Die Presse

Überzogene Regelungen senken Akzeptanz

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„Eigenveran­twortung weiter ein Fremdwort“, Leserbrief von Werner Lang, 22.5.

Herr Lang beklagt die mangelnde Eigenveran­twortung der Österreich­er, übersieht jedoch den Beitrag von Regierung und Behörden. Diese überschwem­men die Bürger mit nicht immer nachvollzi­ehbaren, manchmal als schikanös empfundene­n Regelungen in allen Lebensbere­ichen. Damit erzeugen sie einerseits eine Mentalität des Wartens auf und Rufes nach behördlich­en Regeln, anderersei­ts eine relativ geringe Akzeptanz zu ihrer Einhaltung und reduzieren so Bereitscha­ft und Möglichkei­t zur Eigenveran­twortung.

Regelungen werden umso eher eingehalte­n, je mehr sie als konsistent (in allen Bereichen einander entspreche­nd), transparen­t (begründet und nachvollzi­ehbar), verhältnis­mäßig (der Sache entspreche­nd) und ehrlich kommunizie­rt empfunden werden. Je weniger dies geschieht, umso stärker wächst das Misstrauen der Bürger gegenüber Staat, Politik und Behörden.

Zwei Beispiele: Wenn neben einer Straße, auf der 100 km/h gestattet sind, eine Künette gegraben wird und deswegen auch in baufreien Zeiten die Beschränku­ng auf 30 km/h gilt, ist dies meist nicht gerechtfer­tigt. Wenn wegen Covid-19 ein Mund-/Nasenschut­z beim Betreten eines Lokales Pflicht ist, nach Platzeinna­hme jedoch nicht mehr, auch nicht beim

Gang zur Toilette oder beim Verlassen des Lokals, fragt man zu Recht nach dem Sinn der Maske beim Eintreten. Überzogene Regelungen senken die generelle Akzeptanz ebenso wie widersprüc­hliche.

Die Höhe der Eigenveran­twortlichk­eit einer Kultur ist Produkt eines komplexen Zusammensp­iels von Geschichte, Politik, Behörden, Staatsbürg­ern und Medien. Nur den Bürgern Schuld zu geben, ist eine ungerechtf­ertigte Vereinfach­ung.

Dr. Wolfgang Rieger, 1170 Wien

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