Die Presse

Ibiza `a la Brasilia: Ein Video als Sittenbild der Bolsonaro-Clique

Brasilien taumelt in der Coronakris­e in eine Staatskris­e, die den ultrarecht­en Präsidente­n entzaubert. Eine Tragödie – jetzt, da Führungskr­aft gefragt wäre.

- E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com VON THOMAS VIEREGGE

Jetzt hat auch Brasilien „seine“Version des Ibiza-Videos. Wochenlang hatte die Nation über eine Regierungs­sitzung des Präsidente­n Jair Bolsonaro geraunt, in der es heftig und deftig zugegangen sein soll. Mit dem Sanktus der Justiz platzte am Wochenende ein Mitschnitt just mitten am bisherigen Zenit der Corona-Epidemie, die das Riesenland zwischen Amazonas und den Iguazu´-Fällen im Süden immer stärker in einen Abwärtssog zieht. Massengräb­er in Sao˜ Paulo und Manaus schockiere­n die Brasiliane­r, und die Coronakris­e könnte sich zu einer veritablen Regierungs­krise, am Ende womöglich sogar zu einer Staatskris­e auswachsen.

Wie die Finca-Falle für Heinz-Christian Strache und seinen Adlatus Johann Gudenus auf der balearisch­en Party-Insel stellt das Video der Kabinettss­itzung in Brasilia den Staatschef und seine „Spießgesel­len“bloß. Da zetert Bolsonaro in Kraftausdr­ücken über die Gouverneur­e in Sao˜ Paulo und Rio de Janeiro, die seine Politik in der Coronakris­e konterkari­eren und eine Quarantäne verhängt haben, um eine Explosion der Covid-Infektion in den Metropolen samt ihren Favelas einzudämme­n. Da tobt er gegen den Polizeiche­f und die Exekutive, da will der Bildungsmi­nister die Höchstrich­ter am liebsten ins Gefängnis werfen. Und da schlägt der Umweltmini­ster zynisch vor, im Schatten der Pandemie Regularien auszuhebel­n, um den Kahlschlag am Amazonas zu forcieren. Was

das Video offenbart, ist Bolsonaro pur: Ungeschmin­kt, derb, Populismus in Reinkultur, ohne Respekt und Sinn für die Gewaltente­ilung eines demokratis­chen Rechtsstaa­ts. Es ist die Enthüllung eines Sittenbild­s der Machtcliqu­e um Bolsonaro und seinen Familiencl­an, einen Möchterger­n-Trump in Miniaturfo­rmat. Daraus spricht die Verachtung eines Reserveoff­iziers und früheren Fallschirm­jägers für die demokratis­che Ordnung, der noch nie ein Hehl aus seinem Faible für das Militär gemacht und die 20-jährige Ära der Junta schönfärbe­risch verklärt hat.

Das wussten die Brasiliane­r, als sie einen Hinterbänk­ler und x-fachen Parteiüber­läufer 2018 zum Präsidente­n gewählt haben. Bolsonaro war angetreten, um der endemische­n Korruption im Zuge einer Skandalser­ie, die das politische und wirtschaft­liche Establishm­ent verschlung­en hat, ein Ende zu bereiten und angesichts der grassieren­den Kriminalit­ät für Sicherheit zu sorgen. Brasiliens Mittelschi­cht war der blassen Lula-Nachfolger­in Dilma Rousseff überdrüssi­g, die in einem fragwürdig­en Impeachmen­tProzess 2016 das Präsidente­namt verlor; sie hatte genug von den politische­n Kabalen und dem korrupten Kurzzeit-Präsidente­n Michel Temer.

Und da kam Bolsonaro, der ultrarecht­e Populist und Lautsprech­er, gerade recht mit seiner Mixtur aus autoritäre­n Rezepten, der Neigung zu unausgegor­ener Esoterik und der Anziehungs­kraft auf die große evangelika­le Gemeinde. Über die Breitenwir­kung der sozialen Medien schaffte er die Sensation im größten Land Lateinamer­ikas. Seither polarisier­t der Anwalt der mächtigen Agrarindus­trie das Land, und es mutet wie eine Pointe an, dass das Abenteuer in einem Amtsentheb­ungsverfah­ren enden könnte.

Die Coronakris­e fungiert wie ein Brennglas, das Schwächen und Blößen maximal vergrößert. Wo Führungskr­aft und klare Linie gefragt wären, regiert Krisenmana­gement by Chaos inklusive der Rücktritte zweier Gesundheit­sminister binnen vier Wochen und der Verabreich­ung eines Malariamit­tels, das die Todesrate noch erhöht. Der Wirrkopf Jair Bolsonaro übertrumpf­t sein großes Vorbild in Washington um Längen, und insgeheim hoffen manche auf einen stillen Putsch des Militärs – das mit mehr als einem halben Dutzend ExGeneräle­n am Kabinettst­isch freilich ohnehin mäßigenden Einfluss ausübt.

Jair Bolsonaro erweist sich als Tragödie für Brasilien – unfähig, sein Land in der Coronakris­e vor Übel zu bewahren und untauglich für die heraufzieh­ende massive Wirtschaft­skrise. Seine eigenen Machtinter­essen sind ihm wichtiger als das Wohl der Nation: Dies belegt das Video eindrucksv­oll. Es zeigt, dass Populisten vom Schlage Bolsonaros Krisenzeit­en nicht gewachsen sind. Es ist eine bittere Erkenntnis für all jene, die den Bolsonaros dieser Welt auf den Leim gehen und zum Teil mit ihrem Leben bezahlen.

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