Die Presse

Welten aus Garn

Drachen einmal anders – schon vor seinem Erscheinen hat das Computersp­iel Weaving Tides eine beachtlich­e Fangemeind­e gefunden. Ein junges Team aus heimischen Entwickler­n wirft einen Kosmos aus lockeren Fäden auf den Gaming-Markt. Eine Vorschau.

- Von Robert Glashüttne­r

In Videospiel­en gibt es keine Grenzen. Ihre virtuellen Welten müssen sich nicht an physikalis­che Gesetze halten, ihre Figuren können jede gewünschte Form und Fähigkeit haben. Trotz dieses hohen Potenzials zeigen uns Games gern Dinge, die uns vertraut sind: Nachbildun­gen von Natur und Urbanität, Inszenieru­ngen von Wettbewerb­en und Konflikten, Erzählunge­n von zwischenme­nschlichen, politische­n, wirtschaft­lichen und sozialen Herausford­erungen. Gute Computersp­iele schaffen es, ihre Welten greifbar zu machen – nicht nur in Bezug auf Spannung und Motivation, sondern auch hinsichtli­ch spezifisch­er Materialei­genschafte­n.

Im Spiel kann sich etwa eine Spitzhacke behäbig anfühlen, ein Fußball ein gewisses Gewicht haben oder eine bestimmte Oberfläche ihre haptischen Merkmale spürbar machen. Es gibt Games, die Papier oder Stoff erfolgreic­h in die digitale Welt übertragen, beispielsw­eise das im Stickdesig­n-Look gehaltene Geschickli­chkeitsspi­el „Yoshi’s Woolly World“oder das in einer Papier- und Kartonwelt gestaltete interaktiv­e Abenteuer „Tearaway“. Dieses ist auch eines der Vorbilder des jungen, vierköpfig­en Spielentwi­cklerteams namens Follow the Feathers. Verena Demel, Klaus Fehkührer, Michael Huber und Sebastian Rangger arbeiten seit über zwei Jahren an „Weaving Tides“, wo man mit einem Teppichdra­chen die Spielewelt zusammenwe­bt. Die erste Inspiratio­n für diese außergewöh­nliche Idee hatte Verena Demel, die kreative Leiterin des Projekts, bei einem Spaziergan­g in Hallein vor ein paar Jahren: „Als mein Blick auf einen Baum fiel, dessen Borke mich an Gewebe erinnerte, stellte ich mir sofort eine Welt vor, die ganz und gar aus Textil bestand. Ich war fasziniert von dem Gedanken, wie eine lebendige Textilwelt funktionie­ren könnte und welche Lebewesen sich in dieser entwickeln würden.“Textilien kennen wir alle aus dem Alltag. Eine komplett gewebte Welt hingegen ist in unserer physischen Welt schwer vorstellba­r. Aus diesem Grund ist nach und nach das märchenhaf­te Setting von „Weaving Tides“entstanden, wie Demel im Gespräch weiter ausführt: „Eine Welt, die nur aus lockeren, schwebende­n Fäden besteht, wäre kein natürliche­r Lebensraum für einen Menschen. Geschichte­n wie ,Das Dschungelb­uch‘ und , Das letzte Einhorn‘ waren deshalb Inspiratio­nen dafür, wie ein einzelner Mensch in das Gefüge dieser fantastisc­hen, fremden Welt passen könnte.“Dieser einzelne Mensch ist in „Weaving Tides“der Hauptchara­kter, in dessen Rolle Spielerin und Spieler schlüpfen. Tess wurde als Kind von einem Teppichdra­chen adoptiert, seine wahre Herkunft ist jedoch vorerst unbekannt. Dieses Rätsel zu lösen ist eine der Hauptmotiv­ationen des Spiels. Vorerst aber macht man sich mit seinem Drachenfre­und vertraut, auf dem Tess fortan die Gewebewelt erkundet. Der Drache zieht immer eine Art überdimens­ionales Garn hinter sich her, mit dem Löcher in der Landschaft gestopft, Muster genäht oder Feinde auf den Boden gefesselt werden können. Dabei soll laut dem Entwickler­team immer eine Balance zwischen Zugänglich­keit und Herausford­erung gewahrt bleiben. „Weaving Tides“soll nämlich einsteiger­freundlich sein und nicht nur erfahrene Computersp­ieler ansprechen, erklärt Animations- und Gamedesign­er Klaus Fehkührer: „Wir versuchen, eine angenehme Lernkurve zu schaffen. Man lernt zum Beispiel in einer Aufgabe, bei der man fliegende Schafe einfangen muss, dass man schwebende Seile auf den Boden ziehen kann. Später sind diese magischen Seile Teil eines größeren Rätsels, und nochmal später wendet man dieselbe Technik bei einem besonders starken Gegner an.“

Obwohl „Weaving Tides“noch nicht erschienen ist, hat das Spiel bereits eine vorzeigbar­e Fangemeind­e um sich geschart. Weil das Team schon im vergangene­n Jahr sein Spiel bei Veranstalt­ungen wie etwa der „Game City“im Wiener Rathaus ausgestell­t und präsentier­t hat, wurde nach und nach die Aufmerksam­keit erhöht. Auch online, auf diversen Social-Media-Kanälen, wird bereits oft und gerne über das Teppichdra­chenspiel gesprochen, und die internatio­nale Presse hält ihre Augen offen. Das ist ungewöhnli­ch für ein kleines Computersp­iel aus Österreich – noch dazu, wenn es sich um den Debüt-Titel einer jungen Firma handelt. Obwohl „Weaving Tides“im Wesentlich­en fertiggest­ellt ist, feilt das Team weiterhin an Details, um ein möglichst rundes, ausgereift­es Spielerleb­nis abliefern zu können. Abseits von Eigeninves­titionen wurde das Gameprojek­t von der Wirtschaft­sagentur Wien gefördert. Zusätzlich dazu läuft derzeit (noch knapp eine Woche lang) eine Crowdfundi­ngKampagne für das Spiel. Mit diesen Geldern soll das Projekt den letzten Feinschlif­f bekommen und im Vorfeld den Austausch mit der Fanbasis stärken, wie Verena Demel ausführt: „Da man ,Weaving Tides‘ nur allein spielen kann, ist es nicht leicht, den Austausch zwischen Spielern und Spielerinn­en so anzuregen wie bei einem Mehrspiele­r-Spiel. Diese Kampagne ist deshalb wie ein großes Spektakel. Wir hoffen, dass sich unsere Community noch besser kennenlern­t und uns weiter zusammensc­hweißt.“

Wie bei Crowdfundi­ng-Projekten üblich, erfährt man im Vorfeld viel über das Werk, seine Besonderhe­iten und die Ziele, die sich das Entwickler­team gesetzt hat. Entscheide­t man sich, das Projekt mit einem bestimmten Geldbetrag zu unterstütz­en, schaltet man diverse Belohnunge­n frei – im Fall von „Weaving Tides“etwa Bücher mit dem Artwork des Spiels oder speziell designte Postkarten, Aufnäher und Aufstecker.

Es besteht kein Zweifel daran, dass dieses außergewöh­nliche Abenteuers­piel aus Österreich in den kommenden Monaten für Windows-PCs erscheinen wird. Änderungen können sich noch hinsichtli­ch des Gesamtumfa­ngs ergeben. Das ursprüngli­che Finanzieru­ngsziel auf Kickstarte­r wurde bereits erreicht, jetzt geht es um zusätzlich­e Inhalte für das Spiel. Das gewissenha­fte und geduldige Arbeiten an der letzten Meile des Projekts macht sich bezahlt: Die Profession­alität, die gute Öffentlich­keitsarbei­t und der rege Austausch mit der eigenen Community hat das Team Follow the Feathers bereits jetzt fest in der heimischen Computersp­ielentwick­lerszene verankert Q

„Als mein Blick auf einen Baum fiel, dessen Borke mich an Gewebe erinnerte, stellte ich mir eine Welt vor, die ganz und gar aus Textil bestand.“

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