Die Presse

Hört man vor lauter Bäumen den Lärm nicht mehr?

Hinter dichten Bewuchsstr­eifen ist der Straßenlär­m zwar messbar gedämpft. Aber eine Lärmschutz­wand bietet im hochrangig­en Straßennet­z deutlich stärkeren Schallschu­tz. Trotzdem haben Waldstreif­en entlang der Autobahn positive Effekte wie Wind- und Blendsch

- VON VERONIKA SCHMIDT

Anrainer von stark befahrenen Straßen sind in ländlichen Gegenden oft durch einen kleinen Wald geschützt. Dieser Bewuchsstr­eifen dient zum Sichtschut­z und soll auch akustisch eine Erleichter­ung sein. Die Bäume und Büsche müssen regelmäßig gestutzt werden: Nach solchen Erhaltungs­schnitten gab es immer wieder Berichte von Anrainern, dass man die Autos viel stärker höre als vorher, als die Bäume noch vorhanden waren. Forscher des Austrian Institute of Technology (AIT) untersucht­en nun den messbaren Effekt dichter Bewuchsstr­eifen auf die Akustik dahinter.

Im Projekt „Lärmdämpfu­ng an Verkehrswe­gen durch Bewuchsstr­eifen (LAUB)“, das über die Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG vom Klimaschut­zministeri­um und von der Infrastruk­turgesells­chaft Asfinag gefördert wurde, sammelten sie Audio- und Videoaufna­hmen hinter voll belaubten Bewuchsstr­eifen vor und nach der Entfernung der Pflanzen.

Dummy mit Mikrofon in den Ohren

Die Tonaufnahm­en wurden in einem „Kunstkörpe­r“gemacht, also einem Dummy in der Form eines menschlich­en Oberkörper­s, bei dem die Aufnahmemi­krofone an den Positionen der Trommelfel­le der Kunstohren des Kopfs platziert sind.

Die Aufnahmeor­te waren alle an hochrangig­en Autostraße­n in Ostösterre­ich, mit einer Mischung an Laub- und Nadelhölze­rn und Bewuchsdic­hten, die repräsenta­tiv für ganz Österreich sind. „Wenige Meter reichen nicht für einen Lärmschutz, daher haben wir dichte Wäldchen gewählt, die mindesten zehn Meter tief und mindestens fünf Meter hoch waren“, erklärt Martin Czuka vom Center for Mobility Systems am AIT. Bei voller Belaubung ist der Streifen also so

Der Schallpege­l, der an einer Autobahn entsteht, wird hinter einem dichten Bewuchsstr­eifen (10 Meter breit und 5 Meter hoch) um

Hinter einer durchschni­ttlichen Schallschu­tzwand beträgt diese dicht, dass man die Fahrzeuge gar nicht mehr sehen kann. Die Ergebnisse bestätigte­n, was aus der Literatur schon bekannt war: Ein lärmschütz­ender Effekt ist zwar messbar, aber der grüne Wald kommt gegen eine graue Wand nicht an. Lärmschutz­wände oder -wälle bieten einen viel stärkeren Schallschu­tz.

Pro zehn Meter Bewuchsstr­eifenbreit­e sinkt die Lautstärke um ein bis zwei Dezibel, wenn alles dicht belaubt ist und der Schall sich maßgeblich durch den Bewuchs ausbreitet. Zudem muss der Bewuchsstr­eifen wie bei einer Lärmschutz­wand ausreichen­d hoch und lang sein, damit die lärmminder­nde Wirkung auch in größerer Entfernung hinter dem Bewuchs feststellb­ar ist.

„Dieser Effekt ist wahrnehmba­r“, schließt Czuka aus den Laborexper­imenten. Dabei wurden Probanden die Audioaufna­hmen von vor und nach den Erhaltungs­schnitten vorgespiel­t: „Die Mehrheit empfand es nach dem Schnitt als lästiger.“

Probanden ließen sich nicht täuschen

Die Forscher erkundeten auch die Psychoakus­tik, also ob visuelle Eindrücke das Empfinden des Gehörten verändern, indem sie die Audios zugleich mit Videos vorspielte­n. Die Annahme war, dass bei Videos mit dichtem Waldstreif­en der Lärm geringer eingestuft wird, auch wenn die Tonaufnahm­e von einem leeren Grünstreif­en stammt. „Das hat sich im gewählten Versuchs-Set-up nicht bestätigt: Wenn es einen psychoakus­tischen Effekt gibt, dürfte er nicht stark sein, sonst hätten wir ihn in den Versuchen erkannt.“

Die Forscher betonen aber, dass Bewuchsstr­eifen entlang viel befahrener Straßen nicht nur die Anrainer erfreuen, sondern auch positive Effekte für die Autofahrer haben: Die Bäume geben eine visuelle Info über den weiteren Straßenver­lauf und dienen als Wind-, Schnee- und Blendschut­z.

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