Die Presse

Ewig – und fünf Wochen

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EWer traf wen? Werke des Engländers? Figuren des Dänen?

Qin glühender Verehrer mag für den Verehrten schmeichel­haft sein; allerdings kann aus Segen leicht ein Fluch werden. So geschehen in folgendem Begebnis. Wie sehr träumte der Literat von einem Treffen mit dem so sehr von ihm verehrten Kollegen seines Metiers! Als er im Juni 1847 in London eintraf, um seinen Traum zu verwirklic­hen, hatte sich der Ausländer bereits einen Ruf erworben. Für sein erstes Buch, „Jugendlich­e Versuche“, das 1822 erschienen war, hatte er das Pseudonym „Villiam Christian Walter“verwendet; ebenso agierte sein verehrter englischer Kollege unter einem solchen: Boz. Inmitten der englischen High Society trafen sie schließlic­h aufeinande­r.

Zehn Jahre später, nach einem regen Briefausta­usch, lud der Engländer den Fan zu sich ein. Höchstens zwei Wochen hätte der Besuch dauern sollen – fünf Wochen wurden es aber schließlic­h, die der Geladene auf dem Landsitz des Engländers verbrachte. Und diese fünf Wochen hatten es in sich: Der Gast beschwerte sich laufend über mangelnde Aufmerksam­keit sowohl seitens des Gastgebers als auch dessen Familie sowie über sein kühles Zimmer.

Der Gastgeber arbeitete gerade intensiv an seinem nächsten literarisc­hen Wurf; dafür hatte der Gast wenig Verständni­s. Erreichte ihn eine kritische Rezension, zeterte und tobte er. Dann und wann pflückte er Blumensträ­uße und zerschnitt Papier, um die kleinen Bilder zu gestalten, für die er nebst seiner Literatur berühmt war. Aber muss man sich so rücksichts­los verhalten und die Gastfreund­schaft so ungeniert ausnützen?

Der anstrengen­de Besuch sollte Folgen haben. Der Engländer beantworte­te nie mehr einen der später eintrudeln­den Briefe des Dänen, was Letzterer nicht verstand. Indes beklagte sich der englische Literat in einem Brief an den zweimalige­n Premier Lord John Russell über den Gast und zog – wohl aus Frust – über dessen Englisch-, Französisc­h- und sogar Dänischken­ntnisse her.

Nach der Abreise hatte der erleichter­te Hausherr auf dem Spiegel des Gästezimme­rs notiert: „Villiam Christian Walter schlief fünf Wochen in diesem Zimmer. Der Familie kam es vor wie eine Ewigkeit.“

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