Schimpfkanonade des Präsidenten, der Fans zu den Waffen ruft
Brasilien. Mitschnitt einer Kabinettssitzung Bolsonaros sorgt für Furore und für Spekulationen über dessen Zukunft.
Buenos Aires/Brasilia. Die Hauptnachrichten waren alles andere als jugendfrei. Was die Brasilianer am Freitagabend zur Primetime sahen, war ein Katarakt aus Kraftausdrücken, abgesondert von einem Mann mit Seitenscheitel, flankiert von zwei nickenden grau melierten Anzugträgern und dekoriert von der grün-gelb-blauen Landesflagge, die das Motto trägt: „Ordnung und Fortschritt.“
Die Schimpfkanonade wurde abgefeuert von Präsident Jair Bolsonaro, die Beisitzer waren jene Ex-Generäle, die nun im zivilen Zwirn die reale Macht im Staat Brasilien ausüben. Längst sind sämtliche leitende Positionen im Palast der Morgenröte mit Ex-Militärs besetzt. Zuletzt übernahm der vormalige General Eduardo Pazuello das Gesundheitsministerium.
Verwundert verfolgten die Brasilianer einen Mitschnitt der Kabinettssitzung vom 22. April. „Ich will, dass hier alle bewaffnet sind! Ein Volk unter Waffen wird niemals versklavt werden.“
Vulgär-Vokabeln für Beamte
Angesichts der Quarantänevorschriften, mit denen die Provinzgouverneure gegen Bolsonaros ausdrücklichen Willen versuchen, die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, konterte der Präsident: „Gerade jetzt ist es leicht, in Brasilien eine Diktatur zu errichten, weil die Menschen in ihren Häusern leben. Nur ein bewaffnetes Volk kann sicherstellen, dass hier kein Hurensohn auf die Idee kommt, eine Diktatur zu errichten.“
Mit Vulgär-Vokabeln bedachte Bolsonaro nicht nur Journalisten, Bürgermeister und Gouverneure, sondern auch Amtsträger, die aus den Zeiten vor seinem Machtantritt in Ministerien und vor allem in der Justiz weiterwirken – insbesondere an deren Spitze. Alle Mitglieder des Obersten Gerichtshofs waren von früheren Präsidenten eingesetzt worden, die Bolsonaro und seine Wähler als „das System“verabscheuen.
Tatsächlich war es einer der Höchstrichter, der seit 1989 amtierende Celso de Mello, der nun den internen Mitschnitt freigab. Denn die Aufnahme ist ein wichtiges Beweisstück für die strafrechtlichen Ermittlungen, die der oberste Richter vor einigen Wochen zugelassen hat. Darin geht es um den Vorwurf des Ex-Superministers für Sicherheit und Justiz, Bolsonaro habe illegalen Einfluss auf das Rechtswesen ausgeübt.
Ermittlungen gegen Bolsonaro-Söhne
Den Staatschef empörten die Ermittlungen der Bundespolizei über Korruption und systematische Fake-Nachrichten im Umfeld zweier Söhne Bolsonaros. „Ich habe bereits versucht, das Ermittlungsteam in Rio de Janeiro auszutauschen (. . .) Ich werde nicht warten, bis meine ganze Familie im Arsch ist“, schimpfte Bolsonaro. „Ich werde die Ermittler austauschen. Und wenn ich das nicht schaffe, dann werde ich den Chef auswechseln. Und wenn ich den Chef nicht wechseln kann, dann wechsle ich den Minister.“
Zwei Tage später trat Justizminister Sergio´ Moro zurück, nachdem Bolsonaro den Chef der Bundespolizei und dessen Statthalter in Rio gefeuert hatte. Moro bezog sich auf Bolsonaros Ausfälle im Kabinett, was das Höchstgericht zur Aufnahme von Ermittlungen bewog. Dass das wichtigste Beweisstück freigegeben wurde, dürfte ein Hinweis auf ein Kräftemessen innerhalb der Justiz sein. Offensichtlich wollte der Höchstrichter verhindern, dass die Beweisaufnahme durch den im Vorjahr von Bolsonaro ernannten Generalstaatsanwalt Augusto Aras einschläft.
Obwohl die Option einer Entfernung Bolsonaros durch die Justiz einfacher erscheint als ein Impeachment durch den Kongress, ist auch der Weg zu einem Spruch des obersten Wahlgerichts steinig. Sollten die Richter das Ende Bolsonaros besiegeln, träfe dies auch seinen Vize Hamilton Mourao.˜ Der Ex-General wetterte in einem Zeitungskommentar über Gouverneure, Journalisten und Richter: „Sie führen unser Land ins Chaos!“