Warren Buffet erntet Kritik
Anlage. Er ist der erfolgreichste Anleger aller Zeiten, doch nun mehrt sich die Kritik an dem 89-jährigen Starinvestor. Gelten Buffetts Prämissen noch, oder soll man sich neu orientieren?
Auf welche Tipps des Starinvestors noch zu hören ist – eine Analyse.
New York. Allein schon die Tatsache, dass überhaupt darüber diskutiert wird, ob Warren Buffett ausgedient hat, ist eine mittlere Sensation. Das „Orakel von Omaha“, für viele der erfolgreichste Investor der Finanzgeschichte, soll plötzlich die Zeichen der Zeit verschlafen haben? Faktum ist: Aktien seiner Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway haben seit Jahresbeginn mehr als 20 Prozent an Wert verloren. Das Minus des S&P-500-Index, den Buffett als beste Vergleichszahl zitiert, lag vergangene Woche bei weniger als zehn Prozent.
Auch im Vorjahr enttäusche Buffett. Sein Papier verbuchte einen Gewinn von elf Prozent, während der S&P 500 knapp ein Drittel zulegte. So war die Stimmung im Zuge der Hauptversammlung, die Anfang des Monats über die Bühne ging, etwas getrübt. Das war einerseits dem Coronavirus geschuldet. Normalerweise pilgern 20.000 Investoren nach Omaha, um Buffett zu bejubeln. Heuer waren ein paar Dutzend Menschen im Saal, Hunderttausende waren per Liveübertragung dabei. Aber auch die Fragen der Anleger dienten als Beleg dafür, dass nicht mehr alle an Buffett und seine Prämissen glauben.
„Nichts gefunden“
Es sind zwei Fakten, die so manchen Investor zweifeln lassen. Da ist der Bargeldbestand von mehr als 130 Milliarden Dollar, auf dem Berkshire Hathaway sitzt und den das Management partout nicht investieren will. Für Verärgerung sorgt zudem, dass Buffett im März, als das – möglicherweise überzogene – Kursgemetzel eine Einstiegschance bot, auf die Bremse stieg. Mehr noch: Berkshire verkaufte im ersten Quartal, anstatt zuzukaufen: Unter anderem trennte sich Buffett von den Fluglinien, und er stieß auch einen Teil seines Goldman-Sachs-Anteils ab. „Wir sind auf der Suche, aber haben bislang keine ideale Gelegenheit gefunden“, sollte Buffett bei der Hauptversammlung sagen.
Der Multimilliardär hätte im März wohl zugekauft, hätte er geahnt, dass die USMärkte und mit ihnen nahezu alle Börsen der Welt inmitten einer globalen Pandemie ein kleines Kursfeuerwerk hinlegen. Niemand würde sich das eher eingestehen als Buffett selbst, der stets betont, dass er andauernd Fehler begehe. Tatsächlich, so Buffett, hätte er gern gekauft, aber er unterschätzte die Rolle der US-Notenbank Fed, die blitzschnell Billionen an Dollar in den Markt pumpte. „Die richtige Entscheidung“, sagt Buffett, fügt aber hinzu, dass ihm das aggressive Vorgehen die Zeit für eine ordentliche Analyse genommen habe.
Bargeld und statistischer Lärm
Und jetzt sind wir bei den grundlegendsten Prinzipien, an die sich Warren Buffett seit eh und je hält und die auch jeder Kleininvestor, der sein Kapital auf lange Sicht gut angelegt wissen will, berücksichtigen sollte. Kurzfristige Schwankungen sind nahezu irrelevant, es geht darum, wie ein Papier bewertet ist – Buffetts liebste Kennzahl: das vorausschauende Kurs-Gewinn-Verhältnis –, ob es eine regelmäßige Dividende ausschüttet und ob es ein solides Geschäftsmodell vorzulegen hat. Vor allem die Bewertung ist im Moment ein Ding der Unmöglichkeit, weshalb Buffett lieber auf sehr viel Bargeld sitzt, als es blindlings zu investieren.
Vielleicht sollte jeder, der Buffett nun den Rücken zukehren will, innehalten und den Zeithorizont erweitern. Zwei Finanzprofessoren der Unis in Dartmouth und Chicago haben das gemacht und in einer Studie Erträge von Indizes und Hunderten Investmentfonds von 1963 bis 2016 unter die Lupe genommen. „Lehren aus der Volatilität“heißt das Papier, und die Erkenntnis ist banal: Jede Analyse der Leistung eines Investors über einen Zeitraum von ein bis drei Jahren ist „statistischer Lärm — oder in anderen Worten: schlicht Glück“. Erst ab zehn Jahren zeigt sich ein Trend, der da lautet: Ein Großteil der Geldakrobaten schneidet schlechter als die wichtigsten Indizes ab.
Abgerechnet wird langfristig
Warren Buffetts Gesellschaft Berkshire Hathaway legte von 1965 bis 2018 um 20 Prozent pro Jahr zu, sie ist damit doppelt so erfolgreich wie der S&P 500. Nun könnte man argumentieren, dass sich die Zeiten geändert haben, weil die Notenbanken mehr Geld denn je in Umlauf bringen und alte Bewertungen deshalb nicht länger Sinn machen. Einst absurd teure Papiere stellten nun eine Kaufgelegenheit dar, so das Argument.
Buffett glaubt das nicht, was nicht heißt, dass er seine Meinung nicht ändern könnte. Er weigerte sich auch lange Zeit, Apple zu kaufen, ehe er 2016 einstieg. Mittlerweile hält er 72 Milliarden Dollar an Apple. Vielleicht macht es für den herkömmlichen Anleger gerade jetzt Sinn, sich an Buffett zu orientieren und vorsichtig zu sein. Abgerechnet werde langfristig, sagt Buffett und fügt mit seinem berüchtigt trockenen Humor hinzu: „Es mag vielleicht lustig klingen, wenn das ein 89-Jähriger sagt.“