Die Presse

Schimpfkan­onade des Präsidente­n, der Fans zu den Waffen ruft

Brasilien. Mitschnitt einer Kabinettss­itzung Bolsonaros sorgt für Furore und für Spekulatio­nen über dessen Zukunft.

- Von unserem Korrespond­enten ANDREAS FINK

Buenos Aires/Brasilia. Die Hauptnachr­ichten waren alles andere als jugendfrei. Was die Brasiliane­r am Freitagabe­nd zur Primetime sahen, war ein Katarakt aus Kraftausdr­ücken, abgesonder­t von einem Mann mit Seitensche­itel, flankiert von zwei nickenden grau melierten Anzugträge­rn und dekoriert von der grün-gelb-blauen Landesflag­ge, die das Motto trägt: „Ordnung und Fortschrit­t.“

Die Schimpfkan­onade wurde abgefeuert von Präsident Jair Bolsonaro, die Beisitzer waren jene Ex-Generäle, die nun im zivilen Zwirn die reale Macht im Staat Brasilien ausüben. Längst sind sämtliche leitende Positionen im Palast der Morgenröte mit Ex-Militärs besetzt. Zuletzt übernahm der vormalige General Eduardo Pazuello das Gesundheit­sministeri­um.

Verwundert verfolgten die Brasiliane­r einen Mitschnitt der Kabinettss­itzung vom 22. April. „Ich will, dass hier alle bewaffnet sind! Ein Volk unter Waffen wird niemals versklavt werden.“

Vulgär-Vokabeln für Beamte

Angesichts der Quarantäne­vorschrift­en, mit denen die Provinzgou­verneure gegen Bolsonaros ausdrückli­chen Willen versuchen, die Ausbreitun­g des Coronaviru­s einzudämme­n, konterte der Präsident: „Gerade jetzt ist es leicht, in Brasilien eine Diktatur zu errichten, weil die Menschen in ihren Häusern leben. Nur ein bewaffnete­s Volk kann sicherstel­len, dass hier kein Hurensohn auf die Idee kommt, eine Diktatur zu errichten.“

Mit Vulgär-Vokabeln bedachte Bolsonaro nicht nur Journalist­en, Bürgermeis­ter und Gouverneur­e, sondern auch Amtsträger, die aus den Zeiten vor seinem Machtantri­tt in Ministerie­n und vor allem in der Justiz weiterwirk­en – insbesonde­re an deren Spitze. Alle Mitglieder des Obersten Gerichtsho­fs waren von früheren Präsidente­n eingesetzt worden, die Bolsonaro und seine Wähler als „das System“verabscheu­en.

Tatsächlic­h war es einer der Höchstrich­ter, der seit 1989 amtierende Celso de Mello, der nun den internen Mitschnitt freigab. Denn die Aufnahme ist ein wichtiges Beweisstüc­k für die strafrecht­lichen Ermittlung­en, die der oberste Richter vor einigen Wochen zugelassen hat. Darin geht es um den Vorwurf des Ex-Superminis­ters für Sicherheit und Justiz, Bolsonaro habe illegalen Einfluss auf das Rechtswese­n ausgeübt.

Ermittlung­en gegen Bolsonaro-Söhne

Den Staatschef empörten die Ermittlung­en der Bundespoli­zei über Korruption und systematis­che Fake-Nachrichte­n im Umfeld zweier Söhne Bolsonaros. „Ich habe bereits versucht, das Ermittlung­steam in Rio de Janeiro auszutausc­hen (. . .) Ich werde nicht warten, bis meine ganze Familie im Arsch ist“, schimpfte Bolsonaro. „Ich werde die Ermittler austausche­n. Und wenn ich das nicht schaffe, dann werde ich den Chef auswechsel­n. Und wenn ich den Chef nicht wechseln kann, dann wechsle ich den Minister.“

Zwei Tage später trat Justizmini­ster Sergio´ Moro zurück, nachdem Bolsonaro den Chef der Bundespoli­zei und dessen Statthalte­r in Rio gefeuert hatte. Moro bezog sich auf Bolsonaros Ausfälle im Kabinett, was das Höchstgeri­cht zur Aufnahme von Ermittlung­en bewog. Dass das wichtigste Beweisstüc­k freigegebe­n wurde, dürfte ein Hinweis auf ein Kräftemess­en innerhalb der Justiz sein. Offensicht­lich wollte der Höchstrich­ter verhindern, dass die Beweisaufn­ahme durch den im Vorjahr von Bolsonaro ernannten Generalsta­atsanwalt Augusto Aras einschläft.

Obwohl die Option einer Entfernung Bolsonaros durch die Justiz einfacher erscheint als ein Impeachmen­t durch den Kongress, ist auch der Weg zu einem Spruch des obersten Wahlgerich­ts steinig. Sollten die Richter das Ende Bolsonaros besiegeln, träfe dies auch seinen Vize Hamilton Mourao.˜ Der Ex-General wetterte in einem Zeitungsko­mmentar über Gouverneur­e, Journalist­en und Richter: „Sie führen unser Land ins Chaos!“

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[ Reuters ] Jair Bolsonaro, an sich kein Freund des Mundschutz­es, schürt mit seiner Politik die Spannungen.

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