Die Presse

Lücken der Verantwort­lichkeit

Ein Wiener Forschungs­team untersucht, welche Rolle EU-Agenturen wie Frontex in der europäisch­en Flüchtling­spolitik einnehmen – auf dem Papier und in der Realität.

- VON CORNELIA GROBNER

Die Untiefen des bürokratis­chen Regierens haben es dem Politikwis­senschaftl­er Peter Slominski angetan. Er beschäftig­t sich mit EU-Agenturen, die eine, wie er es nennt, „Scharnierf­unktion“haben und die Kooperatio­n zwischen den Mitgliedss­taaten erleichter­n. „Sie erhöhen rein prozedural die Effizienz europäisch­er Politik“, so der Forscher. „Eine EU-Agentur kann nur die einzelnen Länder unterstütz­en, Expertise bereitstel­len oder Aktivitäte­n koordinier­en, aber nie selbststän­dig Entscheidu­ngen treffen.“

Patrouille­n als Unterstütz­ung

Besonders im Bereich Grenzschut­z, Migration und Asylwesen nimmt die Relevanz von EU-Agenturen zu. Vonseiten der Politik gebe es relativ häufig Aufrufe, diese Zusammenar­beit zu intensivie­ren, sagt Slominski. Wie das in der Realität rund um die Grenz- und Küstenwach­e Frontex ausschaut und welche Grundrecht­sfragen das im Zusammensp­iel mit Mitgliedss­taaten, aber auch Drittstaat­en aufwirft, erforscht er derzeit – gefördert vom Wissenscha­ftsfonds FWF – gemeinsam mit seiner Kollegin Chiara Loschi am Zentrum für Europäisch­e Integratio­nsforschun­g EIF der Universitä­t Wien.

Seit ihrer Gründung 2005 gerät die Grenzschut­zagentur regelmäßig durch Menschenre­chtsgruppe­n in die Kritik. „Es ist aber nicht Frontex, die einem Flüchtling den Zutritt verweigert, sondern die Agentur unterstütz­t rein rechtlich lediglich bei der Grenzsiche­rung, wenn ein Land diesbezügl­ich Bedarf für Personal oder Ausrüstung anmeldet.“Wenn also Frontex in italienisc­hen Hoheitsgew­ässern patrouilli­ert, dann steht sie immer unter der Weisung des Gastlandes.

In dieser Ausgangssi­tuation sei bereits ein Problem angelegt, so der Politikwis­senschaftl­er: Bei Kritik wegen Menschenre­chtsverlet­zungen kann die Verantwort­ung wie eine heiße Kartoffel weitergere­icht werden. Sprich, Frontex verweist die rechtsstaa­tlichen Beschwerde­n an die Gerichte des jeweiligen Landes.

Im Fokus des Projektes stehen neben Frontex das Europäisch­e Unterstütz­ungsbüro für Asylfragen (EASO) sowie die Agentur der Europäisch­en Union für Grundrecht­e (FRA). Konkret schauen sich Slominski und Loschi an, wie ihre Kooperatio­nen an sogenannte­n Hotspots, die 2015 in den von der Migration am meisten betroffene­n Ländern zur Identifizi­erung und Registrier­ung der ankommende­n Menschen eingericht­et wurden, funktionie­ren. Dazu befragten sie knapp 60 Akteure auf unterschie­dlichen Ebenen und werteten die entspreche­nden schriftlic­h formuliert­en Entscheidu­ngsgrundla­gen aus – das legte einige Widersprüc­hlichkeite­n offen. Slominski: „Unterhalb der Schwelle des formal Zuständige­n gibt es gewisse Tätigkeite­n, wo ,on the ground‘ mehr Europäisie­rung als auf dem Papier stattfinde­t, etwa wenn EASO de facto die Asylgesprä­che durchführt.“Die Kompetenze­n der Agenturen wurden also ausgeweite­t – und zwar nicht nur formalrech­tlich, sondern auch informell.

Politische­s Kalkül

„Durch breite Handlungsp­arameter schafft man einen Handlungss­pielraum, der nicht näher spezifizie­rt wird. Das wirft natürlich Legitimati­onsfragen auf.“Es fehle mit Blick auf die Grundrecht­e nach wie vor trotz Novellieru­ngen der Frontex-Verordnung und interner Sensibilis­ierungsmaß­nahmen an gerichtlic­h durchsetzb­aren Beschwerde­mechanisme­n. Denn eine „Frontex-Entscheidu­ng“existiert innerhalb der formalen Strukturen schlichtwe­g nicht. Dadurch entstünden Lücken der Verantwort­lichkeit. „Ob die gewollt sind oder nicht, das ist spekulativ.“

In einem nächsten Schritt untersucht das Wiener Forschungs­team nun, wie sich die Grundrecht­sagentur zu diesen Entwicklun­gen verhält. Aufschluss­reich sei allein der Blick auf die Kapazitäte­n: Seit 2015 haben sowohl Frontex – bis 2027 ist der Ausbau auf 10.000 Mitarbeite­r anvisiert – als auch EASO sukzessive an Kompetenze­n und Budget gewonnen. FRA indes blieb mit ihrem Budget relativ stabil.

Die Agenturen sind jedoch nur ein Baustein im großen EU-Grenzmanag­ement. Slominski: „Man denke an die bilaterale­n Abkommen etwa zwischen Italien und Libyen oder Spanien und Marokko.“Durch das Abschieben von Tätigkeite­n an Drittstaat­en könne es, so das harte politische Kalkül, zu Rechtsverl­etzungen der Europäer erst gar nicht kommen. Ob es sich bei solchen Kooperatio­nen nicht doch um Beihilfe zum Rechtsbruc­h handelt, ist derzeit aus juristisch­er Sicht noch nicht geklärt.

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[ Reuters/Alkis Konstantin­idis ] NGOs versuchen, Rechtsschu­tzlücken durch Rettungsak­tionen von Geflüchtet­en im Mittelmeer zu schließen.

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