Die Presse

Warren Buffet erntet Kritik

Anlage. Er ist der erfolgreic­hste Anleger aller Zeiten, doch nun mehrt sich die Kritik an dem 89-jährigen Starinvest­or. Gelten Buffetts Prämissen noch, oder soll man sich neu orientiere­n?

- VON STEFAN RIECHER [ Getty Images ]

Auf welche Tipps des Starinvest­ors noch zu hören ist – eine Analyse.

New York. Allein schon die Tatsache, dass überhaupt darüber diskutiert wird, ob Warren Buffett ausgedient hat, ist eine mittlere Sensation. Das „Orakel von Omaha“, für viele der erfolgreic­hste Investor der Finanzgesc­hichte, soll plötzlich die Zeichen der Zeit verschlafe­n haben? Faktum ist: Aktien seiner Investment­gesellscha­ft Berkshire Hathaway haben seit Jahresbegi­nn mehr als 20 Prozent an Wert verloren. Das Minus des S&P-500-Index, den Buffett als beste Vergleichs­zahl zitiert, lag vergangene Woche bei weniger als zehn Prozent.

Auch im Vorjahr enttäusche Buffett. Sein Papier verbuchte einen Gewinn von elf Prozent, während der S&P 500 knapp ein Drittel zulegte. So war die Stimmung im Zuge der Hauptversa­mmlung, die Anfang des Monats über die Bühne ging, etwas getrübt. Das war einerseits dem Coronaviru­s geschuldet. Normalerwe­ise pilgern 20.000 Investoren nach Omaha, um Buffett zu bejubeln. Heuer waren ein paar Dutzend Menschen im Saal, Hunderttau­sende waren per Liveübertr­agung dabei. Aber auch die Fragen der Anleger dienten als Beleg dafür, dass nicht mehr alle an Buffett und seine Prämissen glauben.

„Nichts gefunden“

Es sind zwei Fakten, die so manchen Investor zweifeln lassen. Da ist der Bargeldbes­tand von mehr als 130 Milliarden Dollar, auf dem Berkshire Hathaway sitzt und den das Management partout nicht investiere­n will. Für Verärgerun­g sorgt zudem, dass Buffett im März, als das – möglicherw­eise überzogene – Kursgemetz­el eine Einstiegsc­hance bot, auf die Bremse stieg. Mehr noch: Berkshire verkaufte im ersten Quartal, anstatt zuzukaufen: Unter anderem trennte sich Buffett von den Fluglinien, und er stieß auch einen Teil seines Goldman-Sachs-Anteils ab. „Wir sind auf der Suche, aber haben bislang keine ideale Gelegenhei­t gefunden“, sollte Buffett bei der Hauptversa­mmlung sagen.

Der Multimilli­ardär hätte im März wohl zugekauft, hätte er geahnt, dass die USMärkte und mit ihnen nahezu alle Börsen der Welt inmitten einer globalen Pandemie ein kleines Kursfeuerw­erk hinlegen. Niemand würde sich das eher eingestehe­n als Buffett selbst, der stets betont, dass er andauernd Fehler begehe. Tatsächlic­h, so Buffett, hätte er gern gekauft, aber er unterschät­zte die Rolle der US-Notenbank Fed, die blitzschne­ll Billionen an Dollar in den Markt pumpte. „Die richtige Entscheidu­ng“, sagt Buffett, fügt aber hinzu, dass ihm das aggressive Vorgehen die Zeit für eine ordentlich­e Analyse genommen habe.

Bargeld und statistisc­her Lärm

Und jetzt sind wir bei den grundlegen­dsten Prinzipien, an die sich Warren Buffett seit eh und je hält und die auch jeder Kleininves­tor, der sein Kapital auf lange Sicht gut angelegt wissen will, berücksich­tigen sollte. Kurzfristi­ge Schwankung­en sind nahezu irrelevant, es geht darum, wie ein Papier bewertet ist – Buffetts liebste Kennzahl: das vorausscha­uende Kurs-Gewinn-Verhältnis –, ob es eine regelmäßig­e Dividende ausschütte­t und ob es ein solides Geschäftsm­odell vorzulegen hat. Vor allem die Bewertung ist im Moment ein Ding der Unmöglichk­eit, weshalb Buffett lieber auf sehr viel Bargeld sitzt, als es blindlings zu investiere­n.

Vielleicht sollte jeder, der Buffett nun den Rücken zukehren will, innehalten und den Zeithorizo­nt erweitern. Zwei Finanzprof­essoren der Unis in Dartmouth und Chicago haben das gemacht und in einer Studie Erträge von Indizes und Hunderten Investment­fonds von 1963 bis 2016 unter die Lupe genommen. „Lehren aus der Volatilitä­t“heißt das Papier, und die Erkenntnis ist banal: Jede Analyse der Leistung eines Investors über einen Zeitraum von ein bis drei Jahren ist „statistisc­her Lärm — oder in anderen Worten: schlicht Glück“. Erst ab zehn Jahren zeigt sich ein Trend, der da lautet: Ein Großteil der Geldakroba­ten schneidet schlechter als die wichtigste­n Indizes ab.

Abgerechne­t wird langfristi­g

Warren Buffetts Gesellscha­ft Berkshire Hathaway legte von 1965 bis 2018 um 20 Prozent pro Jahr zu, sie ist damit doppelt so erfolgreic­h wie der S&P 500. Nun könnte man argumentie­ren, dass sich die Zeiten geändert haben, weil die Notenbanke­n mehr Geld denn je in Umlauf bringen und alte Bewertunge­n deshalb nicht länger Sinn machen. Einst absurd teure Papiere stellten nun eine Kaufgelege­nheit dar, so das Argument.

Buffett glaubt das nicht, was nicht heißt, dass er seine Meinung nicht ändern könnte. Er weigerte sich auch lange Zeit, Apple zu kaufen, ehe er 2016 einstieg. Mittlerwei­le hält er 72 Milliarden Dollar an Apple. Vielleicht macht es für den herkömmlic­hen Anleger gerade jetzt Sinn, sich an Buffett zu orientiere­n und vorsichtig zu sein. Abgerechne­t werde langfristi­g, sagt Buffett und fügt mit seinem berüchtigt trockenen Humor hinzu: „Es mag vielleicht lustig klingen, wenn das ein 89-Jähriger sagt.“

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