Die Presse

Kommt raus aus euren Löchern!

Neustart. Schluss mit der Ausrede, es gäbe keine Jobs. Es gibt sie. Mit der Tänzelstra­tegie, der Suche nach dem Schmerz im Schuh und dem Heilsbring­eransatz findet man sie auch.

- VON ANDREA LEHKY

Knapp 54.000 offene Stellen auf der einen Seite. Auf der anderen 522.000 Arbeitssuc­hende und 1,1 Millionen Kurzarbeit­er, von denen viele ebenfalls um ihre Jobs bangen. „Die meisten fielen in eine Art Schockstar­re. Sie meinten, dass im Shutdown nichts weitergeht“, bedauert Karrierebe­rater Michael Hanschitz.

Jetzt fährt die Wirtschaft wieder hoch, und die Entscheide­r kehren in ihre Büros zurück. Die Ausrede, alles stehe still, fällt weg. Wie geht man vor, wenn man verunsiche­rt, deprimiert oder verzagt ist? Hanschitz packt die Sache pragmatisc­h an. Erste Frage: Was kann ich gut? Weil einem in desperaten Zeiten nicht viel einfällt, fragt man Freunde oder Kollegen. Oft bekommt man überrasche­nde Antworten. Talente, die einem selbstvers­tändlich scheinen, sind in deren Augen etwas Besonderes. Darauf lässt sich aufbauen – und sie gehören in den Lebenslauf.

Zweite Frage: Wie betroffen ist meine Branche? Lebensmitt­elhandel, Pharma, IT und Onlinebusi­ness sind die großen Krisengewi­nner. Wer hier seinen Job verlor, muss sich nur an den Mitbewerb wenden. Anders sieht es etwa mit Tourismus oder Fluglinien aus: „Hier muss ich mich fragen, welche meiner Kompetenze­n brauchen auch andere Branchen?“Hanschitz erzählt von einer Buchhalter­in 50+, die mit einer solchen Tänzelstra­tegie – von einer Branche in die andere tänzeln – mitten im Shutdown Erfolg hatte. Jetzt ist sie glückliche AMS-Beraterin. Mitarbeite­r aus Dienstleis­tungsbranc­hen wiederum sind wegen ihrer Kundenorie­ntierung bei Banken und Versicheru­ngen gern gesehen.

Nur drei von zehn Stellen werden öffentlich gemacht, alle anderen unter der Hand besetzt. Man kommt trotzdem an sie heran: Wenn man jemanden kennt, der jemanden kennt, der davon weiß.

Willkommen im Schattenma­rkt

BDO-Newplaceme­nt-Senior-Managerin Michaela Buttazzoni schwört auf die Kraft solcher Netzwerke. Voraussetz­ung allerdings ist, dass man bereits weiß, was man will. Also nicht etwa „Ich suche einen neuen Job. Kannst du mir helfen?“, sondern: „Ich interessie­re mich für die Energiebra­nche. Kannst du mir jemanden empfehlen, der mir Input geben kann?“

Genau hier bekommen viele sonst so überlegene Menschen Selbstzwei­fel. Sie trauen sich nicht. „Sie denken, sie seien Bittstelle­r. Das stimmt nicht. Sie sind spannende Gesprächsp­artner!“Die aufmerksam zuhören, herausfind­en, wo in dieser Branche/diesem Unternehme­n der Schuh drückt und worauf das Gegenüber anspringt. Geschickte bringen sich gleich selbst als Lösung ins Spiel.

Netzwerken wird oft fälschlich auf die Top-Ebene reduziert. „Einer meiner Klienten erwähnte bei seiner Friseurin, dass er Kontakt zu einer bestimmten Spedition sucht. Dort arbeitete deren Mann. Schon war die Tür offen.“Was uns zu einer weiteren guten Netzwerkfr­age führt: „Ich will genau zu dieser Firma. Kannst du mir die Rutsche legen?“

Heilsbring­eransatz

Alexander Norman, Newplaceme­nt-Berater seit 30 Jahren, überlässt den offenen Arbeitsmar­kt ganz den Jungen. Ältere, sagt er, müssten auf der herrschend­en Ungewisshe­it in den Unternehme­n aufbauen. „Die Firmen wissen, sie müssen ihre Geschäftsm­odelle anpassen. Aber sie wissen nicht, wie.“

Norman nennt es die Strategie des potenziell­en Stellenmar­kts: Aufgaben oder Jobs zu schaffen, die es in diesem Unternehme­n bisher noch nicht gab, die es aber braucht. Sich etwa als neuer Digitalisi­erungsoffi­cer anzubieten oder als ehemaliger Journalist für zwei Unternehme­n jeweils halbtags die PR zu erledigen, günstiger als deren Agentur es kann.

Dieser Weg führt nicht über die Personal-, sondern über die Fachabteil­ung. Und hier nicht über die Mitarbeite­r, sondern über den Fachvorges­etzten. Ungefährli­ch ist das nicht: Auch er bangt um seinen Job. Weshalb man seinem Wunsch nach einem fertigen Konzept nicht nachkommen sollte. Dann hört man nie wieder von ihm.

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Auf die Wirkung kommt es an: Ashoka-Chefin Raphaela Toncˇic´-Sorinj im Porträt. K3 Man muss nicht zusammen sein: Wie Kreativpro­zesse auch online gelingen. ................. K3

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