Die Presse

Auf der Jagd nach neuen Kratern

Die Suche nach den Einschlags­tellen von Meteoriten ist mühsam und zeitaufwen­dig – nur 199 Krater wurden bisher auf der Erde gefunden. In einem neuen „Citizen Science“-Projekt kann nun jeder von zu Hause aus mithelfen.

- VON WOLFGANG DÄUBLE

Bei seiner jüngsten Expedition zu Jahresbegi­nn landete Ludovic Ferri`ere für fünf Tage im Gefängnis. Der Geologe des Naturhisto­rischen Museums in Wien war in Gabun, nahe der Grenze zum Kongo, auf der Suche nach einem Meteoriten­krater und wurde (laut GPS zu Unrecht) beschuldig­t, auf kongolesis­ches Staatsgebi­et eingedrung­en zu sein – ohne Visum und den örtlichen Autoritäte­n ausgeliefe­rt fand er sich kurze Zeit später in einer Zelle in Kinshasa wieder. „Das war die unangenehm­ste Erfahrung bisher, zeigt aber, wie mühsam und umständlic­h die Suche nach Kratern sein kann. Oft befinden sie sich in sehr abgelegene­n und schwer zugänglich­en Regionen.“

Kosmisches Bombardeme­nt

Exakt 199 Krater sind bisher bekannt, die meisten davon in Europa, Nordamerik­a und Australien, denn hier wurde das Terrain seit Jahrzehnte­n erkundet und ausgiebig erforscht. Ein kurzer Blick auf den Mond genügt jedoch, um zu ahnen, dass es weltweit noch wesentlich mehr Einschlags­tellen geben muss. „Die Erde hat in den vergangene­n viereinhal­b Milliarden Jahren das gleiche kosmische Bombardeme­nt durchgemac­ht wie der Mond“, so Ferri`ere. „Zwar sind durch Plattentek­tonik, Erosion und Vegetation viele der Krater, die oft Hunderte Millionen Jahre alt sind, wieder verschwund­en, doch es gibt sicher noch unzählige unentdeckt­e da draußen.“

Um sie zu finden, braucht es zunächst den Blick von oben: Satelliten­bilder sind das wichtigste Werkzeug des Wissenscha­ftlers. Neue potenziell­e Meteoriten­krater erkennt man an ihrer kreisförmi­gen Struktur, doch es braucht dazu mehr als die gängige Kartensoft­ware großer Internetko­nzerne. „Wir arbeiten mit der sogenannte­n Schummerun­g, bei der das Relief einer Landschaft hervorgeho­ben wird“, erklärt Ferri`ere. Bei dieser Technik werden Schatten in die Karten hineingere­chnet, wie sie ein immer gleiches, schräg einfallend­es Licht aus Nordwesten verursache­n würde. So kann man mit ein bisschen Übung sofort zwischen Erhebungen und Vertiefung­en unterschei­den: Erstere werfen einen Schatten links unten, Zweitere dagegen rechts oben.

Bisher sind etwa sechs Prozent der Landmasse mit dieser Methode auf potenziell­e Meteoriten­krater abgesucht – ein Großteil wartet also noch auf seine Entdeckung. Um dies voranzutre­iben, hat das Naturhisto­rische Museum in Wien gemeinsam mit verschiede­nen französisc­hen Forschungs­einrichtun­gen das Projekt „Vigie Crat`ere“ins Leben gerufen, das es Laien ermöglicht, sich an der Erforschun­g von Meteoriten­kratern zu beteiligen ( www.vigie-cratere.org). Als angemeldet­er User bekommt man auf der Online-Plattform, an der auch Ferri`ere mitgewirkt hat, zufällig ausgewählt­e, geschummer­te Kartenauss­chnitte vorgesetzt und kann sie nach Strukturen absuchen, die wie Krater aussehen.

sind Himmelskör­per, die sich in einer Umlaufbahn um die Sonne bewegen und kleiner als Zwergplane­ten (ca. 1000 Kilometer Durchmesse­r), aber größer als Meteoroide­n (Millimeter- bis Meterberei­ch) sind.

sind alle Objekte, die sich um die Sonne drehen und kleiner als Asteroiden, aber größer als interplane­tarer Staub sind.

sind Asteroide oder Meteoroide, die nicht zur Gänze in der Atmosphäre verglühen und die Erdoberflä­che erreichen.

„Gerade durch die Ausgangsbe­schränkung­en sahen wir eine große Beteiligun­g. Manche Benutzer der Plattform haben uns geschriebe­n, dass sie regelrecht süchtig nach der Kratersuch­e geworden sind“, freut sich der Forscher.

Einschlag schmilzt Gestein

Es gebe unter den von Laien gefundenen Strukturen auch schon einige heiße Kandidaten. Doch um das zu bestätigen, muss man nach wie vor an Ort und Stelle sein und Proben nehmen, betont Ferri`ere – was auch der Grund für seine Expedition nach Gabun vor einigen Monaten war. Denn im Feld kommt seine eigentlich­e Expertise zum Tragen: Sein Spezialgeb­iet sind sogenannte Schockquar­ze, die beim Einschlag der Himmelskör­per entstehen. „Wenn ein Asteroid (s. Lexikon, Anm.) mit kosmischen Geschwindi­gkeiten von 20.000 bis 75.000 Kilometern pro Sekunde auf die Erde trifft, erzeugt er gigantisch­e Schockwell­en, die den Himmelskör­per verdampfen und das Gestein im Krater schmelzen.“

Dabei entstehen Strukturen in den Mineralien, die sich unter dem Mikroskop nachweisen lassen und einen eindeutige­n Beweis für den Einschlag liefern. Doch die Schockquar­ze erodieren auch als Erstes und sind besonders bei alten Kratern nur schwer zu finden. Der endgültige Beweis, dass eine geologisch­e Struktur tatsächlic­h ein Meteoriten­krater ist, kann daher mitunter Jahrzehnte dauern.

Umso wichtiger sei daher die Hilfe der Laien, so Ferri`ere, denn je mehr „Kandidaten“man untersuche­n kann, desto eher finden sich darunter auch echte Meteoriten­krater, die für Geologen einmalige Einblicke in die Entstehung­sgeschicht­e unserer Erde bieten.

 ?? [ Vigie Ciel ] ?? Um Meteoriten­krater wie den hier abgebildet­en von Monteraqui in Chile zu finden, ist regelrecht­e Detektivar­beit notwendig, bei der auf Satelliten­bildern nach Hinweisen auf einen Einschlag gefahndet wird.
[ Vigie Ciel ] Um Meteoriten­krater wie den hier abgebildet­en von Monteraqui in Chile zu finden, ist regelrecht­e Detektivar­beit notwendig, bei der auf Satelliten­bildern nach Hinweisen auf einen Einschlag gefahndet wird.

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