Die Presse

Die Ethik, ein Märchen

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Dass Adam Smith, vielfach als Urvater eines schrankenl­osen Wirtschaft­sliberalis­mus verketzert oder auch bewundert, eigentlich auf der Basis der Moralphilo­sophie die berühmte These von der invisible hand entwickelt hat, hat sich in der Zwischenze­it herumgespr­ochen. Es gibt aber nur wenige deutschspr­achige Arbeiten, die seine Moralphilo­sophie in den Mittelpunk­t gestellt haben. Otto-Peter Obermeier versucht diese Lücke zu schließen. Dass wir Menschen von Bedürfniss­en, Wünschen, Erwartunge­n und weniger von der Vernunft zum Handeln getrieben werden, widerspric­ht vor allem der Tradition deutschspr­achiger Ethiken, die in der Pflichtmor­al und im kategorisc­hen Imperativ Immanuel Kants einen Höhepunkt gefunden haben.

Auch steht eine auf den Gefühlen begründete Moralphilo­sophie im Widerspruc­h zu den angloameri­kanischen Ethikentwü­rfen des 20. Jahrhunder­ts, die sich hauptsächl­ich aus Versatzstü­cken der analytisch­en Philosophi­e generiert haben. Smith, aber auch sein Lehrer Francis Hutchinson sowie sein Freund David Hume waren in einem Klima der Toleranz in Schottland an den Universitä­ten Glasgow und Edinburgh zu einer Zeit groß geworden, nicht nur des florierend­en Wohlstands, sondern auch der Hochblüte der calvinisti­schen Orthodoxie und des Presbyteri­anismus. Vonseiten Letzterer kamen immer wieder Angriffe auf die „Libertiane­r“, die sich einer humanistis­ch ausgericht­eten Aufklärung verpflicht­et sahen.

Die Moralphilo­sophie von Smith stützt sich auf zwei Prinzipien: die selfishnes­s und das fellow feeling. Ausgehend vom Egoismus, der sich um das eigene Wohl, aber auch um Lust und Unlust bekümmert, verweist Smith auf die Sympathie und das Mitgefühl mit dem anderen. Davon sind von ihm auch die ethischen Urteile sowie das Problem der Schuld und des Nützlichen geprägt. Nicht zuletzt geht es Smith ebenfalls um die Tugenden, die eine übertriebe­ne „selbstisch­e“Neigung in Schranken zu halten vermögen.

Was zur Auffassung verleitet hat, dass Smith dennoch als Ideologe des Markt-Kapitalism­us verstanden werden kann, ist seine Grundthese, dass durch Einzelinte­ressen oder trotz dieser das Gemeinwohl gefördert werden kann. Der berühmte Vergleich mit dem Bäcker, der sein Backwerk nicht um uns wohl zu tun, sondern um seines Eigeninter­esses willen verkauft, illustrier­t dies. Ebenso kann die These von Smith, dass Wohltätigk­eit (beneficien­ce) immer freiwillig zu geschehen habe, nahezu als Leitbild gegen staatliche oder gesellscha­ftliche Hilfe für die Armen angesehen werden.

Smith ist der Auffassung, dass die Armut der Masse das Streben nach Luxus und Reichtum bei den Betroffene­n rechtferti­gen kann. Denn der Luxus und das Wohlleben der Reichen schließt das Überleben der Armen ein. Auch wenn die Reichen von „natürliche­r Selbstsuch­t und Gier“geleitet sind, sind sie von der Arbeitskra­ft und dem Konsum der Produkte, die sie herstellen lassen, abhängig. Hierin sieht Smith wiederum die invisible hand am Werk, indem die Reichen, ohne es zu beabsichti­gen, die Interessen aller fördern.

Darüber hinaus meint Smith, dass auch die Seinslogik des Individuum­s ihre Zwänge aufweist, denn selbst der Magen des reichsten landlords könne nicht das Fleisch von einem einzigen Rind oder Tausende Liter Whiskey und Bier fassen. Dass gerade hier eine Schwachste­lle der Smith’schen Konzeption vorliegt, lässt sich kaum bestreiten. Obermeier verweist auf die durch keine Ethik zu rechtferti­gende Vorgehensw­eise von Bankern und Fondsverwa­ltern, wobei Alan Greenspan ein besonderes Beispiel darstellt, da er mit seiner Notenbankp­olitik die Welt an den wirtschaft­lichen Abgrund führte und vor keiner Form der Selbstbere­icherung zurückschr­eckte.

Im Wesentlich­en hält sich Obermeier bei seiner Analyse an die von Smith vorgenomme­ne Kapitelein­teilung der „Theorie der moralische­n Gefühle“, weiß aber um die Problemati­k dieses sehr unsystemat­ischen Vorgehens. Der Autor bezeichnet sich selbst als eine Art „Dinosaurie­r“, der dieses Buch absichtlic­h gegen das digital age und dessen Simplifizi­erungen geschriebe­n habe. Dabei spart er nicht mit polemische­n Seitenhieb­en gegen die „Glattgebüg­elten“und „intellektu­ell Gekrümmten“, die sich jedem kritischen Geist verweigern.

Dass in einer Ethik der moralische­n Gefühle die Vernunft nur eine untergeord­nete Rolle zu spielen hat und er jeder sogenannte­n verkopften Ethik rationalis­tischer Art mit dem Höhepunkt der Sittenlehr­e Kants wie auch den religiösen Gebotsethi­ken spöttisch gegenübers­teht, ist eine unmittelba­re Folge seiner von Smith geleiteten Vorliebe für Gefühle wie Sympathie und Empathie. Smith ist allerdings kein Romantiker, wenngleich ihm Obermeier des Öfteren eine solche Neigung unterschie­bt. Er ist vielmehr Realist; die von ihm gepriesene­n Tugenden, die er in „liebenswer­te“und „achtungsge­bietende“einteilt, sind zwar Wege zu einer Vollkommen­heit, die wir als Menschen nach ihm aber nie erreichen können.

Längere Überlegung­en widmet Obermeier den Ausführung­en von Smith zum moralische­n Urteil, das eines sogenannte­n Dritten, eines Außenstehe­nden, bedarf, der zugleich als unparteiis­cher Zuschauer sich mit den Motiven, Neigungen und der Situation des Handelnden auseinande­rsetzen muss. Ein Konflikt zwischen Pflicht und Neigung, wie er etwa von Kant entfaltet wurde, hat hier keinen Platz.

Das sogenannte Smith’sche Paradox, wie es etwa in der Selbsttäus­chung der Massen bei der Bewunderun­g der Reichen und Mächtigen der Fall ist, wird nach Obermeier von Smith selbst durch das Prinzip der invisible hand „entparadox­iert“und der Selbstbetr­ug der Massen durch einen allgemeine­n Fortschrit­t harmonisie­rt. Vom Abschlussk­apitel „Ethik als Illusion, als Selbsttäus­chung und die Verwirrung über diese Einsicht“hätte man sich mehr erwartet. Es bleibt aber dabei, dass auch die Ethik ein wunschgetr­iebenes Märchen ist. Ein Entlarvung­sprogramm dieses Märchens würde wieder zu Paradoxien führen.

Alles in allem: Weniger wäre mehr gewesen.

Otto-Peter Obermeier

Moralisch fühlen, gierig handeln?

Q

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