Auf der Jagd nach neuen Kratern
Die Suche nach den Einschlagstellen von Meteoriten ist mühsam und zeitaufwendig – nur 199 Krater wurden bisher auf der Erde gefunden. In einem neuen „Citizen Science“-Projekt kann nun jeder von zu Hause aus mithelfen.
Bei seiner jüngsten Expedition zu Jahresbeginn landete Ludovic Ferri`ere für fünf Tage im Gefängnis. Der Geologe des Naturhistorischen Museums in Wien war in Gabun, nahe der Grenze zum Kongo, auf der Suche nach einem Meteoritenkrater und wurde (laut GPS zu Unrecht) beschuldigt, auf kongolesisches Staatsgebiet eingedrungen zu sein – ohne Visum und den örtlichen Autoritäten ausgeliefert fand er sich kurze Zeit später in einer Zelle in Kinshasa wieder. „Das war die unangenehmste Erfahrung bisher, zeigt aber, wie mühsam und umständlich die Suche nach Kratern sein kann. Oft befinden sie sich in sehr abgelegenen und schwer zugänglichen Regionen.“
Kosmisches Bombardement
Exakt 199 Krater sind bisher bekannt, die meisten davon in Europa, Nordamerika und Australien, denn hier wurde das Terrain seit Jahrzehnten erkundet und ausgiebig erforscht. Ein kurzer Blick auf den Mond genügt jedoch, um zu ahnen, dass es weltweit noch wesentlich mehr Einschlagstellen geben muss. „Die Erde hat in den vergangenen viereinhalb Milliarden Jahren das gleiche kosmische Bombardement durchgemacht wie der Mond“, so Ferri`ere. „Zwar sind durch Plattentektonik, Erosion und Vegetation viele der Krater, die oft Hunderte Millionen Jahre alt sind, wieder verschwunden, doch es gibt sicher noch unzählige unentdeckte da draußen.“
Um sie zu finden, braucht es zunächst den Blick von oben: Satellitenbilder sind das wichtigste Werkzeug des Wissenschaftlers. Neue potenzielle Meteoritenkrater erkennt man an ihrer kreisförmigen Struktur, doch es braucht dazu mehr als die gängige Kartensoftware großer Internetkonzerne. „Wir arbeiten mit der sogenannten Schummerung, bei der das Relief einer Landschaft hervorgehoben wird“, erklärt Ferri`ere. Bei dieser Technik werden Schatten in die Karten hineingerechnet, wie sie ein immer gleiches, schräg einfallendes Licht aus Nordwesten verursachen würde. So kann man mit ein bisschen Übung sofort zwischen Erhebungen und Vertiefungen unterscheiden: Erstere werfen einen Schatten links unten, Zweitere dagegen rechts oben.
Bisher sind etwa sechs Prozent der Landmasse mit dieser Methode auf potenzielle Meteoritenkrater abgesucht – ein Großteil wartet also noch auf seine Entdeckung. Um dies voranzutreiben, hat das Naturhistorische Museum in Wien gemeinsam mit verschiedenen französischen Forschungseinrichtungen das Projekt „Vigie Crat`ere“ins Leben gerufen, das es Laien ermöglicht, sich an der Erforschung von Meteoritenkratern zu beteiligen ( www.vigie-cratere.org). Als angemeldeter User bekommt man auf der Online-Plattform, an der auch Ferri`ere mitgewirkt hat, zufällig ausgewählte, geschummerte Kartenausschnitte vorgesetzt und kann sie nach Strukturen absuchen, die wie Krater aussehen.
sind Himmelskörper, die sich in einer Umlaufbahn um die Sonne bewegen und kleiner als Zwergplaneten (ca. 1000 Kilometer Durchmesser), aber größer als Meteoroiden (Millimeter- bis Meterbereich) sind.
sind alle Objekte, die sich um die Sonne drehen und kleiner als Asteroiden, aber größer als interplanetarer Staub sind.
sind Asteroide oder Meteoroide, die nicht zur Gänze in der Atmosphäre verglühen und die Erdoberfläche erreichen.
„Gerade durch die Ausgangsbeschränkungen sahen wir eine große Beteiligung. Manche Benutzer der Plattform haben uns geschrieben, dass sie regelrecht süchtig nach der Kratersuche geworden sind“, freut sich der Forscher.
Einschlag schmilzt Gestein
Es gebe unter den von Laien gefundenen Strukturen auch schon einige heiße Kandidaten. Doch um das zu bestätigen, muss man nach wie vor an Ort und Stelle sein und Proben nehmen, betont Ferri`ere – was auch der Grund für seine Expedition nach Gabun vor einigen Monaten war. Denn im Feld kommt seine eigentliche Expertise zum Tragen: Sein Spezialgebiet sind sogenannte Schockquarze, die beim Einschlag der Himmelskörper entstehen. „Wenn ein Asteroid (s. Lexikon, Anm.) mit kosmischen Geschwindigkeiten von 20.000 bis 75.000 Kilometern pro Sekunde auf die Erde trifft, erzeugt er gigantische Schockwellen, die den Himmelskörper verdampfen und das Gestein im Krater schmelzen.“
Dabei entstehen Strukturen in den Mineralien, die sich unter dem Mikroskop nachweisen lassen und einen eindeutigen Beweis für den Einschlag liefern. Doch die Schockquarze erodieren auch als Erstes und sind besonders bei alten Kratern nur schwer zu finden. Der endgültige Beweis, dass eine geologische Struktur tatsächlich ein Meteoritenkrater ist, kann daher mitunter Jahrzehnte dauern.
Umso wichtiger sei daher die Hilfe der Laien, so Ferri`ere, denn je mehr „Kandidaten“man untersuchen kann, desto eher finden sich darunter auch echte Meteoritenkrater, die für Geologen einmalige Einblicke in die Entstehungsgeschichte unserer Erde bieten.