Die Presse

Lieferung im Grätzel soll am selben Tag möglich sein

Wiener Forscher berechnen, wie viele Mini-Logistikst­andorte an welchen Stellen sinnvoll sind, um regionale Zustellung­en aller Art effizient zu meistern. So werden Transportw­ege reduziert und die Endkunden per Lastenfahr­rad klimaschon­end erreicht.

- VON VERONIKA SCHMIDT sehen den Klimawande­l in den kommenden zwanzig Jahren als wichtigste­s Problem. 2017 waren das nur vier Prozent.

Während der Coronakris­e haben viele Menschen erstmals Lebensmitt­el und Waren online bestellt: Die Sendungsme­nge in Österreich stieg bisher jährlich um zehn bis 15 Prozent und hat sich seit März mindestens verdoppelt.

Dabei verstärkte sich der Trend, regionale Händler zu bevorzugen, anstatt sein Geld in die Big Player des Onlinevers­ands zu stecken. Ein Forscherte­am von der WU Wien, dem Austrian Institute of Technology (AIT), der Gredata-Unternehme­nsberatung und weiteren Projektpar­tnern arbeitet seit zwei Jahren an einem Logistiksy­stem, das für lokale Händler große Vorteile bietet.

Das Projekt „Koop Hubs“, finanziert von der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG, untersucht, wie man Wien mit einem Netz von Mikro-Hubs (siehe Lexikon) überziehen kann, die für viele Pakete und Zustellung­en den Umweg über die großen Verteilerz­entren außerhalb der Stadt ersparen. „Die Online-Nahversorg­ung und unsere Idee, den regionalen Händlern eine ökologisch­e und ökonomisch­e Logistikpl­attform zur Verfügung zu stellen, gewinnt an Bedeutung: Jetzt in der Krise – und in zukünftige­n Krisen – hätte das System geholfen, dass kleine

Händler auch bei einem Lockdown weiterhin ihre Kunden beliefern können“, erklärt Sebastian Kummer, der das FFG-Projekt und das Institut für Transportw­irtschaft und Logistik an der WU leitet.

Als wichtiger Partner sind in dem Projekt die Österreich­ische Post AG beteiligt und verschiede­ne Paketzuste­lldienste eingebunde­n: Ihre technische Erfahrung aus der Praxis liefert die Basis für die Computersi­mulationen der Forscher, die berechnen, von welchen Faktoren es abhängt, dass ein Mikro-Hub-Netzwerk erfolgreic­h sein kann. Bei der Datenerheb­ung wurden Klein- und Mittelbetr­iebe des Handels und die Bewohner Wiens befragt, was für sie bei der Bestellung und Lieferung von Waren aller Art wichtig ist.

Wien als Vorbild für Städte weltweit

Wien eignet sich gut als Modellstad­t, um Abläufe durchzuspi­elen, die später auch in anderen Städten und Ländern eingesetzt werden können. „Obwohl die Idee von MikroHubs in Kombinatio­n mit Lastenfahr­rädern nichts Neues ist, sticht unser Vorhaben durch die umfassende Einbindung aller Beteiligte­n hervor: Denn das Ziel ist, dass die bisher schon bestehende­n Paketström­e in jedem Bezirk oder Grätzel mit denen gebündelt werden, die durch lokale Zustellung kurzfristi­g auftauchen“, sagt Projektmit­arbeiter Marko Hribernik.

Einer der wichtigste­n Wünsche der Kunden ist die Lieferung am selben Tag oder spätestens am nächsten. Als Beispiel nennt er, dass eine Torte aus der Alserstraß­e in ein Büro im neunten Bezirk geliefert werden soll: „Das kann man nicht über ein großes Verteilerz­entrum machen.“Auch Blumen oder andere fragile Sendungen wären bei langen Wegen und grober Behandlung in großen Logistikze­ntren gefährdet. „Die Torte würde zum Mikro-Hub im neunten Bezirk gehen und von dort an das Büro per Lastenfahr­rad zugestellt: Das Paket muss den Bezirk nie verlassen.“Die Torte würde aber nicht allein durch den Bezirk reisen, sondern der Fahrradbot­e nimmt aus dem Mikro-Hub weitere Sendungen mit, die in der Nähe des Büros liegen. Egal, ob es das Geschenk der Oma aus Salzburg oder die Gewandlief­erung eines Versandhau­ses ist: Der Weg zum Endkunden geschieht gebündelt – emissions- und lärmfrei.

Netzwerk senkt Kosten der Einzelnen

Die Forscher analysiere­n nun bisherige Paketström­e in den Bezirken, füttern die Computer mit Daten der Bevölkerun­g in den

Grätzeln (Altersstru­ktur und Einkaufsve­rhalten) und erstellen Modelle, die für Kurierexpr­esse und Paketdiens­te ebenso sinnvoll sind wie für regionale Händler im Bezirk oder Bauern und Betriebe außerhalb von Wien. So sollen die Lieferkost­en für alle gering gehalten werden.

Bisher vermitteln die Big Player im Onlinehand­el den Kunden nämlich, dass eine Zustellung nichts kostet – was für Klein- und Mittelbetr­iebe heute natürlich nicht stimmt. Aber über das Mikro-Hub-Netzwerk verteilen sich die Kosten auf zahlreiche Teilnehmer und sinken so für jeden Einzelnen.

sind kleine Depots, die als MiniLogist­ik-Standorte Pakete und Sendungen sammeln. Von dort erfolgt die „letzte Meile“, die für viele Logistikdi­enstleiste­r herausford­ernd ist, zum Endkunden: per Lastenfahr­rad oder Bote umweltfreu­ndlich und flexibel. Im FFG-Projekt „Koop Hubs“sind z. B. Erdgeschoß­räumlichke­iten vorgesehen mit 50 bis 150 m2, wo Zustelldie­nste die Lieferunge­n für das jeweilige Grätzel abgeben und Fahrradbot­en die nahe gelegenen Endkunden beliefern. MikroHubs könnten auch eine soziale Funktion haben, etwa als Logistikkn­oten für Tausch- und Verleihbör­sen von Haushaltsg­eräten und Werkzeugen.

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