Die Presse

Sorry, Herr Bundespräs­ident, wir sind doch so!

Warum manche Medien Heinz-Christian Strache auf die politische Bühne puschen: Laut Umfrage finden 42 Prozent der Österreich­er den Ibiza-Skandal harmlos.

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Ein Jahr und zwei Tage sind vergangen, seit Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen in einer Rede an die Nation nach Ausbruch des IbizaSkand­als von einem „Sittenbild“gesprochen hat, „das uns alle zutiefst verletzt“. Alle? Van der Bellen dürfte sich geirrt haben. Eine Studie zeigt jetzt, dass sich 42 Prozent der Befragten keinesfall­s verletzt fühlen. Für sie ist der Tango Korrupti in der Finca ein „harmloser Vorfall“.

Vor einem Jahr und zwei Tagen glaubte Van der Bellen, die geschockte Öffentlich­keit beruhigen zu müssen: „So sind wir nicht, so ist Österreich einfach nicht.“Vielleicht doch. Ist das nicht ein Beweis dafür, dass kein allgemeine­r Konsens darüber herrscht, was in der Politik zulässig ist und was nicht? Wäre es sonst möglich gewesen, dass 44.750 Wähler Heinz-Christian Strache nur eine Woche nach Bekanntwer­den seiner Korruption­sund Machtgelüs­te per Vorzugssti­mmen als Repräsenta­nt dieses Österreich im EU-Parlament sehen wollten? Hätten sonst vergangene Woche 783.000 Zuseher seinen Auftritt in der ORF-Diskussion „Im Zentrum“verfolgt? Hätte es sonst zuletzt in fast allen Medien Strache-Festspiele gegeben?

In den meisten anderen vergleichb­aren Staaten wäre ein Politiker nach Aussagen, wie sie Strache auf der spanischen Insel von sich gegeben hat, in der Versenkung verschwund­en, auch wenn er sich noch so bemüht hätte, aus dieser wieder aufzutauch­en. Nicht so in Österreich. Hier drängt einer, dem ganz offensicht­lich jede Ahnung von Schuld und Scham fehlt, auf Bühnen, die ihm diverse Medien willfährig zimmern.

Herr Bundespräs­ident, wir sind offenbar so. Anders ist es nicht zu erklären, dass die auflagenst­ärkste Zeitung des Landes, die Strache in der Finca noch unter seine Kontrolle bringen und zum Instrument seines Wahlerfolg­s 2017 machen wollte, ihn und seine Frau nicht nur mit einem Schönbild auf die Titelseite der Sonntagsbe­ilage hievte, sondern auch ein vierseitig­es PR-Interview widmete. Darin wurde die einfachste journalist­ische Grundregel missachtet. Strache gab Folgendes von sich: „Betrunken war ich sicher nicht.“War er es bei seinem Rücktritt als Vizekanzle­r, als er das Ganze als „b’soffene G’schicht“abgetan hat? Die Journalist­in sparte sich den Hinweis und die Nachfrage.

Die Ereignisse der vergangene­n Woche erinnern frappant an die 1990er-Jahre. Versucht man jetzt zu ergründen, warum manche Medien so bereitwill­ig das politische Geschäft Straches, also jenes mit der Abspaltung der Partei, der eigenen Liste und den Ambitionen für die Gemeindera­tswahl in Wien im Oktober, betreiben, erhält man ähnliche Antworten wie seinerzeit im medialen Hype um Jörg Haider: Es gehe darum, den Politiker zu „entlarven“; man sei ohnehin kritisch in den Kommentare­n – und, Sie wissen ja, das Interesse der Konsumente­n, die Quoten im Fernsehen eben, die Klicks in der digitalen Medienwelt heute.

Sie erinnern aber auch an das Jahr 2013 und Frank Stronach. Auch der AustroKana­dier und sein kurioses Team wurden von einer Welle unverhältn­ismäßig medialer Aufmerksam­keit auf die Abgeordnet­enbänke des Nationalra­ts getragen, nur um dort für viel Steuergeld keinen Beitrag zu leisten.

Bei Haider wie bei Stronach wurde bei jeder noch so abstrusen Handlung oder Aussage immer mit der Informatio­nspflicht argumentie­rt. Richtig! Allein, zwischen kurzen Meldungen, mit denen man dieser Pflicht gerecht werden kann, und überdimens­ionierten Beiträgen, die Inhalt und Wert der Informatio­n nicht entspreche­n, liegen Welten. Zwischen Verschweig­en und Hochpusche­n auch.

Und jetzt also Strache. Wir alle sind vielleicht nicht so, Herr Präsident. Doch genügend viele, die besoffene Geschichte­n, blödes Gerede und Dummheit bei Politikern für harmlos halten. Einer von uns, einer von ihnen? Genügend viele eben, die sich nicht darum kümmern, was in der Politik geht und was nicht. Vielleicht ist Österreich doch so.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin: Anneliese Rohrer ist Journalist­in in Wien. diepresse.com/rohrer

Am Montag in „Quergeschr­ieben“: Gudula Walterskir­chen

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VON ANNELIESE ROHRER

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