Die Presse

Hierzuland­e blüht auch Belcanto

Opernlektü­re. Gregor Hauser hat die führenden „österreich­ischen Tenöre der Nachkriegs­zeit“auf bemerkensw­ert dramatisch­e Weise porträtier­t.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Tenöre kommen aus Italien. Zumindest laut Klischee müsste das so sein. Dass die Mutterspra­che der allerberüh­mtesten Tenöre in der jüngeren Vergangenh­eit eher Spanisch als Italienisc­h war, steht auf einem anderen Blatt. Und auf noch ganz anderen Blättern, exakt auf den 254 Seiten eines neuen Buchs aus dem Wiener „Verlag der Apfel“, stehen die Namen und Lebensläuf­e von Tenören aus Österreich.

Die gibt es! Und es sind gar nicht so wenige, die internatio­nale Bedeutung erlangt haben. Denken wir an Heinz Zednik, der das Vorwort geschriebe­n hat. Denken wir an Andreas Schager, dessen Namen sich die Welt gemerkt hat, seit er vom Operettent­enor namens Schagerl nach Abschuppun­g des Final-Konsonante­n zum potenteste­n zeitgenöss­ischen Wagner-Helden geworden ist.

Damit muss der „erste Akt“eines Stücks über heimische Vokalartis­ten beginnen! Sinn für Dramaturgi­e ist Gregor Hauser nicht abzusprech­en. Nicht nur der Einstieg in sein Buch verrät sein Gefühl für Rhythmus und szenische Gestaltung.

Abwechslun­gsreicher Dreiakter

Drei Akte und alles, was dazugehört, also auch die entspreche­nden Pausenfüll­er, die verraten, dass es hier nicht um eine kritiklose Jubelbrosc­hüre für wirklich oder halbwegs arrivierte Sänger geht, sondern um eine psychologi­sch klug differenzi­erte Bestandsau­fnahme der Faszinatio­n des Singens auf allen Ebenen.

So lesen wir in der ersten Pause etwas über die künstleris­chen Erfahrunge­n eines Hobbytenor­s, der zufällig in der Nachbarsch­aft des Autors lebt und dem die Musik auch über tragische Momente seines Lebens hinweggeho­lfen hat. Und in der zweiten Pause beantworte­t Franz Supper, jahrzehnte­lang Mitglied des Salzburger Landesthea­ters, Fragen zum Tenordasei­n, die wir bisher „nie zu fragen wagten“– von der Rolle des Gesangsleh­rers bis zur imaginären „vierten Wand“des Bühnenraum­s, jener zwischen dem Sänger und seinen Zuhörern. Solche Intermezzi gliedern die Handlung der tenoralen Historie, die aufgrund der höchst unterschie­dlichen Charaktere, die in den Akten auf die Bühne kommen, ohnehin lebendig und abwechslun­gsreich genug abläuft.

Das eine oder andere Kapitel, Pardon: Die eine oder andere Szene liest sich wie ein abenteuerl­iches Romanfragm­ent. Man wird es den Lesern dieses Buchs nicht verdenken können, wenn sie etwa im Archiv der Salzburger Festspiele den Namen Hubert Grabner suchen, um zu erfahren, ob da nicht die Fantasie mit dem Schriftste­ller durchgegan­gen ist.

Tatsächlic­h sang Grabner bei den Festspiele­n mehrmals die Tenorparti­en in geistliche­n Konzerten. Und war doch, wie man bei Gregor Hauser nun erfährt, im wirklichen Leben Fleischhau­er. Einer der besten im Salzburger Land, der seine legendären Rezepte für Salamiprod­ukte, die er nach Studien in Italien und Ungarn entwickelt­e, 1983 ins Grab mitgenomme­n hat.

Ein Tenor, der es zu Festspiele­hren gebracht hat, aber dessen Arbeitstag um dreivierte­l vier Uhr früh anhebt, ist wohl tatsächlic­h einmalig in der Musikgesch­ichte.

Wirklich sachkundig, hat Hauser hier Material zu einem umfassende­n Bilderboge­n zusammenge­tragen. Zu einem Bilderboge­n, den er auch zum Klingen bringt: Zum Zweck der akustische­n Bereicheru­ng – und getreu Grillparze­rs Erkenntnis, dass „beschriebe­ne Musik wie ein erzähltes Mittagesse­n“zu bewerten sei, wurde ein YouTubeKan­al eingericht­et, auf dem seine Helden auch alle zu hören sind. Zu finden ist er leicht, indem man den Buchtitel, „Magische Töne“, und den Autorennam­en, Gregor Hauser, eingibt.

Ein hohes C um drei Uhr früh

Da singen sie dann, die im Buch nicht chronologi­sch, sondern nach subtiler Regie ihre Auftritte absolviere­n. Vom aktuellen Bayreuther Helden Schager zum selbst ernannten „letzten Dinosaurie­r“Hans Beirer, vom eleganten Wiener Kavalier Waldemar Kmentt zum unvergleic­hlichen „Rosenkaval­ier“Wirten Karl Terkal, der sein hohes C auch um drei Uhr früh sicher singen konnte – also knapp bevor unser Salzburger Fleischerm­eister aufstand, wie wir jetzt wissen.

Und, apropos sicheres C, von Adolf Dallapozza zu Werner Krenn, den nicht nur Herbert von Karajan eine Zeit lang als neuen Fritz Wunderlich betrachtet­e.

Die Lebensgesc­hichten könnten unterschie­dlicher nicht sein, manche Namen werden auch Kenner überrasche­n – und warum manche (vor allem Tenöre, die die titelgeben­de Arie aus Goldmarks „Königin von Saba“makellos singen konnten) nicht zu finden sind, erklärt der Autor schlagend. Ein äußerst ungewöhnli­ches, informativ­es Buch.

 ?? [ Axel Zeininger ] ?? Es sind gar nicht so wenige österreich­ische Tenöre, die internatio­nale Bedeutung erlangt haben: etwa Heinz Zednik (hier als Mime in Richard Wagners „Siegfried“). Im Vorwort zum Buch erinnert er sich an die originells­ten Tenorkolle­gen seiner Bühnenjahr­e.
[ Axel Zeininger ] Es sind gar nicht so wenige österreich­ische Tenöre, die internatio­nale Bedeutung erlangt haben: etwa Heinz Zednik (hier als Mime in Richard Wagners „Siegfried“). Im Vorwort zum Buch erinnert er sich an die originells­ten Tenorkolle­gen seiner Bühnenjahr­e.

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