Cluster-Check als Schlüssel
Corona. Vom rechtzeitigen Entdecken und Eingrenzen eines Coronaclusters hängt es ab, ob die Lockerungen beibehalten bzw. ausgeweitet werden.
Vom raschen Entdecken hängt ab, ob Coronamaßnahmen gelockert werden können.
Wien. Gleich der erste Cluster der aktuellen Phase zwei in der Bekämpfung der Coronakrise, bestehend aus mindestens zwei Postzentren, einem Asylheim sowie einem Kindergarten in Wien und Niederösterreich, führte zu schweren politischen Konflikten – nicht nur zwischen Innenministerium und Stadt Wien, sondern auch innerhalb der Bundesregierung.
Der Druck, der auf den Verantwortlichen lastet, ist enorm. Auch ohne den bevorstehenden WienWahlkampf im Herbst, der seinen Schatten vorauswirft. Denn ein funktionierendes Cluster-Krisenmanagement ist die wichtigste Voraussetzung dafür, die Zeit bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffs in größtmöglicher Freiheit zu überbrücken.
1 Wie genau wird ein CoronavirusCluster definiert?
Das ist gar nicht so einfach und kann von Fall zu Fall variieren. Grundsätzlich wird als Cluster ein Netzwerk von Personen bezeichnet, die in irgendeiner Verbindung zueinander stehen. Betroffen sein kann eine Familie, ein Freundeskreis, Büro, Pflegeheim, Tennisklub, Kindergarten, aber auch ein ganzer Ort wie Ischgl. Von ebendort waren Infizierte unkontrolliert in mehrere Länder ausgereist.
Besteht eine Verbindung zwischen zwei oder mehreren Clustern, können diese auch zu einem größeren Cluster zusammengefasst werden. Ein Beispiel dafür sind ein Haushalt und eine Schule – mit einem Kind als Überträger. Oder wie im aktuellen Clusterfall in Wien und Niederösterreich die beiden Postzentren, das Asylquartier und der Kindergarten.
2 Warum ist das Finden des Patienten null so entscheidend?
Weil der Patient null der wichtigste Anhaltspunkt für das Contact-Tracing ist, also für die Ermittlung von Kontaktpersonen, um die Infektionskette lückenlos zurückzuverfolgen und zu unterbrechen. „Werden beispielsweise in einer Kanzlei fünf Menschen gleichzeitig positiv getestet, wäre es von großem Vorteil zu wissen, dass die erste infizierte Person vor Kurzem von einer Dienstreise zurückkam und sich dort angesteckt hat – Hinweise darauf kann der Beginn der Symptome liefern“, sagt Bernd Lamprecht, Vorstand der Klinik für Lungenheilkunde des Linzer Kepler Universitätsklinikums, der sich intensiv mit Infektionswegen beschäftigt. „Dann würde die Ermittlungsarbeit von dieser Person ausgehend beginnen, wie bei einem Stammbaum.“
Vergehen aber ein paar Tage, bis der Patient null gefunden wird, kann das passieren, was vor einigen Wochen in Wien passiert ist, als ein Mann aus Mailand zurückkam und in seinem Cluster, also in seiner Familie und in der Arbeit, 61 Menschen ansteckte.
3 Wie ist die Vorgehensweise nach dem ersten positiven Test?
Sobald jemand positiv getestet wird, versuchen Mitarbeiter der zuständigen Bezirkshauptmannschaften herauszufinden, wann die Symptome begannen. In den zwei Tagen vor und fünf Tagen nach Auftreten erster Beschwerden ist die Ansteckungsgefahr am größten, daher werden sämtliche Kontaktpersonen aus dieser Zeit ermittelt. Liegen keine Symptome vor, wird die ansteckende Phase geschätzt. Was aber nicht oft vorkommt, weil zumeist nur bei Beschwerden getestet wird.
Die Kontaktpersonen werden in zwei Kategorien unterteilt. In der ersten befinden sich diejenigen, zu denen der positiv Getestete engen Kontakt hatte – das können Familienmitglieder sein, die im selben Haushalt wohnen. Die zweite betrifft Personen, zu denen loser Kontakt bestand, in Frage kommen Arbeitskollegen aus einem Großraumbüro.
Jene der ersten Kategorie werden immer getestet und müssen sich unabhängig vom Ergebnis zwei Wochen lang in häusliche Quarantäne begeben. Schließlich ist ein negativer Test keine Garantie dafür, nicht infiziert zu sein – etwa dann, wenn die Übertragung erst vor ein, zwei Tagen erfolgte. Bei Kontaktpersonen der zweiten Kategorie hingegen genügt es, wenn sie ihren Zustand genau beobachten und bestimmte Risken wie etwa die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel meiden. Das gilt selbstverständlich nur für beschwerdefreie Personen. Wer Symptome hat, wird immer sofort getestet, die Kapazitäten dafür sind vorhanden.
Grundsätzlich verfolgt Österreich die 24-Stunden-Strategie. Das bedeutet, dass eine Person in den ersten 24 Stunden nach Symptombeginn getestet wird und innerhalb der nächsten 24 Stunden das Ergebnis vorliegt – um unverzüglich mit dem Contact-Tracing zu beginnen. „Im Idealfall wird ein Cluster drei Wochen nach der Ermittlung des Patienten null unter Kontrolle gebracht“, sagt Lamprecht „Die erste Woche vergeht mit der Suche der Kontaktpersonen sowie deren Testung, nach Möglichkeit auch mit Antikörpertests, um ihren Immunstatus zu bestimmen. Die beiden Wochen danach dienen der Quarantäne.“
4 Warum ist das Beherrschen von Clustern so wichtig?
Weil davon der Erfolg der Phase zwei abhängt. Einer Phase, in der es hauptsächlich um die rasche Eindämmung lokaler Ausbrüche geht – und darum, wie die Bevölkerung mit der neu gewonnenen Freiheit nach dem Lockdown umgeht. In Phase eins – zwischen Mitte März und Ende April – stand nämlich die Einhaltung der strengen Ausgangsbeschränkungen sowie Verhaltensregeln im Vordergrund.
Die ersten auftretenden Cluster, die wegen der Öffnungen der Restaurants, Geschäfte, Sportanlagen und Schulen schlichtweg nicht zu verhindern sind, stellen also eine Bewährungsprobe dafür da, ob die Lockerungen in den kommenden Monaten beibehalten und sogar ausgeweitet werden können, oder ob die Regierung einige von ihnen wieder zurücknimmt.
Denn können Cluster nicht mehr als solche definiert und eingegrenzt werden, bedeutete das einen Kontrollverlust, und Österreich stünde bei der Ausbreitung des Virus da, wo es Anfang März stand.