Lieferung im Grätzel soll am selben Tag möglich sein
Wiener Forscher berechnen, wie viele Mini-Logistikstandorte an welchen Stellen sinnvoll sind, um regionale Zustellungen aller Art effizient zu meistern. So werden Transportwege reduziert und die Endkunden per Lastenfahrrad klimaschonend erreicht.
Während der Coronakrise haben viele Menschen erstmals Lebensmittel und Waren online bestellt: Die Sendungsmenge in Österreich stieg bisher jährlich um zehn bis 15 Prozent und hat sich seit März mindestens verdoppelt.
Dabei verstärkte sich der Trend, regionale Händler zu bevorzugen, anstatt sein Geld in die Big Player des Onlineversands zu stecken. Ein Forscherteam von der WU Wien, dem Austrian Institute of Technology (AIT), der Gredata-Unternehmensberatung und weiteren Projektpartnern arbeitet seit zwei Jahren an einem Logistiksystem, das für lokale Händler große Vorteile bietet.
Das Projekt „Koop Hubs“, finanziert von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG, untersucht, wie man Wien mit einem Netz von Mikro-Hubs (siehe Lexikon) überziehen kann, die für viele Pakete und Zustellungen den Umweg über die großen Verteilerzentren außerhalb der Stadt ersparen. „Die Online-Nahversorgung und unsere Idee, den regionalen Händlern eine ökologische und ökonomische Logistikplattform zur Verfügung zu stellen, gewinnt an Bedeutung: Jetzt in der Krise – und in zukünftigen Krisen – hätte das System geholfen, dass kleine
Händler auch bei einem Lockdown weiterhin ihre Kunden beliefern können“, erklärt Sebastian Kummer, der das FFG-Projekt und das Institut für Transportwirtschaft und Logistik an der WU leitet.
Als wichtiger Partner sind in dem Projekt die Österreichische Post AG beteiligt und verschiedene Paketzustelldienste eingebunden: Ihre technische Erfahrung aus der Praxis liefert die Basis für die Computersimulationen der Forscher, die berechnen, von welchen Faktoren es abhängt, dass ein Mikro-Hub-Netzwerk erfolgreich sein kann. Bei der Datenerhebung wurden Klein- und Mittelbetriebe des Handels und die Bewohner Wiens befragt, was für sie bei der Bestellung und Lieferung von Waren aller Art wichtig ist.
Wien als Vorbild für Städte weltweit
Wien eignet sich gut als Modellstadt, um Abläufe durchzuspielen, die später auch in anderen Städten und Ländern eingesetzt werden können. „Obwohl die Idee von MikroHubs in Kombination mit Lastenfahrrädern nichts Neues ist, sticht unser Vorhaben durch die umfassende Einbindung aller Beteiligten hervor: Denn das Ziel ist, dass die bisher schon bestehenden Paketströme in jedem Bezirk oder Grätzel mit denen gebündelt werden, die durch lokale Zustellung kurzfristig auftauchen“, sagt Projektmitarbeiter Marko Hribernik.
Einer der wichtigsten Wünsche der Kunden ist die Lieferung am selben Tag oder spätestens am nächsten. Als Beispiel nennt er, dass eine Torte aus der Alserstraße in ein Büro im neunten Bezirk geliefert werden soll: „Das kann man nicht über ein großes Verteilerzentrum machen.“Auch Blumen oder andere fragile Sendungen wären bei langen Wegen und grober Behandlung in großen Logistikzentren gefährdet. „Die Torte würde zum Mikro-Hub im neunten Bezirk gehen und von dort an das Büro per Lastenfahrrad zugestellt: Das Paket muss den Bezirk nie verlassen.“Die Torte würde aber nicht allein durch den Bezirk reisen, sondern der Fahrradbote nimmt aus dem Mikro-Hub weitere Sendungen mit, die in der Nähe des Büros liegen. Egal, ob es das Geschenk der Oma aus Salzburg oder die Gewandlieferung eines Versandhauses ist: Der Weg zum Endkunden geschieht gebündelt – emissions- und lärmfrei.
Netzwerk senkt Kosten der Einzelnen
Die Forscher analysieren nun bisherige Paketströme in den Bezirken, füttern die Computer mit Daten der Bevölkerung in den
Grätzeln (Altersstruktur und Einkaufsverhalten) und erstellen Modelle, die für Kurierexpresse und Paketdienste ebenso sinnvoll sind wie für regionale Händler im Bezirk oder Bauern und Betriebe außerhalb von Wien. So sollen die Lieferkosten für alle gering gehalten werden.
Bisher vermitteln die Big Player im Onlinehandel den Kunden nämlich, dass eine Zustellung nichts kostet – was für Klein- und Mittelbetriebe heute natürlich nicht stimmt. Aber über das Mikro-Hub-Netzwerk verteilen sich die Kosten auf zahlreiche Teilnehmer und sinken so für jeden Einzelnen.
sind kleine Depots, die als MiniLogistik-Standorte Pakete und Sendungen sammeln. Von dort erfolgt die „letzte Meile“, die für viele Logistikdienstleister herausfordernd ist, zum Endkunden: per Lastenfahrrad oder Bote umweltfreundlich und flexibel. Im FFG-Projekt „Koop Hubs“sind z. B. Erdgeschoßräumlichkeiten vorgesehen mit 50 bis 150 m2, wo Zustelldienste die Lieferungen für das jeweilige Grätzel abgeben und Fahrradboten die nahe gelegenen Endkunden beliefern. MikroHubs könnten auch eine soziale Funktion haben, etwa als Logistikknoten für Tausch- und Verleihbörsen von Haushaltsgeräten und Werkzeugen.