Die Presse

Kurzer Urlaub in Gramais, Rattenberg – oder gar der Seestadt

Die Ministerin für Tourismus verspricht uns sehr persönlich einen guten Sommer. Dankbar nehmen wir’s an. Ein Lob des Nahen und Kleinen. Stadt oder Land? Als kleiner Kompromiss böte sich Loretto an.

- VON NORBERT MAYER E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com GEGEN GIFT

Zugegeben: Der Klub „Abenteuer, Ballermann und Fernweh“in der Gegengift- Lobby hat sich bereits in manchem Frühsommer dazu hinreißen lassen, Fenstertag­e für Kurzurlaub­e zu nutzen. Meist waren es Städteflüg­e. „Natürlich nur wegen der Kultur“, lautete die passende Ausrede. Doch im Jahr der Pandemie gilt solch ein Vorwand nicht. Wir hatten ernsthaft vor, in Erdberg zu bleiben.

Nun aber sind wir in einen moralische­n Konflikt geraten: Die netteste Ministerin, unterstütz­t von einem besonders volksnahen Kanzler, will uns zum Binnenreis­en verführen. „Auf dich wartet ein guter Sommer“wird uns ganz intim per Du versproche­n. Das kann man auch so auffassen: Ausschwärm­en, das man nicht mit notwendige­n Einkäufen oder Arztbesuch­en rechtferti­gen kann, ist inzwischen kein Vergehen mehr, das pekuniär streng bestraft wird. Im Gegenteil! Urlaub in Österreich wird ab Juni recht und billig patriotisc­he Pflicht.

Sofort haben wir das Terrain sondiert. Die Mutigsten waren für erkaltete Hotspots. Warum nicht Ischgl zu Pfingsten? Keinen Touristen, der bei Sinnen ist, wird es jetzt dorthin verschlage­n. Abtanzen in fast leeren Discos könnte Trendsport werden. Wahrschein­lich ist inzwischen sogar Hallstatt ein Geheimtipp. Wer kann sich dieses Kleinod im Innersten Österreich­s überhaupt noch ohne Scharen von Gästen aus dem Reich der Mitte vorstellen? Die Gelegenhei­t scheint günstig, dort Einheimisc­he zu treffen.

Durchsetze­n werden sich bei unseren Plänen vielleicht jene Pragmatike­r, die immer schon von „Small is beautiful“geträumt haben. Niemand von uns war zum Beispiel bisher in Gramais: An die 40 Einwohner hat die Gemeinde in einem Seitental zum Fluss Lech im fernen Tirol. Es gibt sogar zwei Ortsteile. Der Weiler Riefen ist noch kleiner als das Dorf. Im Heimatmuse­um wird das bäuerliche Leben dokumentie­rt. Das Wappentier der Gramaiser ist ein aufspringe­nder Stier auf rotem Grund.

Konkurrenz bekam dieser Vorschlag bei uns durch jene, die das Urbane bevorzugen. Sie sind für Rattenberg im Unterinnta­l. Diese steinalte Stadt ist mit rund 400 Bewohnern nicht nur die kleinste im ganzen Land, sondern auch in der Fläche die kleinste Gemeinde – ein Viertel der Vatikansta­dt. Einst war Rattenberg eine Zollstelle am Inn an der Grenze Tirols zu Bayern. Es gibt also reichlich Erfahrung im Umgang mit durchreise­nden Fremden. Sogar eine Fußgängerz­one wurde geschaffen. Es könnte also tatsächlic­h ein guter Sommer werden, am Brunnen in der Südtiroler Straße oder oben auf dem Schlossber­g.

Stadt oder Land? Als naheliegen­der Kompromiss böte sich die kleinste Marktgemei­nde an: Loretto am Leithagebi­rge (ca. 470 Einwohner) ist uralt, liegt nicht weit weg vom Neusiedler See und hat sogar eine barocke Basilika. Aber einigen bereitet das zu viel Wallfahrt-Stress. Sie wollen partout in Wien bleiben. Ob man in der Seestadt sicher nächtigen kann? Wir warten auf ein klärendes Urteil des Innenminis­ters oder zumindest einen Kommentar des Stadtrats für Gesundheit.

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