsten? Keinen Touristen, der bei Sinnen ist, wird es jetzt dorthin verschlagen. Abtanzen in fast leeren Discos könnte Trendsport werden. Wahrscheinlich ist inzwischen sogar Hallstatt ein Geheimtipp. Wer kann sich dieses Kleinod im Innersten Österreichs überhaupt noch ohne Scharen von Gästen aus dem Reich der Mitte vorstellen? Die Gelegenheit scheint günstig, dort Einheimische zu treffen.
Durchsetzen werden sich bei unseren Plänen vielleicht jene Pragmatiker, die immer schon von „Small is beautiful“geträumt haben. Niemand von uns war zum Beispiel bisher in Gramais: An die 40 Einwohner hat die Gemeinde in einem Seitental zum Fluss Lech im fernen Tirol. Es gibt sogar zwei Ortsteile. Der Weiler Riefen ist noch kleiner als das Dorf. Im Heimatmuseum wird das bäuerliche Leben dokumentiert. Das Wappentier der Gramaiser ist ein aufspringender Stier auf rotem Grund.
Konkurrenz bekam dieser Vorschlag bei uns durch jene, die das Urbane bevorzugen. Sie sind für Rattenberg im Unterinntal. Diese steinalte Stadt ist mit rund 400 Bewohnern nicht nur die kleinste im ganzen Land, sondern auch in der Fläche die kleinste Gemeinde – ein Viertel der Vatikanstadt. Einst war Rattenberg eine Zollstelle am Inn an der Grenze Tirols zu Bayern. Es gibt also reichlich Erfahrung im Umgang mit durchreisenden Fremden. Sogar eine Fußgängerzone wurde geschaffen. Es könnte also tatsächlich ein guter Sommer werden, am Brunnen in der Südtiroler Straße oder oben auf dem Schlossberg.
Stadt oder Land? Als naheliegender Kompromiss böte sich die kleinste Marktgemeinde an: Loretto am Leithagebirge (ca. 470 Einwohner) ist uralt, liegt nicht weit weg vom Neusiedler See und hat sogar eine barocke Basilika. Aber einigen bereitet das zu viel Wallfahrt-Stress. Sie wollen partout in Wien bleiben. Ob man in der Seestadt sicher nächtigen kann? Wir warten auf ein klärendes Urteil des Innenministers oder zumindest einen Kommentar des Stadtrats für Gesundheit.